Was heißt denn schon „klimaneutral“?

Kolumne

Würden Sie mir glauben, wenn ich behaupte, diese Kolumne sei klimaneutral? Würden Sie gar lieber einen als klimaneutral beworbenen Blog lesen? Blind vertrauen müssen Sie mir bei dieser Frage bald nicht mehr. Da wir auch in Brüssel und Straßburg eine Vielzahl an Regelungen sehen können, die Recht werden, werfen wir heute einen Blick nach Europa. Dort beschäftigt Rat und Parlament derzeit der Vorschlag einer „Richtlinie über die Begründung ausdrücklicher Umweltaussagen und die diesbezügliche Kommunikation“ – oder weniger sperrig: die „Green Claims Directive“.

Im Rahmen des „Green Deal“-Maßnahmenpakets will die Europäische Union Verbrauchern mehr Informationen für ihre Kaufentscheidungen an die Hand geben, um eine aktivere Rolle beim ökologischen Wandel spielen zu können. Unzutreffende Aussagen zur Klimafreundlichkeit eines Produktes oder eine Dienstleistung sollen verboten und alle weiterhin getätigten Aussagen auf ihren Wahrheitsgehalt zur Klimaverträglichkeit überprüfbar sein.

Das trifft ziemlich viele Produktkennzeichnungen, die wir täglich im Handel sehen und nutzen. Von „Bio“ bis „CO2-neutral“, von „fair gehandelt“ bis „lokal produziert“ – Produktlabels mit Umwelteigenschaften haben Konjunktur. Zwar gibt es bereits heute europäische und deutsche „staatliche Labels“, wie das EU-Energielabel für Elektrogeräte oder den Blauen Engel und Grünen Knopf in Deutschland. Vor allem die vielen anderen Siegel aus der Privatwirtschaft würden Verbraucher in der Beurteilung aber vor Herausforderungen stellen, so die Brüsseler Meinung.

Dem schiebt die Europäische Union nun den Riegel vor: In einem ersten Schritt müssen Mitgliedsstaaten bis 2026 die „Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den ökologischen Wandel durch besseren Schutz gegen unlautere Praktiken und durch bessere Informationen“ (kurz: Empowering Consumers Directive) umsetzen. Typisch langer Name, typisch auch, dass direkt ein griffiger Titel gefunden wurde: „Greenwashing-Verbot“. Die Richtlinie verbietet irreführende Behauptungen und entsprechende Kennzeichnungen von Produkten, Dienstleistungen und Unternehmen. „Wassersparend“, „biobasiert“, „umweltfreundlich“, „biologisch abbaubar“ – können ja alle sagen! Zukünftig soll das nur noch gehen, wenn die Behauptung auch auf eine zulässige Art belegbar ist. Die nun politisch diskutierte Green Claims Directive baut auf der neuen Nachweispflicht auf und will Regeln schaffen, welche Art von Informationen Unternehmen vorlegen müssen.

Spannend werden könnten die Folgen des Vorhabens für Ausgleichszertifikate. Emissionen durch den Kauf von CO2-Zertifikaten zu kompensieren ist nämlich ein beliebtes Mittel, um zur Behauptung „klimaneutral“ zu gelangen. Diese Praxis soll nun verboten werden und wurde bereits in der Richtlinie zum „Greenwashing-Verbot“ verankert. Einzig wenn der gesamte Wertschöpfungsprozess eines Produkts tatsächlich in sich klimaneutral ist, darf dieser Olymp der Marketing-Claims erklommen werden. Der Urheber dieser Regelung, das EU-Parlament, bezeichnet Umweltangaben basierend auf dem Ausgleich von Umweltauswirkungen als unlauter und irreführend. Zukünftig werden freiwillige Maßnahmen – seien es Ausgleichszertifikate, Siegel oder Aktivitäten wie Aufforstungsprojekte –wohl weniger beliebt sein.

Zurück zur Green Claims Directive: Abgeräumt scheinen die Bestrebungen, an den Schutz von Geschäftsgeheimnissen ranzugehen. Das Problem: Alle Angaben und Nachweise zu den Umweltaussagen sind vor der Veröffentlichung einer Prüfstelle vorzulegen. Diese stellt sodann eine Bescheinigung aus, dass alle Angaben den Tatsachen entsprechen. Da die Nachweise danach allerdings öffentlich zugänglich gemacht werden sollen, bestand die Gefahr, dass sensibelste Geschäftsdaten öffentlich werden. Das Parlament hat sich nun darauf verständigt, Geschäftsgeheimnisse von dieser Veröffentlichungspflicht auszunehmen. Dem wird auch der Rat wohl so folgen, sodass Unternehmen hier keinen zu tiefen und möglicherweise geschäftsschädigenden Blick in die Bücher fürchten müssen. Aber: Die allseits geforderte Bürokratieentlastung sieht anders aus…

Wie geht’s nun weiter auf dem Weg zu den neuen Klimaaussagen? Das Europäische Parlament hat seinen Standpunkt bereits beschlossen, der Rat verhandelt seine Position derweil weiter. Nach der Europawahl werden sich Parlament und Rat mit der Kommission zu den Trilog-Verhandlungen zusammenfinden und einen Kompromisstext hervorbringen. Wir dürfen gespannt sein, ob das Parlament dabei auf all seinen Punkten besteht. Denn mit möglichen anderen Mehrheiten und neuen Verhandlungsführern könnte sich auch manche Priorität für die Volksvertreter verschieben. Eines dürfte aber sicher sein: Die Stoßrichtung hin zu mehr Transparenz für Verbraucher bei der Produktwahl bleibt.