Hat das Hinterzimmer ausgedient?

Der Versuch, politische Debatten zu beeinflussen, ist so alt wie die Politik selbst. Schon im Römischen Reich gab es eine Lobia, eine Vorhalle des Senats, in der es sich nicht nur wandeln, sondern auch diskutieren ließ. Und genauso wie Politik sich verändert, verändern sich auch die Lobbys um sie herum. Statt in Hallen und Fluren sprechen Politiker und Lobbyisten heute in Abgeordnetenbüros und Repräsentanzen, auf Veranstaltungen und in sozialen Medien. Der Interessenvertreter nennt sein Geschäft Public Affairs oder Government Relations. Er wartet nicht auf zufällige Begegnungen, die Branche hat sich professionalisiert und verändert sich. 

Zu den Neuheiten gehört vor allem das Versprechen, dass jetzt alles digital wird. Algorithmen sollen helfen, die Arbeit zu steuern, Gesetzgebungsprozesse zu verfolgen, Stakeholder Maps anzulegen und zu aktualisieren. Konzerne pflegen Politik-Accounts bei Twitter und Facebook, nutzen Whatsapp und Podcasts, um ihre Interessen zu vertreten. Agenturen bieten an, Entscheider gezielt anzusprechen und beispielsweise rund um einen Parteitag in einen Dialog zu verwickeln. 

„Digital Public Affairs“ lautet das Stichwort, doch viele Mitarbeiter im Bundestag sagen, dass es für sie in der Praxis kaum präsent ist. Noch immer kommt stapelweise Post ins Büro, noch immer fragen Lobbyisten persönliche Gespräche an – Social Media hin oder her. „Das Geschäft des Lobbyings ist so alt und klassisch wie eh und je“, sagt eine Interessenvertreterin in Berlin. „Solange es Veranstaltungen mit dem Titel ‚Quo vadis‘ gibt, ändert sich offenkundig nichts.“ Wenn in den Führungsetagen von Verbänden über Jahre kein Wechsel stattfindet, konserviert die Zusammenarbeit eben die Tradition – und ein gutes Netzwerk lässt sich nicht so leicht austauschen wie ein Programm.

Dabei wird auch der Bundestag immer digitaler: Der Druck, auf Social Media aktiv zu sein, wächst. Für Journalisten werden soziale Medien bespielt, viele Zitate schaffen es von Twitter direkt ins Blatt. Bürger wollen Anfragen nicht nur in Sprechstunden und per Brief stellen, sondern auch auf Facebook. Von den durchschnittlich drei Mitarbeitern pro Bundestagsabgeordnetem betreut oft einer die Social-Media-Kanäle mit und hat viel zu tun, erst recht, wenn ein Thema polarisiert und Trolle Aufmerksamkeit ziehen.

Für die Informationsaufbereitung bietet das Netz große Chancen, gerade weil es in Bundestagsbüros nicht nur an Mitarbeitern, sondern auch an Stellfläche mangelt. Theoretisch ist es von Vorteil, wenn Lobbyisten ihre Positionen digital anbieten – praktisch überfordert es den Betrieb, wenn sie nicht schnell auffindbar sind und die Suche auf der Website zu einem bestimmten Thema gleich Hunderte Dokumente listet. „Dann hefte ich mir die Papiere doch lieber ab und schaffe mit Ordnern meine eigene Organisation“, sagt ein Mitarbeiter eines Bundestags­abgeordneten.

Vielleicht braucht die Digitalisierung noch etwas, bis sie die Lobby revolutioniert. Aktuell ist das produktivste Tool der Branche noch immer das persönliche Gespräch – wie im alten Rom. Doch auch die Gespräche ändern sich, sie finden im Schulterschluss mit anderen Unternehmen statt, werden in informeller Runde geführt und über den Tellerrand hinaus. Zeit ist ein knappes Gut, auch in der politischen Kommunikation, und es gibt unterschiedliche Ansätze, wie sich Zeit sparen und Effizienz steigern lässt. politik&kommunikation stellt fünf Ansätze vor, die etwas anders machen wollen in der Lobia.
 

