Vertrauen ist gut, Erfahrung ist … auch gut

Ministerien

Boris Pistorius hat es geschafft: Aus dem Stand (in seinem Fall dem niedersächsischen Landesinnenministerium) hat er sich an die Spitze der Beliebtheitsskala aller deutschen Politiker gesetzt. Auch die Truppe scheint ihm zu vertrauen – doch wem vertraut Pistorius? Zunächst einmal derselben Mannschaft wie seine glücklose Vorgängerin Christine Lambrecht, unter ihnen die Lambrecht-Vertraute Margaretha Sudhof. Inmitten einer schwierigen sicherheitspolitischen Lage und ohne die üblichen 100 Tage Eingewöhnungszeit eine nachvollziehbare Entscheidung.

In Zeiten von Regierungswechseln sieht das oft anders aus. Wenn neue Ministerinnen in die Ministerien einziehen, das Ressort wechseln oder ganz aus ihren Ämtern ausscheiden, beginnt auch auf den unteren Führungsebenen oft ein munteres Stühlerücken. Wie jede Führungskraft bringt auch ein neuer Minister eigene Leute mit, dafür müssen andere weichen. Oft bleibt aber zumindest eine Partei auf der Regierungsbank sitzen.

In dieser Legislatur war das die SPD. Von den drei Sozialdemokraten, die bereits im letzten Merkel-Kabinett saßen, blieb nur Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil auf seinem Posten. Svenja Schulze zog mit ihrem Staatssekretär Jochen Flasbarth vom Umweltministerium ins Entwicklungsministerium. Christine Lambrecht nahm, wie schon erwähnt, ihre Staatssekretärin Margaretha Sudhof mit vom Justiz- ins Verteidigungsministerium, aus dem sie sich jetzt verabschiedete.

Klar ist: Minister brauchen Leute, auf die sie sich verlassen können. Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist dafür das beste Beispiel: Seine Vertrauten begleiten ihn seit Jahren. Auch ins Kanzleramt sind Wolfgang Schmidt und Jörg Kukies ihm gefolgt. Sollten Minister also die Führungsposten ihrer Behörde einfach mit treuen Weggefährten besetzen? So einfach ist das nicht. Gerade bei komplizierten Fachbereichen kann das nach hinten losgehen – oder wenn sich die Großwetterlage gewaltig ändert.

BMWK: Das Transformationsministerium

Robert Habeck kann ein Lied davon singen. Mit dem ehemaligen Grünen-Chef und seinem neuen Haus, dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (neuerdings Klimaschutz, trafen zwei unterschiedliche Welten zusammen. Habeck stellte sein neues Ressort als Transformationsministerium auf. Deshalb stellte er den klimaneutralen Umbau der deutschen Wirtschaft in den Vordergrund. Das Wirtschaftsministerium steht allerdings seit jeher in der ordoliberalen Tradition von Ludwig Erhard und gilt als stockkonservativ. Unter Habecks Vorgänger Peter Altmaier (CDU) sahen nicht nur weite Teile der Klimabewegung das Haus als Bremsklotz.

Entsprechend konsequent baute der erste Grüne im Amt sein Ministerium um. Bei der Auswahl seiner Staatssekretäre setzte Habeck auf eine Mischung aus Regierungserfahrung, fachliche Expertise und vertrauten Gesichtern. Aus seiner Heimat Schleswig-Holstein holte er Finanzstaatssekretär Udo Philipp, dazu Sven Giegold (langjähriger Europaparlamentarier) und Anja Hajduk (ehemals Senatorin in Hamburg und Bundestagsabgeordnete) – alles Parteifreunde. Der zentrale Mann in Habecks Ministerium ist Patrick Graichen, Gründer und Direktor des Think-Tanks Agora Energiewende, der zwischen 2001 und 2012 bereits im Bundesumweltministerium die grünen Kernthemen Energie und Klima bearbeitet hatte – zuletzt als Referatsleiter. Mit ihm will Habeck die schwierige Umgestaltung der deutschen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität bewältigen.

Das bekamen auch die Abteilungsleiter zu spüren. Von vormals elf unter Vorgänger Altmaier durften nur drei bleiben, jene mit Zuständigkeit für Wirtschaftspolitik, Europapolitik und Mittelstandspolitik. Alle Chefposten von Abteilungen, die für die Themen Energie und Klima zuständig sind, besetzte Habeck neu. Unter dem neuen grünen Minister, so die Botschaft, hat das Thema einen höheren Stellenwert.

