"Ein Händeschütteln ist genauso viel wert wie ein Like"

SERIE ZUR LTW IN BAYERN, TEIL 2

Frau Schulze, Sie sind rund zehn Jahre aktiv in der Politik: erst in der Grünen Jugend, dann bei den Münchner Grünen, seit 2013 im Landtag, jetzt Spitzenkandidatin. Haben Sie über die Zeit Ihr öffentliches Auftreten verändert?

Natürlich habe ich mich verändert. Es wäre ja auch ungewöhnlich wenn nicht, jeder wächst und verändert sich im Laufe des Lebens. 2013 bin ich zum ersten Mal ins Parlament gewählt worden, jetzt trete ich wieder an. Einige Dinge sind jedoch gleich geblieben: Ich fahre noch immer überall mit dem Zug hin, ich packe zum Schluss bei Veranstaltungen mit an und helfe, die Sachen wegzuräumen. Und dabei vergesse ich nicht, dass meine Lage eine besondere ist: Ich empfinde es als ein großes Privileg, in dieser Zeit Politik machen zu können.

Ich spiele damit auch auf die öffentliche Darstellung an; auf den Plakaten oder auf Twitter. Es gibt zum Beispiel ein Bild von Ihnen, das man oft findet – da lehnen Sie mit verschränkten Armen an einer Wand. Das ist durchaus eine Pose, in der sich auch Manager gern ablichten lassen.

Interessant, dass Sie das so sehen. Die meisten dieser Bilder, die ein befreundeter Fotograf von mir gemacht hat, sind aus 2013 oder 2014. Wir haben damals ein Shooting gemacht, weil ich Bilder für unterschiedliche Anlässe gebraucht habe, als ich in den Landtag gekommen bin. Sie sind nicht neu für die Spitzenkandidatur entstanden.

Was kann Wahlkampf denn im besten Fall bewirken?

Dass Menschen, die sich vielleicht nicht täglich mit Politik beschäftigen, aufgefordert werden, sich ein paar Dinge genauer anzuschauen. Wenn die demokratische Willensbildung schon nicht jeden Tag von jedem so gelebt werden kann, wie sich das die Verfassung wünscht, dann kann wenigstens der Wahlkampf Anregungen bieten und zu einer ersten Diskussion führen. Deswegen machen wir auch viel Haustürwahlkampf. Das wird bei uns wieder ein Schwerpunkt sein. Im letzten Wahlkampf habe ich mit meinem Team an 4.000 Türen geklingelt. Und es war großartig. Es gab viele positive Gespräche, weil Menschen gesehen haben, dass wir da sind und mit ihnen diskutieren wollen. Ich glaube, das war gut, dass das mal heruntergebrochen wird: „Ja, Politik findet auch in deinem Nahbereich statt. Es gibt einen Ortsverband, der trifft sich drei Straßen entfernt von dir. Komm doch auch mal vorbei.“ Bei solchen Gesprächen hat man die Chance, den Gedanken auszulösen, dass Politik das eigene Leben betrifft. Und deswegen mag ich Wahlkampf gerne als eine Zeit, in der man mit ganz vielen Menschen direkt in Kontakt kommt.

Aber hat das nicht auch seine Grenzen? Dass man Sie vor jede Haustür stellen kann, glaube ich sofort, aber Sie sind nun mal nicht klonbar.

Dafür schulen wir unsere Unterstützerinnen und Unterstützer. Im letzten Wahlkampf habe ich selbst eine Menge Seminare gegeben. Wie macht man Haustürwahlkampf? Wie betreibt man einen erfolgreichen Infostand?

Nutzen Sie auch eine App, in der das dann alles aufgezeichnet wird, damit Sie wissen, wo sie schon waren?

Nein. Die CSU hatte so eine App, wir nicht. Wir sind einfach kleiner und ressourcenschwächer – und hinterfragen auch elektronische Datensammlungen in dieser Art kritischer. Wir arbeiten klassisch mit Listen.

Wie stark spitzen Sie die Themen zu, die Sie im Wahlkampf nutzen werden?

Wir haben unser Wahlprogramm vor wenigen Wochen beschlossen, und ich bin sehr stolz darauf, dass es so kurz und konkret ist. Die Leute sollen es lesen und konkret ableiten können, was es für sie bedeutet. Also nicht nur: „Wir möchten Alleinerziehende besser unterstützen.“ Sondern: „Wir wollen längere Kita- und Kindergarten- und Hortöffnungszeiten und auch die Ferienzeiten abdecken.“ Denn nur dann kommt das Alleinerziehenden oder Menschen im Schichtdienst tatsächlich zugute. Und auch die Änderungsanträge, die von der Partei gekommen sind, haben das Programm sehr gut ergänzt und abgerundet.

