"Die Glaubwürdigkeit der CDU beruht auf dem Bekenntnis zu ihren Wurzeln"

Interview mit Bernhard Vogel

Herr Vogel, Sie sind bis heute der einzige Politiker, der es in zwei Bundesländern zum Ministerpräsidenten gebracht hat. Wie schafft man das?

Dieses Alleinstellungsmerkmal ist nicht mein Verdienst. Es ist einer besonderen Situation nach der friedlichen Revolution in der DDR zu verdanken. Ich hoffe, dass sich eine solche Situation nie wiederholen wird und ich diesbezüglich ein Unikat bleibe.

Sie hatten ein bewegtes Politikerleben. Was war eigentlich Ihr schönster Erfolg?

Insgesamt kann man sagen, dass uns Deutschen in Ost wie West alles in allem die Wiedervereinigung gelungen ist. Auch wenn noch viel zu tun bleibt, ist die Herausforderung doch von uns gemeistert worden. Es freut mich, daran ein kleines Stück in einem der fünf Länder der ehemaligen DDR beteiligt gewesen zu sein.

Ich hatte fest damit gerechnet, dass Sie den Gewinn der absoluten Mehrheit in Thüringen im Jahr 1999 als größten Erfolg nennen.

Das ist eine sehr wichtige Voraussetzung für das, was in den anschließenden Jahren tatsächlich an Aufbauarbeit geleistet werden konnte. Aber die absolute Mehrheit war eine Hilfe, das Ziel zu erreichen. Sie war nicht das Ziel.

Von absoluten Mehrheiten können die Volksparteien, oder auch ehemaligen Volksparteien, heute nur träumen.

Da bin ich mir nicht so sicher. Sicher, im Augenblick sind beide Volksparteien von absoluten Mehrheiten weit entfernt. Aber auch in der Vergangenheit waren diese nicht der Regelfall und ich könnte mir vorstellen, dass es eines Tages diese Konstellationen auch wieder geben könnte.

Ihre eigene Partei hat gerade eine wichtige Weichenstellung getroffen. Hat Annegret Kramp-Karrenbauer eigentlich die Wahl gewonnen, oder hat Friedrich Merz sie verloren?

Natürlich hat Kramp-Karrenbauer die Wahl gewonnen. Schon deswegen, weil der Zweitplatzierte Merz ebenfalls sehr beachtlich abgeschnitten hat. In diesem Fall ist es ganz eindeutig, Kramp-Karrenbauer hat mit einem knappen Vorsprung gewonnen.

Es gab einige Beobachter, die sagten, dass Merz die Abstimmung in seiner Vorstellungsrede verloren habe.

Merz war ein hochachtbarer Kandidat. Er hat in den Vorstellungsrunden in der ein oder anderen Frage Positionen bezogen, die deutlich gemacht haben, dass er lange nicht mehr in der Mitte der Partei gelebt hat. Und er hat zu meiner Überraschung nicht die Beste, sondern nur die zweitbeste Rede auf dem Parteitag gehalten. Beides zusammen hat wohl den Ausschlag gegeben.

Aljoscha Kertesz und Bernhard Vogel (c) privat

Hat sich die Partei nicht in den letzten Jahren so stark geändert, dass Merz beim Delegiertenapparat von vornherein keine Chance hatte?

Nein, sonst hätte er nicht so viele Stimmen bekommen. Er hatte eine Chance und er hat sie knapp verfehlt.

Aber hat sich die Partei in den letzten Jahren nicht so stark gewandelt, dass seine Wahl eher eine Überraschung gewesen wäre? Eine Sozialdemokratisierung der CDU ist durchaus festzustellen.

Was Sie Sozialdemokratisierung nennen, nenne ich Preis der großen Koalition, in der man sich selbstverständlich und logischerweise in der Mitte trifft. Dann zeigt man nicht die scharfe Kante, die man gerne zeigen würde, und in der Vergangenheit auch gezeigt hat, wenn die eine Volkspartei regiert hat und die andere eine tatkräftige Opposition geboten hat. Wenn das nicht der Fall ist, dann trifft man sich selbstverständlich in der Mitte und kann das eigene Profil nicht so deutlich artikulieren, wie wenn man nicht an einen Koalitionsvertrag gebunden ist.

