Die große Markus-Söder-Show

Serie zur LTW in Bayern, Teil 4

Der Wahlkampf werde ganz auf den Spitzenkandidaten und Ministerpräsidenten Markus Söder abgestellt, kündigte CSU-Generalsekretär Markus Blume gerade erst wieder an. Dazu passend tourte der Kandidat nun mit dem Format “Markus Söder persönlich” durch das Land – Ansbach, München, Rosenheim, Bayreuth – mit dem Versprechen, ihn einmal ganz anders kennenzulernen. In München war der Termin kürzlich ausgefallen, des Asylstreits wegen. Doch in Rosenheim findet er statt – also auf dorthin.

Für die Veranstaltungsreihe wurden hauptsächlich Kinosäle gemietet. Die aufsteigende Bestuhlung erinnert einerseits an klassische Hörsäle, andererseits – das passt natürlich – stellt sich hier ein Blockbuster vor. Und dass es um ganz Großes geht, erfährt man schon bei der Auffahrt auf den Parkplatz: Rund 60 Beamte sind in und um das Gebäude verteilt, schusssichere Westen und Gewehr am Anschlag inklusive. Auch mit Hunden wird patrouilliert. Nach der persönlichen Anmeldung folgt eine erste Polizeikontrolle, oben am Einlass werden Taschen kontrolliert.

Die ebenfalls angereiste Kollegin des BR Hörfunks kommt, weil sie seit Wochen einem einzigen O-Ton hinterherjagt. Doch die CSU gibt sich wortkarg, wenn man Fragen stellt, zu denen gerade keiner antworten mag. Das kann heute ohnehin kaum passieren, denn Ralf Exel, langjähriger Journalist und im Bayern-Fenster von Sat1 als Moderator zu sehen, tourt mit. Der TV-Ansager soll Lockerheit in den Abend bringen, er ist der Moderator und Fragensteller. Doch schnell wird klar, dass er kaum mehr sein darf als ein Stichwortlieferant. Denn Söder kennt natürlich die Fragen – und antwortet umfassend, ausführlich und ungestoppt. Die beiden sitzen am Tisch, einander leicht zugewandt, dahinter prangt das Motto des Abends übergroß, als handele es sich um eine Talkshow, auf dem Tisch zwei Tüten Popcorn. So viel Spaß darf sein. Söder outet sich als großer Kinofan, “vor allem Science Fiction”.

Ein paar persönliche Takeaways

Zum Einstieg gibt’s Markiges zum Thema einer eigenen bayerischen Grenzpolizei und zu Abschiebungen: “Wir werden jetzt abschieben!”. Wer bereits da sei, erhalte künftig Sach- statt Geldleistungen. “Wir werden den Schleppern und Schleusern das Handwerk legen, meine Damen und Herren!“ Doch zurück zur Agenda. Der Abend ist klar gegliedert, er folgt der persönlichen Biografie, klärt Kindheit und Herkunft in Franken, die frühe Begeisterung fürs Politische, die Begeisterung für Strauß. Früh wüsste er: “SPD bedeutet Ärger”, obwohl auch der Vater mal ein “Willywähler” gewesen sei. Dann der Eintritt in die Junge Union. “Die Ilse (Aigner) hat mich aufgefordert zu kandidieren.” So wurde Söder 1995 JU-Vorsitzender in Aschaffenburg. Und: “Stoiber war der einzige, der mich wirklich ge- und befördert hat!” Wenn man es nicht gewusst hat, waren das ein paar echte persönliche Takeaways.

Söder kennt sein Publikum und zieht es durchaus in seinen Bann, ganz so, als sei er selbst der Talkshow-Host, wendet er sich immer wieder direkt an die Menschen, adressiert sie gewohnheitsmäßig: “Wissen Sie, meine Damen und Herren, in Asien sagt man ja, ‘Konfuzius sagt…’, bei der CSU heißt das: ‘Strauß sagt…’“ Der Saal lacht, Söder kalauert sich weiter durch den Abend: “Meine Frau Karin – das ist der Name, den man wohl haben muss als Frau des Ministerpräsidenten …”

Dann wird es ganz still: Es geht darum, wie Söder zum Glauben fand. Drei Wochen vor seiner ersten Wahl sei die Mutter gestorben, eigentlich sei sie wegen nichts Schlimmem zum Arzt gegangen. Sie sei ins Krankenhaus gekommen und als er sie besucht habe, sah das Zimmer aus wie eine Wahlkampfzentrale. “Als ich dann später ihre Sachen abgeholt habe, stand da eine kleine Tasche und vier zusammengerollte Plakate”. Mehr blieb nicht von einem Leben. Söder wird hier ganz leise, schluckt vernehmlich. Wohlwollend betrachtet, könnte man dies als einzigen ungeschminkten Moment des Abends werten. Zutiefst beeindruckt habe ihn die Geste einer Schwester, die die Hand seiner toten Mutter gestreichelt habe. “Wir müssen in Würde gehen können!” Söder begründet so sein Engagement für die Pflege.

