Die Kanzlermacher

Berlin-Mitte, Unter den Linden

Vom Lifestyle-Magazin „Architectural Digest“, das 2011 seine Redaktionsräume in Berlin aufgab, um zurück nach München zu ziehen, ist nur der Fußabtreter geblieben. „AD“ steht auf der Matte am Eingang, auf der sich seit einigen Monaten die Mitarbeiter der Agentur „Blumberry“ die Schuhe abputzen.
Für die Räume im Dachgeschoss eines Bürogebäudes an Berlins Top­adresse Unter den Linden als Unternehmensstandort hat sich Lutz Meyer bewusst entschieden. „Als Agentur sitzt man eigentlich nicht Unter den Linden, man sitzt in Kreuzberg“, sagt der Gründer und Geschäftsführer von Blumberry etwas herablassend. Dem 44-Jährigen gefällt es sich sichtlich, sich von der Berliner Kreativbranche abzuheben, indem er eine ironische Distanz zu ihren vermeintlichen Gepflogenheiten und ungeschriebenen Gesetzen vor sich her trägt.
Kurz vor Weihnachten hat der promovierte Politologe den CDU-Etat für den Bundestagswahlkampf geholt. Das sorgte für eine gewisse Aufmerksamkeit. Denn Meyer war viele Jahre SPD-Mitglied, von 1998 bis 2000 Sprecher von SPD-Innenminister Otto Schily und im Wahlkampf 2002 als Büroleiter des damaligen SPD-Wahlkampfmanagers Matthias Machnig maßgeblich an der „Kampa“ beteiligt, die der SPD unter Gerhard Schröder zum Wahlsieg verhalf.
Oder ist Meyer gerade wegen seiner „Kampa“-Vergangenheit für die CDU interessant? Glauben die Konservativen, in ihm einen Partner zu haben, der weiß, wie der politische Gegner tickt? Diese Vermutung weist Meyer, der 2005 aus  aus der SPD austrat, von sich.
Den Grund für den Zuschlag vermutet er woanders: „Es gibt in Berlin eine überschaubare Gruppe von Menschen, die über langjährige Erfahrungen mit politischen Kampagnen verfügen“, so Meyer. Unter Mangel an Selbstbewusstsein („Die Bewerbung von Erbsen in Dosen überlassen wir anderen.“) leidet der gebürtige Nordfriese, der 2003 aus dem Politikgeschäft aus- und ins Agenturgeschäft eingestiegen ist, offensichtlich nicht. Nach mehreren Jahren als Geschäftsführer bei Fischer-Appelt und Scholz & Friends gründete er 2011 mit Blumberry seine eigene Agentur.
Dass Merkels neuer Kampagnenmacher sein Handwerk versteht, hat er zuletzt mit der Stiftungskampagne „Ich will Europa“ bewiesen – ein sperriges Thema, von Blumberry geschickt inszeniert. Auch Merkel fand sie offensichtlich überzeugend.
Gut möglich, dass sich da zwei gefunden haben. Kreativität als Selbstzweck ist dem Werber ein Graus. Ein Ansatz, der der Kanzlerin gefallen dürfte, die einen wenig visionären, pragmatisch-effizienten Politikstil pflegt. Was die Blumberry-Philosophie für die Wahlkampagne der CDU bedeutet, lässt sich Meyer aber nicht entlocken.
Ihren Pitch jedenfalls gewann Blumberry mit Sprüchen wie „Träume kennen keine Grenzen. Politik sollte auch keine setzen.“ Nett, aber auch langweilig. Die Wahrscheinlichkeit, dass 2013 eine Neuauflage des Kuschelwahlkampfes von 2009 droht, scheint mit der Verpflichtung von Blumberry jedenfalls nicht kleiner geworden zu sein.

