"Unsere größte Herausforderung: Aufmerksamkeit erringen"

Serie zur LTW in Bayern, Teil 5

Die FDP will in Bayern zurück in den Landtag. Martin Hagen, selbstständiger Kommunikations- und Strategieberater, tritt an als Spitzenkandidat ohne Amt. Er war acht Jahre lang Geschäftsführer der FDP in Bayern, jetzt ist er einfaches Mitglied seiner Partei, die mit einer knallbunten Kampagne an den Stil der Bundestagswahl anknüpft.

Herr Hagen, was muss in den Köpfen der Wähler passieren, damit acht Prozent der Menschen sich am 14. Oktober in Bayern dafür entscheiden, der FDP ihre Stimme zu geben?

So furchtbar viel muss da gar nicht passieren. In den Umfragen liegen wir zurzeit zwischen fünf und sechs Prozent. Ich glaube, dass wir Wähler, die eine Politik der Mitte wollen, denen der rabiate Stil der CSU nicht passt, gewinnen können.

Sie gehen davon aus, dass die Entwicklungen der vergangenen Wochen eigentlich Ihnen zugutekommen?

Ja. Das ist eine Entwicklung, die sich schon längerfristig abgezeichnet: die Tatsache, dass die CSU die Mitte geräumt hat und die FDP als Kraft der Vernunft reüssieren kann. Das heißt für uns, dass wir mit einem klaren liberalen Profil antreten, aber natürlich nicht durch schrille Maximalforderungen Wähler verschrecken werden, die sich eine Partei mit Maß und Mitte wünschen. Wir sprechen Wähler an, die ein gewisses Maß an Verantwortungsbewusstsein von der Politik erwarten und die die CSU momentan ratlos zurücklässt. Für die sind wir auch das Angebot, das nicht einem Populismus der schrillen Tönen folgt, sondern klare Sachpolitik favorisiert. Inhaltlich setzen wir auf die Themen, die wir auch auf Bundesebene stark gefahren haben: Digitalisierung, Innovation, neue Technologien.

Also gilt auch in Bayern „Digital First, Bedenken Second“?

Ich fand diesen Spruch nicht so gut, weil man immer skeptisch sein darf. Die Haltung dahinter teile ich aber: Wir sehen im Neuen nicht immer zuerst die Risiken, sondern die Chancen. Eine Haltung, die wir stärker brauchen, denn es gibt überall Bedenkenträger. Die Grünen haben Angst vor der Gentechnik. Die linken Parteien sehen in der Digitalisierung vor allem eine Bedrohung für gewerkschaftlich organisierte Jobs. Die Konservativen sind gegen Reproduktionsmedizin aus religiösen Gründen. Die Rolle der FDP ist die der fortschrittsfreundlichen und modernen Partei. Deshalb ist unser Claim „Frisches Bayern“.

Wie gelingt es Ihnen denn, mit diesem eher sachorientierten Stil für Aufmerksamkeit zu sorgen – zumal Ihnen das Parlament als Plattform fehlt?

Ohne diese Plattform ist es schwieriger, medial durchzudringen. Aber zum Beispiel in der Kreuzdebatte konnten wir als FDP sehr gut den Unterschied in der Position zur CSU deutlich machen und mediale Aufmerksamkeit erringen. Ich habe damals gesagt: „Söder kämpft für Kreuze in den Schulen. Wir für mehr Lehrer, Wlan und Tablets.“ Berichtet wurde auch über meinen Vorschlag, ein Bekenntnis zu den Werten unseres Gemeinwesens sichtbar zu machen, statt des Kreuzes den Artikel eins unseres Grundgesetzes, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ in Behörden aufzuhängen und damit zu demonstrieren: Der Staat darf sich nicht religiös aufladen, er sollte weltanschaulich neutral sein.

Ist das Ihre Strategie: in einzelnen Fragen konkret die Differenz deutlich machen?

