"D" für Digital

Praxis

Neulich war es mal wieder soweit. Das Konrad-Adenauer-Haus hatte Besuch von etwa 20 Aktivisten, die natürlich nicht eingeladen waren. Diesmal standen die radikalen Klimaschützer von „Extinction Rebellion“ (XR) bei der CDU-Zentrale in der Berliner Klingelhöferstraße auf der Matte. Einige klebten sich mit ihren Händen oder Fingern an der Glasfassade fest. Mit Schablonen sprühten sie Parolen an die Fenster. Natürlich begleiteten sie die Aktion medial auf den sozialen Netzwerken. „Schluss mit Klimaschmutzlobby & Klüngelei!“, kommentierten die XR-Aktivisten eines der Videos.

Die Aktion erreichte lange nicht die Aufmerksamkeit, die Greenpeace-Aktivisten erregten, die im vergangenen November das „C“ vom CDU-Schriftzug des Konrad-Adenauer-Hauses abmontierten und damit auf Deutschlandtour gingen. Die CDU reagierte damals schnell, die Agentur „Storymachine“ startete den Twitterkanal @IchBinDasDu und das Social-Media-Team der Union konterte geschickt den Versuch von Greenpeace, die Partei nochmals so vorzuführen, wie das im Mai zuvor dem YouTube-Star Rezo gelungen war. 

Die Lektionen aus dem Rezo-Video habe die CDU gelernt, sagt Ziemiak. Die neu aufgelegte Kommunikationsstrategie bestand gleich mehrere Belastungsproben – sogar eine Pandemie. „Insbesondere für unsere digitale Kommunikation hat Corona uns einen gewaltigen Schub gegeben“, sagt Ziemiak zu p&k. „So schlimm diese Pandemie ist, und so viel Sorge wir haben, war es doch ein wirklicher Turbo-Boost für die Digitalisierung der CDU“. Mittlerweile könnte man meinen, das „D“ in CDU stehe auch für „Digital“.

Um die Digitalkompetenzen noch weiter auszubauen, veranstaltete die Union am 13. Juni ihr zweites „Digital Bootcamp“. Im Gegensatz zur ersten Veranstaltung, die noch mit Bühne und Publikum im Februar im KAH stattfinden konnte, war diese Ausgabe komplett digital. Das Setup: Eine eigens eingerichtete Webseite mit Zugangscode, dort ein Livestream aus der CDU-Zentrale, ein Chatfenster und zeitweilig eingeblendete Abstimmungsoptionen für die eingeloggten Nutzer.

Im Studio führten Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig, Generalsekretär Paul Ziemiak und Kampagnenchefin Isabell Hass (v. l. n. r.) durch die Veranstaltung. (c) Steffen Böttcher​

Schon zu Anfang wurde deutlich, dass sich das Anforderungsprofil für Politiker im digitalen Zeitalter wandelt. Generalsekretär Paul Ziemiak und Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig standen in einem Fernsehstudio an einem Moderationstisch mit mehreren Kameras im Studio. Das merkte man, weil die Gastgeber zunächst in die falsche schauten, wenn auch nur für wenige Sekunden. Wie gestandene TV-Moderatoren überspielten die beiden das geschickt. Alleine dieser Vergleich zeigt, wo die Messlatte für Politiker bei Digitalübertragungen mittlerweile liegt. Zur Kamerapräsenz tritt im Zeitalter omnipräsenter Videos die Moderation zu den unverzichtbaren Qualitäten eines Spitzenpolitikers.

40 Mitarbeiter arbeiteten im Konrad-Adenauer-Haus daran, dass die Technik bei der Veranstaltung mitspielte. Sie machten ihren Job gut. Nie streikte das Bild, für Ton war immer gesorgt, wenn gelegentlich auch das falsche Mikrofon laut geregelt war. Die Webseite, in die das Bootcamp eingebettet war, war übersichtlich gebaut. Fenster links, Chat rechts. Eigenartigerweise zählte eine Ziffer über dem Chatfenster die Nachrichten im Chat. Mit der Anzahl der Anwesenden, die das Bootcamp im Stream verfolgten, hätte man mehr anfangen können.