Der Kriegsausbruch in der Ukraine und die darauffolgende Energiekrise machten den Plänen jedoch zunächst einen Strich durch die Rechnung. Plötzlich stand statt des Themas Transformation das Thema Energiesicherheit auf der Tagesordnung und beschäftigte große Teile des Hauses. Habeck reagierte darauf im November. Er gründete eine neue Abteilung für Energiesicherheit, die diese Aufgaben fortan gebündelt bearbeitet. Mit der Leitung der neuen Abteilung betraute er Philipp Steinberg, der schon seit Sigmar Gabriel (SPD) als Abteilungsleiter als wichtige Stütze im BMWK gilt. Zum Jahreswechsel waren die Gasspeicher voll – bei komplettem Verzicht auf russisches Gas.

BMF: Der ewige Gatzer

Wenn ein Minister ohne Regierungserfahrung auf ein kompliziertes Ressort trifft, gilt die alte Fußballweisheit: Never change a winning team. Zumindest in der ersten Spielphase hat sich Christian Lindner daran gehalten. Als der FDP-Chef ins Bundesfinanzministerium einzog, hatten allerdings drei der vier Staatssekretäre, die in der vorigen Legislaturperiode unter Olaf Scholz (SPD) tätig waren, ihre Büros geräumt. Wolfgang Schmidt und Jörg Kukies folgten ihrem Chef ins Bundeskanzleramt, während Rolf Bösinger sich der Scholz-Vertrauten Klara Geywitz im Bauministerium anschloss. Übrig blieb mit Haushaltsstaatssekretär Werner Gatzer dafür ein absolutes Urgestein.

Gatzer gilt als mächtigster Beamter Deutschlands. Er ist mit großem Abstand der Dienstälteste unter den deutschen Staatssekretären. Seit ihn der damalige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) während der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel (CDU) vom Leiter des Leitungsstabes zum Staatssekretär befördert hat, diente Gatzer unter vier Ministern aus drei verschiedenen Parteien. Wolfgang Schäuble (CDU) wollte 2009 auf seine Expertise nicht verzichten. Olaf Scholz holte ihn nach der komplizierten Regierungsbildung 2018 sogar zurück ins BMF, nachdem Gatzer sich bereits einen Versorgungsposten bei einer Deutsche-Bahn-Tochter gesichert hatte.

Auch Christian Lindner kam nicht um Werner Gatzer herum. Lindner übernahm sein Amt ohne Regierungserfahrung und hatte noch nie einen so großen Apparat geführt. Neben der fachlichen Qualität Gatzers brauchte Lindner auch dessen Erfahrung und tiefe Kenntnis des Hauses. Gatzer hat in den acht Jahren unter Schäuble, vier davon mit der FDP als Koalitionspartner, bewiesen, dass seine Loyalität über Parteigrenzen hinweg dem Minister und seinem Haus gilt. Lindner wiederum sandte mit dem Festhalten an Gatzer ein wichtiges Signal der Demut in sein Haus: Ich verlasse mich auf euch und bin bereit, von euch zu lernen.

Auch sonst legte Lindner viel Wert auf Expertise und Regierungserfahrung. Aus dem Ruhestand holte er Carsten Pillath, der zuletzt Generaldirektor für Wirtschaft und Soziales bei der EU war und nun für Europapolitik zuständig ist. Zur für Steuern zuständigen Staatssekretärin berief er die Ökonomin und CDU-Politikerin Luise Hölscher. Gänzlich verzichten wollte Lindner auf Vertraute jedoch auch nicht. Seinen Parteifreund Steffen Saebisch (Hauptgeschäftsführer der Friedrich-Naumann-Stiftung) betraute er als Staatssekretär unter anderem mit den wichtigen Abteilungen L (Leitung und Kommunikation) und Z (Zentralabteilung). Unter Scholz hatte der heutige Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt diese Rolle inne – ein Fingerzeig, wie wichtig es ist, die „strategische Infrastruktur“ eines Hauses mit Vertrauten zu besetzen.