Ja. Auch in Sachen solide Haushaltspolitik. Markus Söder hat in seiner Regierungserklärung unzählige Projekte angekündigt, die alle viel Geld kosten. Mit der Kreuzdebatte und dem Asylstreit hat die CSU abgelenkt von den ganzen Wahlgeschenken, die Söder verteilt hat. In dem Fall war es für Söder ein Eigentor. Aber wir merken auch: Es ist wahnsinnig schwer, wegzukommen von Themen, die die CSU setzt. Dabei würden wir als FDP lieber über das Thema Chancengerechtigkeit im bayerischen Bildungssystem reden, über Infrastruktur in Bayern, bezahlbaren Wohnraum, Ladenöffnungszeiten, über viele Themen, die momentan vom Asylstreit überlagert werden. Das ist in dieser Phase des Wahlkampfs schwierig, also äußern wir uns zu den Themen, die gerade laufen.

Sie schränken das auf die gegenwärtige Phase des Wahlkampfs ein. Wann schalten Sie um?

Wir als kleine APO-Partei haben nur eine begrenzte Anzahl von „Schüssen“. Die zünden wir, wenn die heiße Wahlkampfphase ansteht. Wir hatten die Fußballweltmeisterschaft, jetzt sind Sommerferien. Alles was zurzeit läuft, ist Hintergrundrauschen, das entscheidet nicht die Wahl. Vor September entscheidet sich gar nichts. Aber es ist wichtig, dass man auch in den Umfragen in Schlagdistanz bleibt, auch damit die Medien wissen, dass mit dem Einzug der FDP zu rechnen ist. Es spielt eine große Rolle, ob man uns in der Berichterstattung berücksichtigt, auch wenn es darum geht, wer zu Diskussionsveranstaltungen eingeladen wird. Aber erst die letzten sechs Wochen werden alles entscheiden. Da kann es drastisch nach oben oder drastisch nach unten gehen für jede Partei.

Mit welchen Ressourcen kann denn eine kleine APO-Partei rechnen?

Wir haben einen Stab von sechs Mitarbeitern und darüber hinaus momentan drei Praktikanten im „War Room“, also der Social-Media-Wahlkampfzentrale. Das Wahlkampfbudget liegt im höheren sechsstelligen Bereich. Es gibt bei uns eine Kampagnenumlage: Die FDP hat einen Solidarfonds gegründet, in den alle Kreisverbände pro Mitglied einzahlen. Und der Landesverband, der dann im Wahlkampf steht, erhält jeweils Mittel aus dem Fonds. Davon wird beispielsweise die Agentur Heimat bezahlt, die für alle Landtagswahlen der FDP die Kampagnen entwickelt. Der Rest unseres Budgets kommt aus eigenen Mittel des Landesverbands Bayern, also Mitgliedsbeiträge, staatliche Parteienfinanzierung und Spenden.

Welche Rolle spielt Social Media bei Ihnen – gerade im Blick auf Ihre Rolle als APO?

Social Media war schon im Bundestagswahlkampf von entscheidender Bedeutung. Die sozialen Medien haben uns auch durch die APO-Zeit getragen, in der das mediale Interesse noch geringer war. Wir betreiben unsere Kanäle aktiv und werden ordentlich Geld ausgeben, das meiste für Online-Werbung bei Facebook und Google.

Warum liegt der Schwerpunkt auf Werbung?

Weil wir, wie alle Seitenbetreiber, darunter leiden, dass Facebook den Algorithmus geändert hat. Es ist viel schwieriger, organisch Reichweite zu erzielen, als vor ein, zwei Jahren. Hin und wieder gelingt es uns sehr gut, aber bezahlte Werbung hilft immer.

Sie persönlich liegen immerhin gleichauf mit Katharina Schulze von den Grünen – und die ist nicht nur extrem aktiv, sondern sitzt auch im Parlament seit 2015 und ist Fraktionsvorsitzende.

Ja, wir beide liegen da auf Augenhöhe. Letzte Woche hatte ich mehr Facebook-Fans, jetzt hat sie mich gerade wieder überholt. (lacht)

Haben Sie für die Kanäle unterschiedliche Content-Strategien?

