"Mehr demokratischen Populismus wagen!"

Politik

Herr Prantl, Ihr neues Buch trägt den verblüffenden Titel „Gebrauchsanweisung für Populisten“. Wie lautet denn Ihre Kernaussage?

Heribert Prantl: Populismus ist eine Art und Weise, Politik zu verkaufen. Punkt. Jeder demokratische Politiker der Erfolg haben will, muss auf eine Art Populist sein, seine Inhalte populär verkaufen. Gefährlich ist der populistische Extremismus, wenn also Populismus sich mit Extremismus verbindet. Populus, populär, all das, was im Wort Populismus steckt, ist ja per se nichts Schlechtes. Es geht um Methoden, wie ich Politik an den Mann und an die Frau bringe. Der populistische Extremismus spaltet jedoch das Volk, er sät Hass, er schätzt Minderheiten und Andersdenkende gering, er verachtet Demokratie und Rechtsstaat, nennt sie herabwürdigend ‚das System‘. Das ist gefährlich und dagegen versuche ich anzurennen und anzugehen und Mittel und Methoden zu finden.

Dann gibt es also guten und schlechten Populismus?

Ja, genauer: Populismus kann für gute und für schlechte Zwecke eingesetzt werden. Ich kann auf sehr populäre Weise für Demokratie werben. Und ich kann Gefährliches mit Populismus zur Gefahr machen. Ich werbe dafür, populäre Mittel für demokratische und rechtsstaatliche Dinge einzusetzen. Ich glaube, man muss schauen, dass und wie man die Emotion und Leidenschaftlichkeit, wie sie für viele Extremisten kennzeichnend ist, für Demokratie, Grundrechte und Grundwerte einsetzt.

Das klingt nach einem gewissen Sinneswandel. Wenn ich mir überlege, wen Sie in der Vergangenheit als Populisten bezeichnet haben; beispielsweise die Herren Gauweiler und Lafontaine.

Ein Sinneswandel? Eine Präzisierung gewiss. Das Schreiben an diesem Buch war für mich Anlass zur Reflexion über die eigene Gedankenwelt. Ich habe mal vom Archiv meine gesammelten Verwendungen des Begriffs „Populismus“ ausdrucken lassen. Und dann stellte ich fest, für und gegen wen ich den Begriff schon eingesetzt habe. Das beginnt bei Helmut Kohl, geht über Heiner Geißler, Peter Gauweiler, Roland Koch, Oskar Lafontaine bis zu Sahra Wagenknecht. Natürlich habe ich ihn auch für diejenigen verwendet, die ich in meinem Buch als Extremisten bezeichne, also für Alexander Gauland, Frauke Petry, Marine Le Pen, Geert Wilders, für Victor Orban und Donald Trump. Nachdem ich die eigene Verwendung analysiert hatte, habe ich dann in die Wissenschaft geschaut. Auch da ist der Begriff „Populist“ sehr weit gefasst. Es gibt dort nicht nur die Rechtspopulisten, es gibt auch die Linkspopulisten, in Lateinamerika zum Beispiel. Mein Resümee: Das Wort „Rechtspopulisten“ ist so ausgeleiert wie ein alter Gummiring, damit kann man nichts richtig fassen. Das Wort ist ungeeignet.

Aljoscha Kertesz und Heribert Prantl (v. l.) (c) Aljoscha Kertesz

Wenn Sie heute zu einer neuen Betrachtung des Begriffs gekommen sind, gibt es dann Politiker, bei denen Sie sich für die Bezeichnung im Nachhinein entschuldigen möchten?

Nein, Begriffe erfahren ja eine Wandlung. Sie haben womöglich einmal getaugt, heute taugen sie nicht mehr. So ist es mit dem Begriff Populismus. Wenn man die Extremisten von heute als Populisten bezeichnet, verharmlost man sie. Und: Es ist ja nach wie vor so, dass derjenige, der populistische Mittel einsetzt, aufpassen muss, dass Grenzen nicht überschritten werden. Solche Grenzüberschreitungen gab es ja einige Male: bei Roland Koch beispielsweise in dem berühmten Wahlkampf, der darauf verkürzt wurde: „Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“. Da ist die Grenze schon erreicht. Aber die Lehre aus der  Verwendungsgeschichte des Worts Populismus: Man soll mit derlei Begriffen nicht zu eilfertig umzugehen, denn damit erreicht man nichts. Und vor allem, wenn ich die Herren Geißler, Gauweiler und Lafontaine in einen Topf werfe und dann stecke ich in denselben auch noch Herrn Gauland und Frau Le Pen hinein, dann verliert der Topf, oder besser gesagt das Einsortierungsmerkmal seine Kraft.

Der Untertitel Ihres Buchs lautet „wie man Populisten das Wasser abgräbt“. Wie macht man das denn?

Der Untertitel lautet: „Wie man dem neuen Extremismus das Wasser abgräbt“. Da wird das Vorhaben ganz deutlich. Es geht um Extremisten, es geht gegen demokratiefeindliche Politik.

Ihr Ratschlag lautet?

