Sind Sie im Alter sanftmütiger geworden, Herr Waigel?

Interview mit Theo Waigel

Herr Waigel, Ihre Schwesterpartei CDU ist derzeit auf der Suche nach einem neuen Parteivorsitzenden, der mutmaßlich auch Kanzlerkandidat der Unionsparteien werden wird. Wer ist in dem Rennen Ihr Favorit?

Es gibt da keine Automatik, sondern eine ganz klare Trennung. Wen die CDU zu ihrem Vorsitzenden macht, ist ihre Sache und da braucht sie keine Ratschläge. Wer anschließend Kanzlerkandidat werden soll, das muss von beiden Parteien einvernehmlich beschlossen werden. Zunächst muss die CDU ihren Vorsitzenden bestimmen und dann kann mit entsprechendem Abstand der gemeinsame Kanzlerkandidat festgelegt werden.

Wann wäre der richtige Zeitpunkt für die Kür des Kandidaten?

Nicht zu spät und nicht zu früh. Es wäre völlig falsch, ihn zu früh zu benennen, denn dann würde er nur verschlissen. Wir sollten nicht auf eine frühzeitige Auflösung des Parlaments setzen. Erstens geht das nicht so einfach und zweitens will das die Mehrheit der Bevölkerung nicht. Dann wird es darauf ankommen, dass der Kanzlerkandidat mit der gegenwärtigen Kanzlerin vernünftig umgeht und umgekehrt die Kanzlerin diesem Kandidaten auch genügend Raum gibt, sich zu entfalten und profilieren zu können.

Was das Thema Profilierung angeht, wäre es wohl besser gewesen, wenn Angela Merkel nicht nur den Parteivorsitz abgegeben hätte, sondern zur Hälfte der Legislaturperiode auch das Amt der Bundeskanzlerin niedergelegt hätte.

Das ist doch illusorisch. Das hätte doch nicht funktioniert. Die SPD hätte doch keinen Nachfolger mitgewählt. Das sind Theoriegedanken.

Das wäre in der ursprünglich angestrebten Jamaika-Koalition wohl einfacher möglich gewesen.

Ja, das hätte man mit Grünen und FDP besprechen können. Und Merkel hätte das ja auch gerne gemacht. Das ist doch an der FDP zerbrochen. Die FDP hat in den letzten drei, vier Jahren zwei Riesenfehler gemacht: Einmal kam Jamaika nicht zustande, was für alle Beteiligten und für das Land besser gewesen wäre – übrigens auch für die SPD, die sich in der Opposition besser regenerieren hätte können. Der zweite Fehler war Thüringen.

Jeder der Kandidaten für den CDU-Parteivorsitz steht auch für eine andere programmatische Ausrichtung. Welche halten Sie denn für die Erfolgversprechendste für den zukünftigen Erfolg bei Wahlen?

Ich weiß nicht, ob die Kandidaten politisch so weit auseinander sind. Ich erwarte von jedem Vorsitzenden, dass er ganz klar den Kurs der Mitte geht. Eine andere Alternative gibt es für die Union nicht. Aus der Mitte heraus muss er dann auch offen sein für Menschen, die konservativer oder liberaler denken. Und in der Verantwortung vor Gott, die auch für Kirchenferne wichtig ist, folgt die Bestimmung der Union. Dafür braucht sie keine Werteunion. Die Union muss vielmehr als Ganzes eine Union der Werte sein.

Ministerpräsident Söder hat gesagt, dass der zukünftige Kandidat kompatibel für neue Koalitionen sein muss. Damit spielt er wohl auf Bündnisse mit den Grünen an.

Er muss offen sein. Ich lobe mir jeden Kandidaten, der vernünftig mit der FDP umgeht. Ich finde es prima, wie Armin Laschet das in Nordrhein-Westfalen macht. Ich finde es gut, wie der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, Daniel Günther, mit FDP und Grünen umgeht. Wenn es die Konstellation erfordert, muss man in der Lage sein, mit den Grünen und der FDP zu koalieren.

Der Ministerpräsident von Schleswig-Holstein hat auch Sympathien für eine Lockerung des Umgangs der Union mit der Linken durchblicken lassen.

Das würde ich nicht tun. Wir müssen ganz klar sehen, woher die kommen. Wenn jemand aus dem Westen rüber gemacht hat, kann ich ihn nicht als Altkommunisten bezeichnen. Aber das Erbe der SED und PDS, das ist bei den Linken ganz stark vertreten. Und wenn man sich vorstellt, dass Sahra Wagenknecht das, was 1989/1990 stattfand, als Konterrevolution bezeichnet hat, dann sollte man diese Dinge viel stärker thematisieren.

Die CSU hatte 1980 und 2002 den Kanzlerkandidaten der Union gestellt. Wann wäre es mal wieder soweit?

