„Table-Briefing heißt Tiefe statt These“

Interview

Herr Turner, Sie haben kürzlich beklagt, dass es zu wenige Journalisten mit Unternehmersinn gibt und zu wenig Venture Capital in die Medienbranche fließt. Warum ist das so?

Turner: Die Talente, die vor allem das Unternehmertum suchen, werden von den Branchen angezogen, die besonders stark skalieren können, wie E-Commerce. Deswegen ist es klüger, die potenziellen Unternehmertalente und Investoren zu entdecken, die bereits eine Leidenschaft für Journalismus haben.

Bröcker: Im Journalismus wird wenig skaliert. Das geht höchstens noch im englischsprachigen Markt, weil die Wachstumspotentiale dort größer sind. In Deutschland geht das normalerweise nicht, hier sind wir aktuell eine Ausnahme.
Turner: Welche Skalierung das Briefing-Modell bietet, da tasten wir uns gerade erst heran. Wir entdecken dabei immer wieder Neues.

Stichwort Fachpresse: Herr Turner, Sie gelten als Erfinder der Tagesspiegel-Background-Briefings. Jetzt arbeiten Sie auf eigene Rechnung. Ich schließe daraus, dass das Professional Briefing Modell finanziell reizvoller ist, wenn keine klassische Redaktion dranhängt?

Turner: Nein. Das Briefing-Modell ist in vielen Konstellationen reizvoll – man kann damit sogar den Turnaround einer Tageszeitung schaffen. Als ich 2013 in die Gruppe von Dieter von Holtzbrinck kam, hatten Handelsblatt und Zeit bereits klare, tragfähige Konzepte und waren unangefochtene Nr. 1 in ihren Segmenten. Der Tagesspiegel war das Familienmitglied, von dem man noch nicht so genau wusste, was denn aus ihm werden soll und unter den Berliner Tagesblättern war er hinter Berliner Zeitung, BZ und Morgenpost auf Platz 4. Mit dem Briefing-Ansatz kam der Tagesspiegel in wenigen Jahren in Berlin zu profitablem Wachstum und auf Platz 1. Als das erreicht war, lag es auf der Hand, das Briefing-Modell noch einmal ganz neu zu denken, um alle Potentiale auszuloten. Das versuchen wir jetzt mit den Table-Briefings.

Welche Nachricht landet in einem Table.Media-Fachbriefing – und welche nicht?

Bröcker: Uns interessiert Erkenntnisgewinn und Tiefe bei der Analyse eines politischen Prozesses. Ich nenne Ihnen ein Beispiel: „Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU kritisiert Karl Lauterbach“ werden Sie bei uns nicht lesen. Ein Think-Tank-Papier mit der Analyse eines gesundheitspolitischen Vorganges von Karl Lauterbach hingegen findet bei uns statt.

Turner: Sparzwänge und die digitalen Reichweitenmodelle verleiten viele Medien dazu, sich auf die schnell erfassbaren „Politics“ zu stürzen, die Machtausübung. Für uns sind die „Policy“-Themen, also die Politikinhalte, mindestens so wichtig. Table-Briefing heißt Tiefe statt These.

Bröcker: Das nachhaltigste journalistische Modell ist ein weitgehend ideologiefreies, sachlich-neutrales Tiefergehen in die wichtigen Themen für morgen. Unsere Leserinnen und Leser wollen genau das. Meinungsjournalismus – der auch seine Berechtigung hat – gibt es schon genug.

Herr Bröcker, Sie sind am sichtbarsten im Podcast und im Berlin.Table involviert, aber als Chefredakteur für die gesamte Redaktion verantwortlich. Wie tief stecken Sie inhaltlich in jedem einzelnen Fach-Table?

Bröcker: Zunächst einmal bin ich ein Primus inter Pares, das heißt die Redaktionsleiter der zehn Fach-Tables sind die wahren Chefredakteure dieser Tables. Helene Bubrowski und ich koordinieren zwar jeweils fünf Tables, sind dort allerdings nicht die inhaltlichen Antreiber etwa eines China.Tables was die China-Berichterstattung angeht. Das kann der jeweilige Redaktionsleiter viel besser einschätzen. Vielmehr geht es darum, die Redaktion zu motivieren, dass sie aus ihren Stärken möglichst viel machen können. Unsere Aufgabe als Chefredaktion ist es, dafür zu sorgen, dass es mehr Journalismus bei Table.Media geben kann. Außerdem sorgen wir bei allen unseren Auftritten dafür, dass die Fachleute aus den jeweiligen Tables auch in unseren Netzwerken bekannter werden.

Sie sprechen den Podcast schon an: Was muss man tun, um eine Einladung zu bekommen?

Bröcker: Tatsächlich bekommen wir beinahe täglich Anfragen. Die Leute möchten in den Podcast. Natürlich beraten Helene und ich uns mit dem Team in den Morgenkonferenzen, was die Themen der Woche und des Tages sind und wer sich aus den Bereichen der Fachbriefings für den Podcast eignet. Der Table.Today Podcast ist ja nicht der Politik-Podcast von Helene und mir, sondern auch der Podcast unserer Professionals, mit dem Anspruch, ein Thema weiter und tiefer zu denken und einen neuen Anstoß zu geben, ein Gast, ein Thema, eine Viertelstunde.