Er ist nur 79 Seiten lang – aber die muss man lesen. Es geht im Wesentlichen darum, wie man eine Politik macht, die den Menschen Heimat gibt. Das Wort Heimat ist mir wichtig – und es ist wichtig, um dem Extremismus das Wasser abzugraben. Es geht darum, mit Leidenschaft für eine demokratische, rechtsstaatliche und menschennahe Politik zu werben. Den Menschen klar machen, dass Demokratie, Rechtsstaat, Grundwerte – also die Dinge, auf die wir in der westlichen Welt stolz sind – nicht automatisch auf Dauer da sind. Wir müssen sie immer wieder aufs Neue erwerben, erkämpfen und etwas dafür tun. Und wenn man sich fragt, warum der populistische Extremismus so stark geworden ist, dann lautet die Antwort: Vielleicht auch deswegen, weil die Politik so wenig für diese Errungenschaften geworben hat und viele Menschen glaubten, dass dies alles selbstverständlich sei. Jetzt lernen die Menschen durch den Brexit oder durch Trump – und das ist in Anführungszeichen das Gute – dass das schon sicher Geglaubte überhaupt nicht sicher ist. Die Dinge, die wir für selbstverständlich halten, die Europäische Vereinigung, aber auch der Respekt vor Andersdenkenden, die Achtung von Minderheiten, die Gleichberechtigung der Frauen, all diese Dinge sind nicht selbstverständlich. Extremisten stellen das in Frage und manchmal auch erfolgreich, siehe Trump. Ich gehe der Frage nach, warum zum Teufel Extremisten immer wieder Erfolg damit haben.

Und warum ist das so?

In Zeiten, in denen die Welt immer unübersichtlicher wird, Stichwort Globalisierung, haben einfache Antworten Anziehungskraft: US-Präsident Donald Trump proklamiert „America first“ und kündigt an, die USA unter diesem Motto groß zumachen. In Russland verkündet Putin Ähnliches, in der Türkei Erdogan, und die nationalistischen Parteien in den europäischen Staaten reden auch so: Niederlande zuerst, Frankreich zuerst, Schweden zuerst, Großbritannien zuerst. Ist das die neue internationale Ordnung? Ist an alle gedacht, wenn jede Nation einfach an sich denkt? Wirkt so ein Denken innerhalb der Staatenwelt dann auf die Gesellschaft zurück, auf die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen? Der Extremismus ist deswegen verführerisch, weil er den Menschen in ihrer Unsicherheit vermeintlich Orientierung gibt, und zwar mit ganz simplen, ganz einfachen Schwarzweißzeichnungen. So wurde in den letzten zwei Jahren der Flüchtling zur Symbolfigur für die neuen Unsicherheiten gemacht. Er war der Fremde, und der Fremde steht für alles, was einem in dem eigenen Lebensumfeld fremd wird. Der Fremde symbolisiert die Veränderung.

Das ist die Funktionsweise des politischen Extremismus, dass er Ängste, die durchaus vorhanden sind, wie er sagt „ernst nimmt“. Aber er macht sie erst gefährlich in der Art und Weise wie er damit umgeht. Wie er Ängste schürt, wie er Ängste potenziert – das hat die demokratische, die rechtsstaatliche Politik lange Zeit zu wenig ernst genommen. Nun sind Ängste ja per se nichts Schädliches. Angst kann, entgegen ihrem Ruf, sehr wohl ein guter Ratgeber sein. Sie hält wach, sie hält zur Vorsicht an. Gefährlich wird sie dann, wenn sie sich vergaloppiert und sich falsche Objekte und Subjekte sucht, wenn sie Maß und Grenze verliert und zu einer diffusen Existenzangst wird. Dann wird sie neurotisch. Hier beginnt das gefährliche Wirken der Populisten, die in Wahrheit Extremisten sind.

Martin Sonneborn, Vorsitzender von Die Partei, spricht vom ehrbaren Populismus. Das können Sie dann wohl nachvollziehen?

Der ehrbare Populismus ist der, der mit packenden Worten für Grundrechte und Grundwerte wirbt.

Könnte man als Quintessenz Ihres Buchs den Aufruf bezeichnen: „mehr Populismus wagen“?

Mehr demokratischen Populismus wagen, die Grundrechte und Grundwerte nicht mit Bürokratensprech, sondern mit Verve vertreten.

Mehr demokratischer Populismus, was bedeutet dies für die politische Kommunikation?

Ich bin wieder bei meinem schönen Wort „Leidenschaftlichkeit“. Ich muss schauen, dass ich nicht nur den Kopf der Leute erreiche, wenn überhaupt. Die Sprache der politischen Kommunikation ist so gestrickt, dass sie viele Leerformeln gebraucht, so viele, dass  die Leute gar nicht mehr kapieren, worum es geht; daher wollen sie auch nicht mehr zuhören. Wir leben ja gerade im Reformationsjubiläumsjahr, im Luther-Jahr. Und der schöne Satz von Martin Luther: „Den Leuten aufs Maul schauen, aber nicht nach dem Mund reden“, ist schon ein Satz, der für die Politik und die Kommunikation wichtig ist. Er beschreibt kurz und knapp, wie demokratischer Populismus funktioniert.

Heribert Prantl leitet das Ressort für Innenpolitik bei der „Süddeutschen Zeitung“ und ist seit 2011 Mitglied der Chefredaktion. Sein Buch „Gebrauchsanweisung für Populisten“ ist im März im Verlag Ecowin erschienen; 80 Seiten, 14 Euro