Nach einer Einleitung von Ziemiak und einem netten Filmchen über das erste Bootcamp blendete die Regie noch eine Wordcloud mit Teilnehmererwartungen an die Veranstaltungen ein. Ob eine Wordcloud irgendwann schon einmal Überraschendes zutage gefördert hat? Die Teilnehmer erwarteten sich Innovationen, Ideen und Spaß.

Kurz und knackig

Für Parteiveranstaltungen inklusive Arbeitsgruppen war die zeitliche Begrenzung sportlich gewählt. In zweieinhalb Stunden, zwischen 10 und 12.30 Uhr, ging das Bootcamp über die Bühne. So mussten die Teilnehmer nicht einen ganzen Tag oder gar ein Wochenende einplanen und sparten sich auch die Anreise, was allgemein gut ankam.

Zu p&k sagt Ziemiak, der Zeitrahmen sei bewusst so gesetzt worden. Er ergebe sich aus der grundsätzlich unterschiedlichen Natur analoger und digitaler Veranstaltungen. „Die kann man nicht einfach übertragen, sondern man muss sie neu und anders denken. Den ganzen Tag vor einem Bildschirm zu sitzen ist etwas anderes, als sich irgendwo auf einer Konferenz aufzuhalten.“

Eindrücke aus dem Konrad-Adenauer-Haus während des zweiten „Digital Bootcamps“ der CDU. (c) Steffen Böttcher

Nach der Begrüßung ging es in insgesamt fünf „Ideenwerkstätten“. Die Themen deckten eine breite Palette von Erfordernissen ab, die die zunehmend digitale Parteiarbeit mit sich bringt. Die erste Werkstatt beschäftigte sich mit „digitaler Debattenkultur“. Eine regionale Beteiligungskampagne mit dem Titel „Lehren aus der Krise“ soll interessierte Bürger mit Lokalpolitikern zusammenbringen, um über die Folgen von Corona zu diskutieren. Eine andere Ideenwerkstatt setzte sich mit dem Thema „Digitale Programmarbeit“ auseinander.

Ein großer Vorteil digitaler Zusammenkünfte liegt im Zeitaufwand. Sie können kurzfristig angesetzt werden, eine Anreise ist unnötig, Ergebnisse von Abstimmungen liegen sofort vor. Auch die digitale Kandidatenaufstellung soll so möglich werden. Eine Ideenwerkstatt widmete sich eigens diesem Thema, um Aufstellungsversammlungen insbesondere für Kampfkandidaturen zu organisieren. Eine andere Gruppe traf sich zum virtuellen Brainstorming, um Ideen für einen digitalen Neumitgliederservice auszuarbeiten.

p&k entschied sich für die Ideenwerkstatt 4. Hier wurden Ideen für den Endspurt in kommunalen Wahlkämpfen gesammelt. Die Gruppe war mit 38 Teilnehmern die größte, das Interesse war hoch. Hintergrund für die Themenwahl waren die anstehenden Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 30. September.

Zur Einstimmung hielt Henrik Bröckelmann, verantwortlich für Strategie und Kampagnen beim Landesverband NRW, einen Impulsvortrag. Er nannte einige Positivbeispiele für gelungene Wahlkampfaktionen im Netz. Der Ortsverband Saerbeck etwa startete zum Vatertag eine „Burgermeister“-Challenge. Ein leidlich origineller Name. Die Aktion selbst war origineller. Die Union verschickte Grillzangen und Brötchen an Interessierte, die dafür Bilder ihrer gegrillten Burger einschickten und verschiedene Preise örtlicher Geschäfte gewinnen konnten. Die Aktion sei prächtig angekommen, sagte Schulz. Weiterer Vorteil: Die Corona-Maßnahmen konnten dabei respektiert werden.