Scheinwerfer für Politiker 

„Das Hinterzimmer hat ausgedient“

Christoph Minhoff
Hauptgeschäftsführer, Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) und Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie
Foto: BLLS. Engelhardt

Der Dachverband der Lebensmittelwirtschaft verbindet seit Jahren Public Affairs mit Public Relations. Der 2012 gegründete und von BLL, BVE und weiteren Verbänden getragene Verein „Die Lebensmittelwirtschaft“ sollte beispielweise helfen, Misstrauen abzubauen, indem er Themen in die Öffentlichkeit trug. Der Fernsehmann Christoph Minhoff, der zeitgleich an die Spitze des Dachverbands trat, trieb diesen Kurs voran. Heute sagt der ehemalige Phoenix-Programmgeschäftsführer: „Die Lebensmittelwirtschaft‘ war die Erkenntnis, dass Lobbying ohne Öffentlichkeit nicht mehr funktioniert. Wir müssen Mehrheiten generieren, hinter denen die Zivilgesellschaft steht.“ Neuestes Projekt ist das „Küchenkabinett“: In Kooperation mit dem Magazin „Cicero“ lädt Minhoff zwei politische Gäste in eine Talkshow ein, um über Lebensmittel zu plaudern und zu essen, was ein Profi nebenher kocht. Finanziert wird das vom BLL, veröffentlicht werden die Videos auf der „Cicero“-Website. Juso-Chef Kevin Kühnert und Juli-Chefin Ria Schröder waren schon zu Gast, Staatsministerin Dorothee Bär (CSU) und Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner ebenfalls. „Wir bauen eine Bühne für Politiker, mit denen wir sonst nicht so leicht ins Gespräch kämen“, so Minhoff. Da ohnehin alles öffentlich werde, nutze man gleich das Scheinwerferlicht fürs Lobbying. „Das Hinterzimmer“, sagt Minhoff, „hat für uns ausgedient.“

 

Fürsprecher für Andere

„Es geht uns nicht mehr nur um Lobbying für die AG“

Ivonne Julitta Bollow
Global Director Corporate Public Policy, Metro
Foto: Jan Voth
 

Die Metro ist geschrumpft: Mediamarkt und Saturn gehören nicht mehr dazu, Real wird verkauft. Das Unternehmen fokussiert sich auf den Großhandel und will in diesem Bereich wachsen. Es bietet jetzt Dienstleistungen für Gastwirte und Kleinunternehmen an, um sie im Alltag zu unterstützen. Und es macht sich in der Interessenvertretung zum Fürsprecher der Szene. „Es geht uns nicht mehr nur um Lobbying für die AG und unsere eigenen Vertriebslinien, sondern auch um die Herausforderungen unserer Kunden“, sagt Ivonne Bollow, Global Director Corporate Public Policy. „Unser Erfolg ist auch davon abhängig, ob Gastronomie vielfältig bleibt.“ „Your Success is our Business“ lautet der Slogan hinter der Strategie, der aus dem Konzernmarketing kommt und den Bollow auf den politischen Bereich überträgt. Die Metro profitiert von dem Ansatz: Sie will die Aufmerksamkeit der Kunden und neue Relevanz gewinnen. Bei manchen Handelsthemen gebe es Schnittmengen mit ureigenen Themen, im Bereich der Digitalisierung zum Beispiel. Andere regulatorische Themen wie Bürokratie für Kleinunternehmer kämen neu hinzu. „Ziel ist es, irgendwann die Herausforderungen unserer Kunden auch als unsere zu begreifen“, sagt Bollow.

 

Lobby zum Mitmachen

„Wir wollen dem ­Lobbying den Charakter 
der Geheim­wissen­schaft nehmen“

Alexander Jung 
Generalbevollmächtigter Berlin und Director Public & Regulatory Affairs Germany, Vattenfall
Foto: privat