Berlin-Kreuzberg, ­Reichenberger Straße

In dem heruntergekommenen Hinterhof klebt ein gelber Zettel mit der Aufschrift „Super J+K“. Zwei Treppen hoch im Seitenhaus, über einer trendigen Make-up-Schule, hat das Joint Venture der Agenturen „Super an der Spree“ und „Johanssen+Kretschmer“ ein paar Räume bezogen.
Hier tüfteln die beiden Geschäftsführer Karsten Göbel und Heiko Kretschmer mit Kreativchef Stefan Trabant und einem guten Dutzend Mitarbeiter an einer Aufgabe, die man ohne Übertreibung als Herausforderung bezeichnen kann: der SPD zum Wahlsieg und Kanzlerkandidat Peer Steinbrück zum Einzug ins Kanzleramt zu verhelfen.
Dass die Chancen dafür eher schlecht stehen, davon wollen die drei Kampagneros nichts wissen. Die miesen Umfragewerte für Steinbrück und die SPD? Würden als „Momentaufnahmen“ nicht unbedingt die Realität der Wahlentscheidung widerspiegeln, erklärt Kretschmer und verweist auf „kurzfristige Wahlentscheidungen und volatile Wahlbeteiligung“.
Auch die kritische Medienresonanz auf Steinbrücks Nebeneinkünfte und seine Äußerungen zum Kanzlergehalt kommentiert der 45-Jährige betont gelassen. „Gerade in hochmobilisierten Wahlkampfsituationen gibt es immer wieder Belege dafür, dass sich die öffentliche Meinung an den Medien vorbeibildet“, sagt das frühere Juso-Vorstandsmitglied   und verweist unter anderem auf die Niedersachsenwahl. Dort habe sich gezeigt, dass „die Wähler sich mitunter nicht für das interessieren, was die Medien so diskutieren. Darum ist das Rennen komplett offen.“
Die Sozialdemokraten waren die ersten, die ihren Etat für den Bundestagswahlkampf 2013 vergaben. Bereits im Herbst 2011 ging der Zuschlag an das Agenturenduo, das daraufhin Super J+K als Agentur für politisches Campaigning gründete.
Ein Jahr später allerdings setzte ihnen Sigmar Gabriel ohne Ausschreibung eine andere Agentur vor die Nase: „Aimaq von Lobenstein“ (AvL), bekannt vor allem für Werbung für Nike und Nutella, sollte nach dem Willen des SPD-Chefs für den Online-Wahlkampf zuständig sein.
Ein Affront gegenüber Andrea Nahles, die als Generalsekretärin für den SPD-Wahlkampf zuständig ist. Und gegenüber der Agentur ihres Vertrauens Super J+K, die um ihren Status als Lead­agentur fürchten musste.
An der Entwicklung einer Wahlkampfstrategie ließen sich die Kreuzberger dadurch nicht abhalten. Von einer „Kampagne völlig neuen Typs“ spricht Göbel. Man will nah ran an den Wähler, einen „Dialog auf Augenhöhe“ führen: „Der Haustürwahlkampf wird eine zentrale Bedeutung haben.“
Anregen lassen haben sich die SPD-Kampagnenmacher von den Wahlkämpfen um das Oberbürgermeisteramt in Frankfurt a. M. und Bremen. Dort hätten die SPD-Kandidaten Peter Feldmann und Jens Böhrnsen ihre Wahlhelfer im großen Stil zu den Bürgern nach Hause geschickt – und die Wahlen gewonnen.
Auch die Präsidentschaftswahlkämpfe in den USA und Frankreich haben Göbel und seine Mitstreiter genau beobachtet. Um sich im Gespräch mit Obamas Wahlkampfmanager Jim Messina Inspiration zu holen, reiste Kretschmer eigens in die USA, wo der Wahlkampf von Haustür zu Haustür der neueste Retro-Trend ist.
Dabei setzen sie auf das Mobilisierungspotenzial der alten Tante SPD, das viel größer sei als das der CDU. Und außerdem, so Göbel: „Was Merkel nicht kann, ist Wahlkampf.“ Eine Wiederholung des Kuschelwahlkampfs von 2009 wollen sie unbedingt verhindern: „Merkels Versuch, die Wähler einzulullen, wird auf Dauer nicht funktionieren“, gibt sich Göbel überzeugt. Man wolle die Beliebigkeit ihrer Positionen angreifen. Negative Campaigning, wie es in den USA üblich ist, werde es aber nicht geben.
Ob ihre Strategie aufgehen wird? In eigener Sache immerhin konnte ­Super J+K kürzlich einen Erfolg verbuchen: AvL ist in Sachen Bundestagswahlkampf aus dem Rennen, die Agentur ist jetzt ausschließlich für die Kampagne zum 150-jährigen Jubiläum der SPD zuständig.

