Im Marketing ist das Wort „neu“ ein Garant für Aufmerksamkeit. „Jetzt neu“, „Weltneuheit“, „neu im Kühlregal“. Neu verkauft sich gut. Alt ist oll. Aber nicht immer bedeutet das Label „neu“ auch wirklich, dass eine Sache noch nie dagewesen ist. Im Lobbying verhält es sich ähnlich. Die alte Lobbyschule gilt als angestaubt. Kumpanei und Hinterzimmer haben ausgedient – zumindest offiziell. In Wirklichkeit führt am vertrauensvollen Gespräch und dem verlässlichen Kontakt auch heute kein Weg vorbei. Deshalb gibt es sie noch, die alte Schule, die ein Netzwerk ehemaliger Politiker aufbaut und im Hintergrund agiert, was zu Kritik und einem schlechten Ruf der Branche führt. Berichte im „Spiegel“ über „fragwürdige Methoden“ der Firma Eutop haben erst jetzt wieder zu einer Debatte über ein schärferes EU-Transparenzregister geführt. Für manche kommen Innovationen eben nicht freiwillig.
Allgemein hat die Branche aber Lust auf Veränderung. Neue Ansätze sorgen für mehr Transparenz und machen Lobbyismus weniger angreifbar. „Wir würden gerne etwas Neues machen, aber so einen großen Tanker wie uns dreht man nicht leicht“, sagt eine Lobbyistin in Berlin. Gerade weil Interessenvertretung lange als Geheimwissenschaft galt und ihr Öffentlichkeit fehlt, konservieren sich alte Strukturen. Unternehmen, die sich viel mit Disruption und Wandel beschäftigen, Digitalkonzerne und Banken zum Beispiel, sind schneller dabei, auch ihre Public-Affairs-Arbeit zu reformieren.
Wie neu der Ansatz oder die Maßnahme ist, ist relativ. Wenn ein Konzern auf Politikfolgenabschätzung setzt, ist das Instrument bekannt, aber für den Zweig und in der Konsequenz vielleicht neu. Veranstaltungen wie Parlamentarische Frühstücke, Diskussionsveranstaltungen zum Abend oder Lunch sowie Standortbesuche im Wahlkreis gibt es seit Jahren, aber manches Unternehmen oder mancher Verband probiert etwas Neues aus, erweitert die Gruppe der Gäste, besetzt neue Themen, positioniert sich anders und bricht mit dem, was für das eigene Haus jahrelang als selbstverständlich galt.
Innovationen helfen, „Lobbying weiter zu entmystifizieren“, wie es ein Leiter für Public Affairs formuliert. Auch wenn „alt“ in der politischen Arbeit nicht immer oll ist und wenn nicht jeder die Aufmerksamkeit sucht, die das Wort „neu“ verspricht, können die neuen Ansätze und Maßnahmen, die politik&kommunikation zusammengestellt hat, ein Anreiz dafür sein.
Digital Public Affairs
„Ich will Teil einer Debatte sein“
Andreas K. Gruber, Leiter Public Affairs, DKB (c) DKB
„Digital Public Affairs“ ist ein Schlagwort, das oft viel verspricht, aber wenig hält. Konsequent umsetzen möchte es Andreas Gruber, Leiter Public Affairs der DKB. Gerade im Finanzbereich sei die Themenwelt komplex und eine Unterstützung durch Technik sinnvoll: „Über 1.200 Gesetze, Verordnungen und andere Regularien gab es im letzten Jahr. Ohne technische Lösung ist es schwer, da noch Land zu sehen“, so Gruber. Eine Software hilft ihm jetzt, alle Neuigkeiten zu monitoren. Sie so einzustellen, dass das Ergebnis den Ansprüchen genügt, beanspruche zwar Zeit. „Aber wer die Zeit investiert, ist am Ende weiter.