Transparenz wird in der Interessenvertretung gern ausgerufen, aber selten konsequent umgesetzt. Vattenfall versucht es, indem der Konzern alle Lobbyinformationen intern teilt. In der Webanwendung Sharepoint liegen Ziele, Pläne, Botschaften und Maßnahmen, im „Politikkalender“ sind alle Gesprächstermine notiert. Alles ist für jeden im Unternehmen einsehbar – für 20.000 Mitarbeiter europaweit. „Wir wollen den Dialog anregen über Lobbying und ihm den Charakter der Geheimwissenschaft nehmen“, sagt Alexander Jung, Generalbevollmächtigter für Berlin. Jeder soll mitreden können und Impulse geben, wenn es um die politische Arbeit geht. Zusammen mit den Fachabteilungen definiert er Ziele, die am Ende eines Zeitraums messbar sind. Zweimal im Jahr gibt es Politik-Workshops mit dem Konzernvorstand, der sich stärker einbringe. „Bei uns passiert viel im regulierten Bereich, da ist es wichtig, die Debatten früh und nicht nur in den Fachabteilungen zu führen“, so Jung. Das Feedback im Unternehmen sei positiv – auch wenn es am Anfang alarmierende Anrufe gegeben hätte, er habe versehentlich geheime Papiere ins Netz gestellt. „Diese Transparenz war neu, wir mussten sie erst einmal erklären und etablieren. Jetzt erleichtert es unsere Arbeit enorm“, sagt er.

 

Von Start-ups 

„Interessenvertreter sollten sich als ­politische Entrepreneure verstehen“


Daniel Florian
Head of Government Affairs Deutschland, Dropbox
Foto: Nils Hasenau

Tech-Firmen und Start-ups wird gern zugesprochen, dass sie besonders dynamisch und kreativ seien. Viele Unternehmen versuchen, das zu adaptieren. Dass auch Public Affairs dynamischer werden müssen, sagt Daniel Florian, Leiter Regierungsbeziehungen bei der Kollaborationsplattform Dropbox: „Die 24/7-Berichterstattung, der harte Wettbewerb um Aufmerksamkeit und eine zunehmende Volatilität im politischen Raum führen dazu, dass sich Situationen schnell ändern können. Dem müssen auch Public Affairs Rechnung tragen.“ Noch immer brauche man Strukturen, aber sie sollten flexibler sein. Florian plant quartalsweise auf der Basis von festgelegten „Objectives and Key Results“ (OKRs) und zieht wöchentlich Bilanz. Planer und hauseigene Tools sollen ihm helfen, die Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Aufgaben sortiert er nach der „Eisenhower-Matrix“ in vier Kategorien. Solche Organisationsprinzipien und „Produktivitäts-Hacks“ könnten auch politischen Akteuren helfen, ihre Ressourcen smart einzusetzen und kreativer zu sein, sagt Florian. Sie sollten sich als „politische Entrepreneure“ verstehen, um ihr Thema voranzubringen. Eine Revolution des Lobbyings sei das nicht – aber eine grundsätzlich andere Kultur.

 

Raus aus den Netzen

„Man muss vermeiden, dass man sich immer unter seinesgleichen bewegt“


Laura-Kristine Krause 
Co-Vorsitzende, D64 – Zentrum für digitalen 
Foto: GPPi

Der Verein D64 will Netzpolitik gestalten. Er wurde im Umfeld der SPD gegründet und ist inzwischen breiter aufgestellt – auch im Lobbying. Jahrelang ging es darum, ein Thema zu setzen, das heute fest auf der politischen Agenda steht: Die Digitalisierung ist im Mainstream angekommen. Statt als Nische für Nerds positioniert sich D64 über Fachgrenzen hinweg. „Wir müssen nicht mehr die überzeugen, die ohnehin schon engagiert sind“, sagt Laura Krause, Co-Vorsitzende des Vereins. „Wir gehen auf andere Fachbereiche zu, um mit ihnen zu diskutieren.“ Schließlich ist Digitalisierung ein Querschnittsthema. Im Bundeskabinett gibt es nicht ein Ministerium, das die Weichen für Digitalisierung stellt, sondern viele. Wichtige Punkte werden von anderen Ressorts umgesetzt oder ausgebremst. Um trotz knapper Ressourcen alle zu erreichen, will sich D64 als „Anlaufstelle für digitale Kompetenz“ etablieren und Informationen frühzeitig anbieten. „Man muss vermeiden, dass man sich immer unter seinesgleichen bewegt, also unter denen, die ohnehin die eigene Haltung teilen, und immer gleiche Netze pflegt“, sagt Krause. Letztlich sei das eine Haltungsfrage. Und die habe sich im Verein grundlegend verändert.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 126 – Thema: Vor der Europawahl: Deutsche in Brüssel. Das Heft können Sie hier bestellen.