Turner: Der Politiker mit seiner Kernthese, die aufs Thema fokussiert ist, kommt bei uns durch. Man liest uns in Gänze und direkt. Es ist Policy, es ist Durchdringung und zwar nur in den Multiplikatorenkreisen, dort jedoch flächendeckend.

Wie hoch ist denn die Abdeckung in der Zielgruppe der Professionals?

Turner: Aktuell stehen wir bei 200.000 täglichen Empfängern. Sie verteilen sich auf die Paid-Fachbriefings und unsere drei kostenfreien Angebote: das Berlin.Table Late Night Memo, den 100 Headlines.Table und Table.Today, der tägliche Podcast inzwischen auch mit Zehntausenden Hörern. Bei den Paid-Briefings haben wir im letzten Jahr die Schwelle von 1.000 zahlenden Institutionen überschritten. Dabei ist wichtig zu differenzieren. Im B2C-Geschäft gilt: ein Kunde entspricht normalerweise einem Leser. Bei uns im B2B-Markt ist das anders: Ein Lizenzabschluss mit einem Kunde kann mehrere hundert Lizenzen beinhalten.

Bröcker: Dass wir damit auf dem richtigen Pfad sind, sehen wir auch daran, dass andere jetzt nachziehen: Politico Pro, die FAZ, die Süddeutsche. Wir freuen uns darüber, weil es die Gattung Briefing als Gesamtheit stärkt. Das heißt aber auch: Der Verdrängungswettbewerb in den Professional Briefings wird kommen. Deshalb sage ich jetzt schon, dass wir rein in die Themen müssen, die in der nächsten Zeit relevant und interessant werden.

Wie entscheiden Sie, in welchem Bereich Sie das nächste Professional Briefing an den Start bringen?

Turner: Entscheidend ist die Informationsasymmetrie – also: wo gibt es große Informationsnachfrage und kleines Angebot? Ein Beispiel: Nach dem englischsprachigen Markt ist der chinesische Markt für Deutschland der wichtigste. Nahezu alle Führungskräfte können problemlos eine englische Originalquelle lesen. Aber fast niemand versteht eine chinesische Originalquelle. Deswegen war der „China.Table“ unser erstes Briefing. Die besten deutschen Zeitungen haben maximal zwei Korrespondenten in China, wir haben 12 China-Fachleute, inklusive Muttersprachler. Mitentscheidend ist natürlich auch: Für welchen Themenbereich finden wir einen exzellenten journalistischen und fachlichen Kopf? Erst mit einem Redaktionsleiter, der eine hohe Fachkompetenz mitbringt, können wir anfangen. Die Arbeit am Agrifood.Table etwa begann in dem Moment, als wir die Zusage von Henrike Schirmacher hatten. Sechs Wochen später war es auf dem Markt und Tage später die erste Lizenz verkauft.

Die Fachbriefings richtet sich an ein überschaubares Zielpublikum, nämlich Entscheider. Wie schaffen Sie es, trotzdem eine Breitenwirkung zu erzielen und eine hohe Wahrnehmung in den Massenmedien erreichen?

Turner: Es gibt drei Multiplikatormechanismen, die jeder für sich Table.Media ein zusätzliches Millionenpublikum bringen: Erstens werden unsere Journalisten als kommunikationsstarke Experten in Talkshows und Nachrichtensendungen mit Millionen Zuschauern eingeladen. Zweitens nutzen uns andere Medien wie eine Nachrichtenagentur, darunter Plattformen mit Millionenreichweite wie Focus, Zeit und Ippen. Und drittens werden wir mit unseren Exklusivmeldungen zitiert, in den Rankings liegen wir vor vielen traditionsreichen Medien. Mit diesem Triple-Trickle-Down-Effekt erreicht Table.Media als Briefing-Publisher ein größeres Millionenpublikum als viele Massenmedien. Das hat unsere Marktdurchdringung beschleunigt.

Bröcker: Table.Media ist eine große journalistische Marke, die einzelne Fachbriefings für einzelne Zielgruppen zusammenfasst. Natürlich ist es auch Auftrag der Chefradaktion, diesen Anspruch nach außen zu tragen und über Talkshowauftritte, Zitate oder den Berlin.Table den Journalismus der Fachbriefing in einer kleinen Essenz einem sehr großen Publikum zu überbringen. Trotzdem bleibt es dabei, dass diese fachspezifischen Zielgruppen auch für den Redaktionsleiter eine ausreichend starke, weil inhaltlich sehr fordernde Basis darstellen. Oberstes Ziel ist es, die eigene Zielgruppe der jeweiligen Professionals auszuweiten. Wir fangen grade erst an.

Lesen Sie hier den Artikel zum Interview.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 146 – Thema: Plötzlich Opposition. Das Heft können Sie hier bestellen.