“ Inzwischen scannt die Software auch Social-Media-Aktivitäten der Politiker. Gruber selbst twittert seit 2018 für die DKB, „stark personalisiert“, wie er sagt: „Ich verstecke mich nicht hinter einem Corporate-Affairs-Account, sondern will Teil der Debatten sein.“ Mit einem Tweet könne man vorfühlen, wie die politische Stimmung sei, Emojis würden wie Sensoren funktionieren, die zeigen, was die Haltung zu einem neuen Thema ist. Manches Gespräch wurde durch den Austausch auf Twitter auch erst initiiert, sagt Gruber. „Man muss sich einlassen auf das Digitale, dann zahlt es sich auch aus.“
Allianzen
„Unsere Petition war Notwehr“
Paul Wolter, Leiter Politik und Kommunikation, Bundesverband Deutsche Start-ups (c) privat
Allianzen sind im Lobbying gang und gäbe. Der Bundesverband Deutsche Start-ups hat ihnen 2018 ein neues Gesicht gegeben: Mit der Aktion „Digitalminister gesucht“ hat er rund 50 Organisationen vereint, die mittels Stellenanzeige einen Posten für Digitales forderten. Viele hatten nach den Koalitionsverhandlungen kritisiert, dass im Kabinett weder ein Ressort noch ein Staatsministerium für Digitales vorgesehen war. „Aber nur Kritik reichte nicht. Unsere Petition war Notwehr“, sagt Paul Wolter, Leiter Politik und Kommunikation des Start-up-Verbands. Die Online-Petition war innerhalb von zwei Tagen eingerichtet und bekam viel Aufmerksamkeit. Möglichst schnell und breit möchte der Verband auch jetzt auftreten: Zusammen mit dem französischen Start-up-Verband France Digitale will er unter dem Titel „The United Tech of Europe“ einen europäischen Dachverband aufbauen. Doch so eine Gründung dauert. Die schnelle Form ist eine kommunikative Allianz: Name, Marke, Design, Positionspapier und Landingpage. Jeder, der mitmacht, kann und soll die Marke nutzen. „Immer mehr Rahmenbedingungen werden von der EU bestimmt. Und um mit China oder den USA zu konkurrieren, muss man europäisch denken, nicht national“, so Wolter.
Community
„Wir wollen ein Coworking Space sein“
Simone Wiessmeyer, Public Affairs Expert, ING (c) Annette Koroll Fotos
Die ING hat ihren Namen geändert: Das „Diba“ ist weg. Die Markenfarbe bleibt: Orange. Sie war namensgebend für den „Orange Morning Club“, das Parlamentarische Frühstück der Bank mit politischen Entscheidern in Berlin. Seit März gibt es kein Frühstück mehr, sondern den „Orange Club Power Lunch“. Eingeladen werden nicht Bundestagsabgeordnete, sondern Mitarbeiter und Referenten aus Parlament, Ministerien, Start-ups und Verbänden. Im Mittelpunkt steht ein Thema, an dem alle gemeinsam arbeiten. „Wir wollen ein Coworking Space sein und eine kleine Gruppe zusammenstellen, die einen inhaltlichen Mehrwert generiert“, sagt Simone Wießmeyer, Public Affairs Expert der ING und verantwortlich für das neue Format. Das Gespräch mit Entscheidern bleibe wichtig, aber neue Wege seien nötig, um mehr auf Zusammenarbeit zu setzen und die Arbeitsebene einzubeziehen. Dafür will die Bank nach und nach eine Community aufbauen (den „Orange Club“) und als Plattform agieren. Vieles gibt es noch nicht, der Start sei eine Beta-Version, das Format werde parallel weiterentwickelt. „Agilität beschäftigt unsere gesamte Bank: Man muss heutzutage schnell sein und auch mal etwas ausprobieren. Das gilt eben auch für Public Affairs“, so Wießmeyer.