Die übrige Leitungsebene übernahm Lindner weitgehend. Lediglich mit der Berufung des Freiburger Wirtschaftsprofessors Lars Feld zu seinem persönlichen Berater setzte er ein (neo-)liberales Ausrufezeichen. Erst im Januar tauschte Lindner vier Abteilungsleiter gleichzeitig aus. Damit zeigte er, dass er nach einem Jahr im Amt angekommen ist und nun das Wissen und Standing hat, sein Haus nach seinen Vorstellungen umzubauen.

Das wird er ohnehin weiterhin tun müssen: Carsten Pillath geht Anfang April in den Ruhestand und wird vom Diplomaten Heiko Thoms ersetzt. Auch auf den ewigen Werner Gatzer wird Lindner bald verzichten müssen. Er wird im November pensioniert.

BMG: Corona first

Im Vergleich zu BMWK und BMF ist das Bundesgesundheitsministerium ein eher überschaubares Haus – auch wenn es unter Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) im Zuge der Coronapandemie von 700 auf mehr als 1.000 Mitarbeiter angewachsen ist. Unter Spahn war im BMG mit Thomas Steffen lediglich ein Staatssekretär angestellt. Der neue Minister Lauterbach holte noch die Sozialdemokratin Antje Draheim dazu. Sie war Gesundheitsstaatssekretärin in Mecklenburg-Vorpommern und hat in verschiedenen Funktionen auf Landesebene Regierungs- und Administrationserfahrung gesammelt.

Mit einer ausgewiesenen Expertin besetzte Lauterbach im Januar 2022 den Posten der Pandemiemanagerin. Ute Teichert, die Verbandschefin der Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen, galt als Wunschlösung für die Leitung der von Spahn geschaffenen Abteilung zur Pandemiebekämpfung. Im Winter 2021/22 befand sich Deutschland mitten in der dritten Coronawelle (Omikron-Variante), die Impfkampagne lief nur langsam an. Der Lage schnell Herr zu werden hatte für den neuen Minister also Priorität.

Darüber hinaus verzichtete Lauterbach darauf, Schlüsselpositionen mit Vertrauten zu besetzen. Staatssekretär Thomas Steffen, ein Spahn-Weggefährte, blieb sogar auf expliziten Wunsch Lauterbachs länger im Amt. Steffen selbst übergab dem neuen Minister zur Begrüßung einen Nussknacker mit dem Hinweis, dass der Minister nun die richtig dicken Nüsse zu knacken habe. Die implizite Botschaft an den als Eigenbrötler verschrienen Lauterbach: Das geht nur zusammen mit uns.

Wie Lindner ist Lauterbach ein Neuling darin, einen großen Apparat wie ein Bundesministerium zu führen. So ist es nachvollziehbar, dass er – zumal inmitten der Coronakrise – auf die Regierungserfahrung baute, die er in seinem neuen Haus vorfand. Die Kehrseite: Anders als Lindners BMF, das an entscheidenden Stellen (etwa Haushalt) weniger von Ideologie als von Notwendigkeit bestimmt wird, spielt Parteipolitik im BMG eine weitaus größere Rolle. Das wurde deutlich, nachdem die Coronawelle überstanden war: Finanzierungslücke bei der gesetzlichen Krankenversicherung, Pflegenotstand und die größte Krankenhausreform seit Jahrzehnten. Es stehen zukunftsweisende Entscheidungen an, die Raum für Gestaltung lassen. Hier ähnelt Lauterbachs Haus eher dem BMWK, dem Habeck mit seinen Personalwechseln einen Kurswechsel verordnet hat. Allgemein gilt jedoch auch: Selbst wechselfreudige Minister gehen nur selten bis auf die Ebene der Referenten und Referatsleiter herunter. Dort wird also auch nach Regierungswechseln meist unverändert weitergearbeitet.

Im vergangenen Jahr kam das Personalkarussell in Lauterbachs Haus doch noch in Bewegung. In der Abteilung Krankenversicherung versetzte Lauterbach die von Spahn geholte bisherige Leiterin in eine Unterabteilung, um Platz zu machen für Michael Weller, den damaligen Politikchef des GKV-Spitzenverbandes. Der SPD-Mann sollte ihm den Rücken bei der Reform der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen freihalten. Weitere Wechsel wurden ausgelöst durch die Abgänge einiger Spahn-Leute wie dem Leiter der Abteilung Digitalisierung, der in die Wirtschaft wechselte. Lauterbach, so scheint es, hat noch viel vor. Ein bisschen Rückendeckung aus dem Haus kann da nicht schaden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 142 – Thema: Künstliche Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.