Ich rate dringend davon ab. Das ist jedes Mal schiefgegangen. Alle Menschen aus Bayern, die  Bundeskanzler oder Bundespräsident werden wollten, mussten vorher in ein anderes Bundesland gehen. Das war bei Ludwig Erhard der Fall, der – obwohl er 1946 Wirtschaftsminister in Bayern war – von Fürth nach Baden-Württemberg gegangen ist und in Ulm seinen Stimmkreis hatte. Und das war bei Roman Herzog der Fall, der als gebürtiger Landshuter nach Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg gegangen ist, ehe er Bundespräsident wurde. Die Bayern könnten ziemlich leicht einen Bundeskanzlerkandidaten stellen, wenn die CSU zu einem Landesverband der CDU würde. Da sie es nicht werden soll und nicht werden darf, macht es keinen Sinn, solche strategischen Spielchen zu betreiben. Sie können nicht mit einer Partei, die in einem Bundesland auftritt, ganz Deutschland koordinieren.

Sie raten davon ab, dass ein CSU-Politiker als Spitzenkandidat der Unionsparteien antritt. Dabei schlägt Markus Söder seit einiger Zeit sanftere Töne an und ist zunehmend für Wähler nördlich von Bayern wählbar.

Markus Söder macht im Moment alles richtig. Das sage ich mit großem Respekt. Ich habe ihm das auch in einer CSU-Landesvorstandssitzung gesagt. Vor zehn Jahren bin ich ihm eher skeptisch gegenübergestanden. Heute macht er das hervorragend und setzt die richtigen Akzente. Er hat ein gutes Gespür für die Zukunft einer so wichtigen und tollen Partei wie der CSU.

Dennoch hat die CSU bei der letzten Landtagswahl mit ihm als Spitzenkandidaten weniger als 40 Prozent erzielt.

Ja gut, die CSU hat ja auch vorher Schwierigkeiten gehabt. Das war ja nicht gerade beispielhaft wie CSU-Leute gegenüber der Kanzlerin aufgetreten sind. Aus einem berechtigten Anliegen, nämlich der vernünftigen Steuerung der Flüchtlingspolitik, ist dann eine Situation entstanden, welche die Grünen und die AfD gestärkt hat. Die CSU hat das Thema zu Recht aufgegriffen. Wir mussten damals der Kanzlerin und der CDU sagen, dass da kein Kontrollverlust entstehen darf. Aber man muss sich doch auch überlegen, was die CSU falsch gemacht hat. Da hat im Ton, im Auftreten und im Stil einiges nicht gepasst. Das hat uns eindeutig geschadet.

Sie hatten damals innerhalb der CSU sogar eine Art Angela-Merkel-Fanklub organisiert?

Einen Fanklub? Ach Gott, wissen Sie, mit 78 Jahren gründet man keinen Fanklub mehr. Ich hatte damals gesagt, dass es keinen Sinn macht, eine Kanzlerin, die auch für die Stabilität Europas sehr wichtig ist, zu attackieren. Stattdessen muss man miteinander auftreten. Mittlerweile gibt es niemanden in der Spitze der CSU, der meinen Schritt von damals kritisieren würde. Damals war die Landtagsfraktion der Meinung, sie solle im Landtagswahlkampf nicht auftreten. Diesen Boykott habe ich durchbrochen und sie nach Ottobeuren zu einem Symposium über Europa eingeladen. Das war damals eine wichtige Weichenstellung. Söder hat damals eine wichtige, proeuropäische Rede gehalten. Was ich damals initiiert habe, war richtig.

Die SPD hat gerade in einem längeren Prozess ihre Führungsspitze neu bestimmt. Was kann die CDU von der SPD dabei lernen?

Das wichtigere wäre: welche Fehler nicht wiederholt werden sollten. Über Wochen einen Schönheitswettbewerb durchzuführen und dann die Personen immer wieder aufs Podium zu heben, das hat nicht viel gebracht. Ich bin ein Anhänger der repräsentativen Demokratie. Dafür stellen wir Delegierte für einen Parteitag auf und dort muss auch die Entscheidung fallen.

Glauben Sie, dass sich die SPD noch einmal aus ihrem Tief erholen wird?

Ich wünsche es mir. Ich habe die SPD immer bekämpft und heute in der Schlussphase meines Lebens sage ich mir: Um Gottes willen, sie darf nicht untergehen. Otto Wels hat damals gesagt: „Die Freiheit und das Leben könnt ihr uns nehmen, aber die Ehre nicht.“ Er hat damals wohl die tollste Rede eines deutschen Parlamentariers gehalten. Eine Partei mit dieser Tradition darf nicht untergehen.

Sind Sie im Alter sanftmütiger geworden?

Ja, Sie haben recht. Viele Menschen werden boshafter, das Gegenteil ist bei mir hoffentlich der Fall. Ich konnte Helmut Schmidt beispielsweise lange Zeit nicht leiden. Am Schluss waren wir fast befreundet und ich habe ihn bei jedem Besuch in Hamburg getroffen und er hat mir drei Monate vor seinem Tod einen reizenden, liebenswerten persönlichen Brief geschrieben. Auch mit Willy Brandt habe ich mich am Schluss gut verstanden, heute tausche ich mich mit Hans-Jochen Vogel aus. Gott sei Dank habe ich über diese Gegensätze hinweg zu Gemeinsamkeiten gefunden und das finde ich beglückend.