Mitgliederbetreuung gewinnt

Nach dem Vortrag durften die Gruppenmitglieder Ideen in den Raum stellen. Die Gruppe wählte eine, die sie für die Abschlusspräsentation näher ausarbeitete und diskutierte. Gruppenmoderator Patrick Broniewski vom Team Kampagne stellte die Ergebnisse später auf der virtuellen Hauptbühne vor. Bei einer digitalen Abstimmung setzte sich die Idee des badischen Kampagnenplaners Jan Tielesch durch, das traditionelle Hinterzimmer zu digitalisieren, mit dem Parteien im Kommunalwahlkampf versuchen, in den letzten 72 Stunden vor der Wahl noch unschlüssige Wähler von sich zu überzeugen oder gemeinsam den Schlussspurt des Wahlkampfs zu feiern.

Das Zeitfenster war auf eine Stunde angesetzt. Der Puffer von 30 Minuten zur Abschlusskonferenz wurde benötigt. Die meisten Gruppen überzogen und brachen die Diskussionen vorzeitig ab. Das erreichte zweierlei: Einerseits mussten sich die Gruppen auf einige zentrale Impulse beschränken, die Mitarbeiter des KAH in kurzen Präsentationen sammelten. Die Enttäuschung über einen vorzeitigen Diskussionsabbruch dürfte schnell der Erwartung des nächsten Treffens weichen. Statt kurzer, abschließender Gespräche bieten schlanke, regelmäßige digitale Treffen die Möglichkeit, dauerhafte Gesprächsfäden zu knüpfen.

Zurück im Studio stieß Kampagnenchefin Isabelle Hass zu Ziemiak und Hennewig. Die Ergebnisse der Ideenwerkstätte wurden vorgestellt und bewertet. Die Abstimmung gewann der Entwurf der Ideenwerkstatt 5, der einen digitalen Neumitgliederservice mit virtuellen Bier- und Kaffeetreffen und engerem Kontakt zu Ansprechpartnern in der Partei skizzierte.

Dann endete die Veranstaltung mit dem Versprechen auf baldige Wiederholung. Für Ziemiak sind die Bootcamps erst der Anfang digitaler Parteiarbeit. „Ich bin dafür, dass man Parteitage auch online durchführt“, sagt der CDU-General zu p&k. Das sei mit den anderen Generalsekretären bereits besprochen. „Wir wollen etwa über inhaltliche Fragen und Beschlüsse oder auch einen Koalitionsvertrag künftig online abstimmen können. Wahlen und Änderungen der Parteisatzung sollen hingegen auch weiterhin als normale Präsenzveranstaltungen stattfinden.“

Klimaaktivisten von „Exctinction Rebellion“ dokumentieren eine Protestaktion vor der CDU-Zentrale am 18. Juni (l., Foto: dpa/Paul Zinken). Am Ende mussten sie die Schäden selbst beseitigen (r., Screenshot: Twitter).

Die Aktion von XR endete übrigens schnell. Die Demo war nicht angemeldet. Die Polizei rückte an. Die Union duldete den Protest, weil ein anderer Eingang noch benutzbar war. Die Aktivisten mussten aber die Sprüche wieder von den Fenstern der CDU-Zentrale schrubben. Diesmal war es die CDU, die das Geschehen online dokumentierte. Bundesgeschäftsführer Stefan Hennewig fotografierte die Aktivisten beim Putzen und kommentierte trocken: „Nach der Rebellion mit Sprühkreide & Sekundenkleber folgt jetzt die Reinigung. Preußische Tugend Sauberkeit gilt rund ums KAH auch für @XRBerlin„. Er bedankte sich bei der Polizei und fügte an: „Übrigens: Sich an Fensterscheiben festzukleben ist nur eine mögliche Form politischer Teilhabe.“ Und lud das Publikum zur nächsten CDU-Plattform ein

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 131 – Thema: Politiker auf Social Media. Das Heft können Sie hier bestellen.