Ich entscheide vieles aus dem Bauch: Man bekommt mit der Zeit ein Gefühl dafür, welche Ansprache die richtige für Facebook und Twitter ist. Mein Fokus liegt auf Facebook. Ich nutze zudem Instagram sehr aktiv, wo ich, klar, Bilder poste.

Wer entscheidet bei der FDP die Linie im Wahlkampf?

Wir haben ein informelles Entscheidungsgremium: Spitzenkandidat, Landesvorsitzender, Generalsekretär, Hauptgeschäftsführer. Das sind die vier, die sich regelmäßig abstimmen und alle wichtigen Entscheidungen gemeinsam treffen. Der Landesvorstand hat die Kampagne beschlossen, die wir mit der Agentur Heimat entwickelt haben. Aber er hat uns auch Prokura gegeben, dass über Slogans, auch die thematische Schwerpunktsetzung, nicht ein großes Gremium demokratisch entscheidet, sondern dass wir diese Entscheidungen im kleinen Kreis selbst treffen dürfen.

Das verbessert die Reaktionsgeschwindigkeit.

Genau. Und ich als Spitzenkandidat habe natürlich bei allem ein Veto-Recht, wo mein Kopf drauf ist. Und das ist bei den zentralen Werbemitteln quasi immer der Fall.

Zur Kampagne: „Frisches Bayern“ und „eine neue Generation Bayern“ – die Claims sind sehr offen. Setzen Sie da nicht ein bisschen zu sehr auf den jugendlichen Charme?

Worauf soll ich denn sonst setzen? Auf mein hohes Alter und meine jahrzehntelange Erfahrung? (lacht) Wir hatten im Bundestagswahlkampf den Claim „Denken wir neu“. Der geht in eine ähnliche Richtung. „Frisches Bayern“ drückt auch aus, dass wir Bayern toll finden. Wir wollen kein anderes Land, sondern dieses Bayern, in dem wir uns sehr wohlfühlen, in einer frischen Form. Wir verstehen uns als eine Kraft, die Neues auch in den Politikprozess hineinbringt. Das ist die generelle Haltung. Die tatsächlichen Themen werden wir dann mit den Slogans auf den Plakaten kommunizieren.

Schließt die Kampagne damit an die erfolgreiche Kampagne im Bund an?

Unsere Kampagne ist in der Anmutung völlig anders als die Bundeskampagne. Damals gab es Schwarzweißfotos von Christian Lindner, für Bayern gibt es eine sehr knallige Kampagne in Gelb und Magenta mit meinem Kopf in ikonischer Form als Illustration. Was sich durchzieht durch alle Kampagnen – und deswegen lassen wir seit 2015 auch alles aus einer Hand machen – ist eine bestimmte Tonalität, sind die Kernwerte der Partei, die immer kommuniziert werden.

Diese ikonografische Stilisierung ist auffällig, könnte aber auch als zu technisch, zu wenig menschlich interpretiert werden.

Für uns als Partei, die nicht im Landtag vertreten ist, haben wir das Erringen von Aufmerksamkeit als größte Herausforderung identifiziert. Da wir kein Budget auf Augenhöhe mit der CSU in die Waagschale werfen können, müssen wir auffallen. Wir haben Mock-ups gemacht, um zu sehen, welche Wirkung unsere Plakate erzielen können, wenn sie neben den Plakaten anderer Parteien an einer Straße stehen. Mit dieser Werbelinie, die dann zum Beispiel zwischen einer Großfläche mit Markus Söder und einer mit Natascha Kohnen hängt, stechen wir heraus.

Behält der klassische Wahlkampf denn weiterhin seine Funktion, oder ist er nicht nur ein Rollenspiel, ein Ritual, das man auch lassen könnte?

Nein, der Wahlkampf bleibt wichtig. Wahlkampf – und damit ich meine ich nicht nur Plakate kleben, sondern zum Wahlkampf gehört alles, was man jetzt in dem Dreivierteljahr vor der Wahl politisch sagt, macht, unterlässt – halte ich für ganz entscheidend.