Berlin-Kreuzberg, Schlesische Straße

Gar nicht weit entfernt von „Super J+K“, im so genannten Wasserschloss der Mediaspree, sitzen die Kampagnenmacher der Grünen. Fast schon klischeehaft in einer weitläufigen Fabriketage mit Flipper im geräumigen Eingangsbereich und einem fantastischen Blick auf die an diesem Wintertag von kleinen Eisschollen übersäte Spree.
Partei und Agentur kennen sich bestens: Die „Hirschen“ sind die „Hausagentur“ der Grünen, sie haben schon bei den vergangenen drei Bundestagswahlkämpfen deren Kampagnen betreut. Verantwortlich für den diesjährigen Wahlkampf ist wie schon 2009 Hans-Hermann Langguth, Geschäftsführer PR und Political Affairs bei den Hirschen.
Der Mittvierziger entspricht nicht gerade dem Bild eines hippen Werbers: zeitloser Kurzhaarschnitt, klassische Blue Jeans, schlichter schwarzer Pullover – rein äußerlich könnte man sich Langguth eher in einer Behörde vorstellen. Doch der äußere Eindruck täuscht: Das Gespräch mit dem Spindoctor ist genauso spannend wie seine Vita.
Langguth, im thüringischen Eisfeld geboren, begann seine berufliche Laufbahn als Journalist. 1999 dann der Wechsel in die Politik, erst als Pressesprecher bei den Grünen, dann als stellvertretender Regierungssprecher. Nach dem Ende von Rot-Grün 2005 wechselte er schließlich in die Agenturbranche – zu den Hirschen, dessen Auftraggeber er einst war. Bereut hat er den Seitenwechsel bisher nicht: „Werbung und Wahlkampf fand ich schon immer spannend“, sagt Langguth, der sich selbst als „Generalist mit gesundem Halbwissen“ bezeichnet.
Agentur und Partei ein eingespieltes Tandem, glänzende Umfragewerte für die Grünen – wird der bevorstehende Wahlkampf also zum Selbstläufer? „Ich bin bei Wahlkämpfen ein Anhänger vom Rudern, nicht vom Segeln“, sagt Langguth und meint damit, dass zuviel Routine auch gefährlich sein kann.
Dem will die Agentur entgegensteuern, indem sie Kreative vom Kölner Standort, die normalerweise mit Politik nicht viel am Hut haben, für einige Wochen nach Berlin holt. Er habe die Erfahrung gemacht, „dass eine Mischung aus politikferner und politiknaher Herangehensweise oft am kreativsten ist und zu sehr guten Ergebnisse führt“, erklärt Langguth.
Bereits in Baden-Württemberg verfolgten die Hirschen diese Strategie – das Ergebnis ist bekannt. Die Kampagne zur Bundestagswahl im September werden rund 20 Mitarbeiter entwickeln. Mit an Bord ist die Agentur „ressourcenmangel“, die zur Hirschen Group gehört und vornehmlich die digitalen Kanäle bespielen wird. Eine Trennung in Online- und Offline-Wahlkampf wird es aber nicht geben, die Agenturen tüfteln gemeinsam im „War Room“ an der richtigen Strategie.
Wie diese aussehen wird? Auf jeden Fall seien persönliche Gespräche sehr wichtig, meint Langguth, nur zu aufdringlich dürften sie nicht sein. Wohnzimmergespräche à la Steinbrück wird es also mit Katrin Göring-Eckardt und Jürgen Trittin eher nicht geben. Mit den vielen jungen Wählern der Grünen will man übers Netz ins Gespräch kommen, das Format „3 Tage Wach“, bei dem in den letzten 72 Stunden vor der Wahl die Wähler online ihre Fragen stellen können, ist auch dieses Jahr wieder geplant.
Ein klassischer Zielgruppenwahlkampf der Grünen ist hingegen nicht zu erwarten. Zu breit sei das Wählerspektrum der Partei mittlerweile, meint Langguth. Dass andere Parteien – insbesondere CDU und Piraten – zunehmend originär grüne Themen wie Umweltschutz und Partizipation besetzen, sieht der ehemalige Grünen-Sprecher gelassen: „First come, first served.“ 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die Kanzlermacher – Zu Besuch in Deutschlands Wahlkampfagenturen. Das Heft können Sie hier bestellen.