Die politische Mitte ist bekanntermaßen ein begehrter Platz. Die FDP beansprucht ihn traditionell für sich, SPD und CDU sind aus den jeweiligen Richtungen in die Mitte gewandert und auch die Grünen unter Robert Habeck scheinen es sich hier bequem zu machen. Muss die CDU dann nicht ein Stück weit wieder nach rechts wandern, um dauerhaft erfolgreich zu sein?

Von diesen Wanderungstheorien mancher Journalisten halte ich nicht viel. Die Glaubwürdigkeit steht infrage. Und die Glaubwürdigkeit der CDU beruht auf dem Bekenntnis zu ihren Wurzeln: christlich-sozial, freiheitlich-liberal und wertkonservativ. Und ich habe etwas dagegen, wenn man verlangt: Im Herbst müssen wir etwas konservativer und im Frühling etwas liberaler sein. Nein, wir müssen uns zu unseren Wurzeln bekennen, mit denen wir überraschenderweise seit 70 Jahre alles in allem erfolgreich gewesen sind. Von dieser Vorstellung, wir müssten weiter nach rechts rücken, halte ich schon deswegen nichts, weil wir dann in der Mitte doppelt so viel verlieren, wie wir weiter rechts gewinnen.

Das Konservative kam aber in den letzten Jahren in Ihrer Partei zu kurz.

Da muss man zunächst klären, was konservativ bedeutet. Konservativ kann sehr fortschrittlich sein, konservativ kann reaktionär sein. Und in der politischen Diskussion erleben wir gegenwärtig beides. Für mich heißt konservativ: Prüfe das Neue, ob es besser ist als das Alte, und prüfe das Alte, ob es mehr taugt als das Neue. Entscheide danach, und nicht nach der Forderung populistischer Redner, die öfter mal etwas Neues verlangen. Das ist keine Grundlage einer soliden Politik.

In gesellschaftspolitischen Fragen scheint Kramp-Karrenbauer konservativer zu sein als Angela Merkel.

Wenn Sie gewisse Unterschiede, so deuten, stimme ich Ihnen zu. Es ist natürlich ein Unterschied zwischen einer im Saarland aufgewachsenen Bundesvorsitzenden und einer in der Unfreiheit der DDR, in Mecklenburg Vorpommern, aufgewachsenen Politikerin. Und das ist auch gut so. Es hat der Bundesrepublik nicht geschadet, dass der erste Bundespräsident ein Schwabe war, Helmut Kohl ein Pfälzer und Helmut Schmidt ein überzeugter Hanseat.

Mit anderen Worten, Kramp-Karrenbauer ist keine Merkel 2.0?

Mein Parteiverständnis ist ein bisschen anders, als das von Merz. Er sagt, er könne nicht in die Wahlkämpfe des Jahres 2019 eingreifen, weil er kein Amt habe. Ich habe auch kein Amt aber stelle mich selbstverständlich, wenn die Thüringer oder rheinland-pfälzische CDU es möchten, zur Verfügung. Ich bedauere, dass er die CDU nicht aktiv in den schwierigen Wahlkämpfen unterstützt.

In welcher Rolle würden Sie ihn sich denn wünschen?

Als ganz normales CDU-Mitglied, das alles tut, um der CDU zum Sieg zu verhelfen.

In jedem Fall wird das Wahljahr 2019 eine Belastungsprobe für Kramp-Karrenbauer.

Ich würde von einer Bewährungsprobe sprechen, wie es in Deutschland, wo eigentlich in jedem Jahr in einem, zwei oder mehr Ländern Wahlen stattfinden, selbstverständlich ist. Das ist nichts Neues. Ein bisschen schwierig wird die Sache dadurch, dass drei ostdeutsche Länder Wahlen haben und mit Bremen nur ein westdeutsches Land.

Wenn die Ergebnisse in den drei ostdeutschen Bundesländern auch nur annähernd so eintreffen, wie es aktuelle Umfragen zeigen, wird die Regierungsbildung schwer werden.

Ja, und das sollte man dem Wähler vor den Wahlen deutlich machen. Man sollte aber nicht vorher, bevor der Wähler überhaupt sein Votum abgegeben hat, Koalitionen festlegen. Sondern nur versichern, dass man sich nach der Wahl um eine demokratische Regierungsbildung bemühen werde.