Was kann denn Wahlkampf aus Ihrer Sicht heute im besten Fall bewirken?

Im besten Fall bewirkt Wahlkampf eine Politisierung der Gesellschaft. Dass die Bürger sich stärker als sonst mit politischen Inhalten auseinandersetzen und sich einmischen – und sei es nur durch die Abgabe des Stimmzettels. Wir hatten in Deutschland in den vergangenen Jahren in Bundestagswahlkämpfen häufig Wahlkämpfe, Stichwort „asymmetrische Demobilisierung“, in denen die dominierende Partei versucht hat, möglichst keine Kontroversen aufkommen zu lassen. Das hat eine politische Debatte eher erstickt in Deutschland. Das andere Extrem sind Wahlkämpfe wie in den USA, die so krass polarisieren, dass sie die politische Kultur völlig vergiften. Beides ist nicht gut.

Spekulieren Sie mal: Kennen wir schon das zentrale Thema des Wahlkampfs? Bleibt das die Asylfrage?

Ich glaube, dass die CSU jetzt einen Strategiewechsel anstrebt. Ich glaube daher, dass Söder – und das legen seine Äußerungen nahe – eher wieder darauf bedacht ist, die CSU als seriöse Partei, nicht nur als krakeelende Partei zu positionieren. Es ist natürlich blöd, wenn man so viele Wahlgeschenke unter das Volk bringt und dann redet keiner drüber, weil alle darauf schauen, dass man sich in Berlin bis aufs Blut wegen der Asylpolitik streitet. Ich erwarte daher einen Wechsel. Aber was dann tatsächlich die Themen sein werden, die am Schluss die Wahl entscheiden, weiß ich nicht.

Wenn Sie die acht Prozent bekämen, wären Sie der geborene Koalitionspartner. Machen Sie den Deal dann?

Wenn die CSU auf uns zukommt und uns zu Verhandlungen einlädt, werden wir nicht Nein sagen. Und wenn man dann die liberale Handschrift auch durchsetzen kann und ein Programm findet, zu dem wir mit Überzeugung sagen können: „Damit bringen wir Bayern voran und machen das Land modern und liberaler“, machen wir natürlich mit. Als reiner Mehrheitsbeschaffer natürlich nicht.

Aber es kann nicht der Zeitpunkt kommen, zu dem Sie sagen: „Lieber nicht regieren als falsch regieren“?

Dieser Satz gilt immer. Natürlich treten wir nicht einer Regierung bei, wenn wir von vornherein das Gefühl haben: Das wird nix. Ich glaube, dass die Wahlniederlage, die die CSU am 14. Oktober erleiden wird, sehr heilsam für sie sein wird. Die Partei steht ja nicht geschlossen hinter diesem Kurs. Wenn er gescheitert sein wird – und das wird er nach dem 14. Oktober sein, wenn die CSU einen Koalitionspartner braucht – dann wird sie den Kurs ändern, eine andere Partei sein. Von daher spricht dann auch nichts dagegen, mit dieser Partei über eine Regierungsbildung zu verhandeln.

Und was macht Martin Hagen nach dem 14. Oktober, wenn es nicht die mindestens fünf Prozent werden?

Wir hatten 2008 das Rekordergebnis von 8,0 Prozent. Das ist mein Ziel. Sollten wir es wider Erwarten nicht in den Landtag schaffen, geht das Leben auch weiter. Ich habe die ersten 37 Jahre meines Lebens auch ohne politisches Mandat zugebracht, das würde ich danach genauso machen und das wird an meinem Lebensglück nichts ändern.

Hier geht es zum ersten Teil der Serie zur bayerischen Landtagswahl: Wahlkampf mit Arroganz und Härte.

Teil 2: Interview mit Katharina Schulze, Spitzenkandidatin der Grünen

Teil 3: Interview mit Ilse Aigner über den Markenkern der CSU

Teil 4: Die große Markus-Söder-Show