Und Sie spitzen die Wahlaussagen jetzt vom Programm ausgehend zu?

Genau. Die Hauptthemen, die uns auch von anderen unterscheiden, sind klar. Es ist ein Kokon aus Wertehaltungen. Schlagwortartig: Solidarität, Toleranz, Vielfalt, Freiheit, Demokratie verteidigen. Das beginnt bei unserer Ablehnung der Ankerzentren und reicht bis zum No-PAG-Widerstand. Daraus ist inzwischen ja eine richtige Bewegung geworden. Wir sind nicht gegen die Polizei, wir sind gegen den Überwachungswahn der CSU. Und dann eben unsere Hauptthemen: Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Und ein feministischer Ansatz steckt auch im Programm, auf den ich ebenfalls sehr stolz bin. Wir sind in meinen Augen die einzig emanzipatorische Partei im Moment.

Wird dieses emanzipatorische Moment auch eine wichtige Rolle im Wahlkampf spielen?

Unbedingt. Das wird von uns auch im Wahlkampf nach vorne gestellt. Denn gerade in einer Zeit, die Frauenrechte schon als realisiert anzusehen scheint, andererseits aber extrem viel Sexismus im Alltag herrscht, muss man das weiter klar benennen: gleiche Rechte und gleiche Chancen für Frauen. Nicht erst in 100 Jahren, sondern jetzt.

Und wie werden die Entscheidungen über die Kampagnenschwerpunkte getroffen?

Bei uns legt das die Wahlkampfkommission fest. Ihr gehören der Landesvorstand, das Spitzenduo und ein Mitglied der Grünen Jugend an. Die Kommission berichtet an unseren Landesausschuss, das ist das beschlussfassende Gremium zwischen den großen Parteitagen. Wir werden vor der Wahl auch einen weiteren Parteitag haben. Als Grüne entscheidet da niemand irgendwas alleine (lacht). Das wird immer gemeinsam festgelegt.

Wie funktioniert das dann konkret: Wie viel Personalisierung muss, wie viel Themenfokus darf sein?

Wir stellen die grünen Themen nach vorn – immer verknüpft mit den Kandidierenden. Und zwar ohne uns am politischen Gegner abzuarbeiten.

Aber was ist dann mit dem Polizeiaufgabengesetz? Da wirkt es erstmal, als ob sie eher reagieren.

Mein Lieblingsthema! Nein, das ging ja schon letzten Sommer los, 2017. Und damals waren wir Grünen die Einzigen, die dagegen gestimmt haben. SPD und Freie Wähler haben sich nur enthalten. Aber ich habe damals schon gesagt: „Das ist ein Dammbruch.“ Der Begriff „drohende Gefahr“ wurde da ja schon eingeführt, jetzt ist das noch mal eine Ausweitung der Eingriffsbefugnisse. Und auf einmal gehen die Leute auf die Straße, was mich sehr freut. Wir machen Vorschläge und wollen die diskutieren. Das soll auch unsere Kampagne verdeutlichen, dass Leute eingeladen werden, mit uns über Ideen zu diskutieren, wie wir unser Bayern verändern, weiterentwickeln, gestalten können.

Wie viel Zuspitzung erlauben Sie sich denn am Ende? Eine der sicherlich effektivsten Kampagnen war im vergangenen Jahr die der FDP. Mit Lindner im Mittelpunkt und markigen Sätzen wie „Digital first, Bedenken second“.

Parteien haben eine moralische Verantwortung. Natürlich musst du im Wahlkampf zuspitzen, natürlich musst du Inhalte herunterbrechen, man hat nicht den Raum, sie auf einem Plakat zu erklären. Das liest ja kein Mensch. Aber die Aussage muss schon faktenbasiert und klar sein. Doch „Digital first, Bedenken second“ ist gerade in Zeiten, in denen große Konzerne immer mehr in die Privatsphäre eingreifen, der worst case. Wir würden das anders ausdrücken. Dafür braucht es gute Werberinnen und Werber. Eine Kampagne, wie Lindner sie gefahren hat, machen wir sicher nicht. Das fände ich für uns falsch.

Was werden Sie anders machen?

Unsere Bundestagskampagne war aufmerksamkeitsstark und hat gleichzeitig Haltung gezeigt. Und so wird unsere Kampagne bei der Landtagswahl auch. Ich möchte unsere Haltung, unsere Themen transportieren in einer Kampagne, die trotzdem auffällt. Die anders ist, die ein bisschen kracht.

Oft sind Wahlplakate im Lokalen nicht so gut gelungen. Haben Sie Wege, hier für Qualität zu sorgen?