Er habe dann später beschlossen, dass der Glaube für ihn eine stärkere Rolle spielen soll, hat einen Gebetsraum im Ministerium eingerichtet. Jetzt geht er ins religiöse Fach: “Wo gibt es das denn, dass einem einer einfach so zusagt: Du bist angenommen, Du bist gewollt, so wie Du bist!” Das sei wirklich eine frohe Botschaft. Söder verteidigt den Kreuzerlass: Unsere Werte basierten auf der christlich-abendländischen Idee mit jüdischen Wurzeln. Deshalb müssten sich jene, die zu uns kommen auch anpassen an unsere Werte und Sitten. Dafür stehe das Kreuz auch.

Was folgt, ist Scripted Reality

Was erfährt man noch? Söder steht morgens um 5.30 Uhr auf und macht Sport: Gymnastik und Krafttraining, im Sommer auch Schwimmen. Und ziemlich genau um 24 Uhr geht’s ins Bett. Im Hintergrund wechseln Powerpointfolien, die alle Stationen mit Schnappschüssen untermalen. Und spätestens beim zweiten oder dritten Bild wird klar: Nein, das ist keine Talkshow, sondern Scripted Reality. Hier wird das Leben mit Anekdoten und Kalauern runtererzählt, persönlich wird es nur insoweit, als man erfährt, dass Söder auch schon mal selbst mit dem Hund spazieren geht. Ansonsten bleibt der Abend ganz und gar unpersönlich. Direkt gestellt werden dürfen Fragen nicht: “Dafür gibt es die blauen Karten, die einige von Ihnen erhalten haben”, stellt Moderator Exel gleich zu Beginn klar. Der Ministerpräsident beantworte diese zuverlässig in den kommenden Wochen. Wer sich umschaut, findet keine solche Karte, sie scheinen nur an wenige Ausgewählte vergeben worden zu sein.

Und was wünscht sich der Kandidat für Bayern? “Ich will nicht, dass wir werden wie alle anderen Länder.” Bayern first, könnte man meinen. Einer der tollsten Schwenks des Abends: Söder warnt vorm Populismus: “Überall in Europa zerbröseln die etablierten Parteien und Populisten kommen an die Macht. Das passiert, wenn die etablierten Parteien zu schwach sind.” Eine Drohgebärde, ein Schreckensszenario? In Bayern also Politik ohne Populismus! Ein solches Statement muss man sich erst einmal trauen, so kurz nach dem Höhepunkt der Unionsstreitigkeiten.

Genau 120 Minuten dauert die Söder-Show, der Kandidat steht noch für Interviews bereit, die BR-Kollegin bekommt endlich die langersehnten O-Töne. Und der Saal leert sich nur langsam. Viele bleiben da und diskutieren in kleinen Gruppen. Manch einer hofft noch auf ein Selfie mit dem Ministerpräsidenten. Er bildet das Gravitationszentrum des Raums, solange er da ist, bleiben die Getreuen. Auf dem Weg zum Parkplatz bleibt Ratlosigkeit: Ist man dem Phänomen Söder ein Stück näher gekommen? Ein Lehrstück in politischer Rhetorik war die Veranstaltung allemal.

Aber wusste man das nicht schon über Söder? Dass er eine rhetorische Finesse und hohe Schlagfertigkeit besitzt? Dass er einen Hang zu pointierten Formulierungen und Labels hat? Doch, wusste man schon. Und an diesem Abend war viel vom Rhetoriker und Darsteller Söder zu erleben. Söder spielt Söder sozusagen. Aber von der Schlagfertigkeit und Gewandtheit, die diesen Politiker und Menschen tatsächlich markant macht, ist leider nichts zu spüren. Stattdessen alles Oberfläche und Konstruktion, keine unangenehme oder fordernde Frage, keinerlei Brüche, alles streng nach Drehbuch. Für Persönlichkeit ist in diesem Konzept leider kein Platz.

Hier geht es zum ersten Teil der Serie zur bayerischen Landtagswahl: Wahlkampf mit Arroganz und Härte.

Teil 2: Interview mit Katharina Schulze, Spitzenkandidatin der Grünen

Teil 3: Interview mit Ilse Aigner über den Markenkern der CSU