Policy Modelling
„An die pragmatische Mitte appellieren“
Maximilian Jell, Leiter Regulatory Affairs & Reduced Risk Products, Philip Morris (c) Philip Morris
Mit fragwürdigen Studien hat die Tabaklobby lange behauptet, dass Rauchen nicht schädlich sei. Das ist widerlegt. Dem Ruf hat es geschadet. Maximilian Jell nutzt bei Philip Morris das Wissen anderer und einen Ansatz, den er „Policy Modelling“ nennt: Anhand „anerkannter Gesundheitsindikatoren“ und eigener Marktzahlen lässt der Leiter Regulatory Affairs and Reduced Risk Products Politikfolgenabschätzungen von Firmen wie Roland Berger erstellen. „Wir nehmen das aktuelle Problem, vor dem ein Regulierer steht, und zeigen ihm anhand von Fakten, welche Alternativen es gibt und mit welchen Chancen und Risiken sie verbunden sind“, so Jell. Jugendschutz und Aufklärungskampagnen zum Beispiel hätten zwar Einsteiger erreicht, aber nicht die Personen, die seit zwanzig Jahren rauchen – was wiederum den Umstieg auf „Produkte mit reduziertem Risiko“ ins Spiel bringen soll. „Wir evaluieren Szenarien und helfen so, politische Optionen aufzuzeigen, statt nur gegen etwas zu sein“, sagt Jell. Fakten seien wichtiger denn je: „Die Debatte wird polarisierter. Gerade bei Themen, die so kontrovers diskutiert werden wie unsere, müssen wir an die pragmatische Mitte appellieren und helfen, die Debatte zu versachlichen.“
Interne Formate
„In beide Richtungen wirken“
Nina Keim, Director Government Affairs, Salesforce Germany (c) privat
Salesforce positioniert sich gern über gesellschaftliche Themen. Der Gründer und CEO des Software-Anbieters, Marc Benioff, appellierte in Davos, Konzerne sollten Verantwortung statt Gewinn als ihr oberstes Ziel verstehen. „Wir sind als Unternehmen stark durch unsere Werte geprägt, und für diese möchten wir auch öffentlich eintreten“, sagt Nina Keim, Leiterin Government Affairs in Deutschland. Sie hat ein Format eingeführt, das dieser Haltung gerecht werden soll: „Government Affairs Speakers Series“. Bei Standortbesuchen von Politikern lädt sie Mitarbeiter ein, mit den Gästen ins Gespräch zu kommen: In einem Townhall Meeting können sie Fragen stellen, egal ob es um Datenschutz, Mietpreisbremse oder einen Kitaplatz geht. Der Austausch mit Entscheidern soll sich laut Keim doppelt lohnen: Politiker bekämen einen Einblick ins Unternehmen, Mitarbeiter hoffentlich mehr Interesse an Politik. Begleitet wird die Serie 2019 durch eine interne Kampagne zu bürgerschaftlichem Engagement, Demokratie und Wahlen mit Erklärtexten im Intranet. „Es geht uns darum, dass Government Affairs nicht mehr nur auf Lobbying reduziert wird, sondern dass wir in beide Richtungen wirken und damit auch intern eine Meinungsbildung unterstützen“, so Keim.
Geschäftsstelle
„Die Zeit von Closed Shops ist vorbei“
Fabian Zacharias, Leiter Public Affairs, Bitkom (c) Bitkom
Der Bitkom, eigentlich Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien, nennt sich selbst „Digitalverband Deutschlands“. Jetzt will er auch „Ort der Digitalisierung“ sein: Bis zum September baut der Bitkom seine Geschäftsstelle um. Neben einer „Veranstaltungsarena“ soll auch die Gemeinschaftsküche für Besucher zugänglich sein. „Die Zeit von Closed Shops ist vorbei“, sagt Fabian Zacharias, Leiter Public Affairs des Verbands. Schon jetzt stellt der Bitkom ins Netz, was er im Lobbying einsetzt, veröffentlicht Positionspapiere, streamt Events, produziert Podcasts und twittert Wahlprüfsteine. Dass er auch physisch offener wird, nennt Zacharias eine logische Konsequenz: „Beides sind zwei Seiten einer Medaille, von Gesprächsbereitschaft und Transparenz.“ Um mit Politikern ins Gespräch zu kommen, nutzt der Bitkom verstärkt die Start-ups im Verband: Es gibt ein „Gründerfrühstück“ und den „Policy Pitch“, bei dem Vertreter von Parteien um die Gunst der jungen Unternehmen werben. „Wir vertauschen die Rollen“, sagt Zacharias. „Beide Seiten profitieren davon, dass es den Austausch gibt und wir auf die klassische Übersetzung verzichten.“ Zumindest ab und an.
Sie haben auch einen neuen Lobbyansatz ausprobiert oder kennen jemanden, der neue Wege in der Public‑Affairs-Arbeit geht? Dann schreiben Sie uns an info@politik-kommunikation.de. Wir stellen in regelmäßigen Abständen neue Methoden der Interessenvertretung vor.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 127 – Thema: Vertraulichkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.