Zunächst geben wir natürlich das Corporate Design vor und bieten Frames an, die man dann als Kandidatin oder Kandidat nutzen kann. Da gibt es dann Empfehlungen fürs Foto et cetera. Aber letztlich müssen diese natürlich selbst entscheiden, was drauf kommt – und das können sie auch! So etwas entscheidet man ja auch nicht alleine, es gibt ja auch in den einzelnen Bezirken immer Wahlkampfteams. Letztlich können wir uns gut auf ehrenamtliches Engagement verlassen: Trotz wenig Geld, wenig Ressourcen, bekommen wir die Wahlkämpfe gut gestemmt. In vielen Bezirken haben wir versierte „alte Hasen“, die schon viele Wahlkämpfe gemacht haben, plus viele Neue, die Lust am Ausprobieren haben. Ich erlebe das als sehr befruchtend. Das ist auch in unserem Wahlkampfteam auf Landesebene so, in unserer Kampagnenleitung haben wir diesen Mix – und mit David und Martin eine sehr kreative Wahlkampfagentur, die bisher aber noch kaum politisch Erfahrung hat. Die arbeiten zusammen mit Matthias Riegel von Wigwam, der als Kampagnenprofi bereits in Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein und auf Bundesebene für uns Wahlkampf gemacht hat.

Wie hoch ist das Gesamtbudget für den Wahlkampf und welche Rolle spielt Online?

Wir planen mit einem Budget von rund 670.000 Euro auf Landesebene, davon sind rund 70.000 Spenden, überwiegend von den eigenen Mitgliedern. Auf Kreisebene haben die einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten insgesamt ungefähr die gleiche Summe zur Verfügung. Wir werden natürlich auch einen Schwerpunkt im Online-Marketing legen. Aber wir haben schon die klare Devise, dass ein Händeschütteln genauso viel wert ist wie ein Like. Allein mit Online kannst du die Wahl nicht gewinnen! Es muss immer noch möglich sein, mit Kandidaten zu diskutieren und sie persönlich kennenzulernen. In jedem Fall muss man trotz begrenzter Ressourcen beides tun und die Verzahnung hinbekommen.

Sie selbst sind ohnehin sehr aktiv auf Social Media, etwa auf Twitter. Was ist die Strategie dahinter?

Ja, das gehört für mich unbedingt dazu und ich habe das auch schon betrieben, als ich noch nicht Kandidatin war. Als ich in den Landtag gewählt wurde, wollte ich transparent darüber berichten, was ich dort mache. Darum habe ich – damals als Erste – einen Youtube-Kanal gestartet, und nehme die Leute auch bei Instagram überall mit hin. Und ich mache das zum allergrößten Teil selbst. Manchmal verfluche ich es, weil es echt viel Arbeit ist. Und weil so viel los ist, komme ich auch nicht so kontinuierlich dazu, wie ich möchte. Aber da ich viel Zug fahre, mache ich das dann immer zwischendrin. Und mir persönlich ist es auch wichtig, weil ich dadurch direkte Rückmeldungen von Menschen in ganz Bayern für meine Arbeit bekomme.

Und wie gehen Sie in Zeiten von Cambridge Analytica mit den Daten um, die jeder beim Besuch Ihrer Angebote hinterlässt?

Uns ist Datenschutz schon immer wichtig. Also müssen wir natürlich auch immer alles transparent machen. Es gab bei uns eine Debatte, ob wir uns beispielsweise aus Facebook zurückziehen sollten. Aber ich finde, die falsche Antwort ist zu sagen, wir ziehen uns da jetzt zurück und überlassen anderen das Feld. Du musst als politischer Akteur dafür sorgen, dass Facebook sich an Regeln hält.

Schließen wir mit einem Blick in die Zukunft. Können Sie sich tatsächlich vorstellen, im November in einem Kabinett Söder zu sitzen und da eine Funktion zu übernehmen?

Wir Grüne sind bei dem Thema total klar, und ich bin darauf sehr stolz. Wir machen einen „Grün-pur“-Wahlkampf, wir machen keine Koalitionsaussage und wir setzen unsere Themen nach vorne. Gleichzeitig haben wir Grüne gesagt: Ja, natürlich sind wir bereit, Verantwortung zu übernehmen. Ich bin bereit, in Gespräche zu gehen. Und ich bin genauso bereit, irgendwann von diesem Tisch auch aufzustehen und zu sagen „Servus! Schön war es. Sehen wir uns in fünf Jahren im Wahlkampf wieder!“ Bei den derzeitigen Entwicklungen in der CSU ist es in der Tat schwer vorstellbar, eine gemeinsame inhaltliche Linie zu finden. Was auch immer die CSU und andere Parteien in diesem Wahlkampf machen: Wir setzen auf unsere Themen, auf unsere Werte und wollen das beste Ergebnis ever einfahren.

 

Hier geht es zum ersten Teil der Serie zur bayerischen Landtagswahl: Wahlkampf mit Arroganz und Härte