Wir sind doch alle Fans!

KOLUMNE

Möchte der geneigte Fußballfan im Vorfeld der WM im Fernsehen Fußballstücke sehen? Zweifel sind angebracht. Sicher, die Shows vor und nach den Spielen nehmen inzwischen gefühlt mehrere Stunden ein – und man darf sich wundern, wie oft Torszenen wiederholt und besprochen werden, wie viele Gerüchte es über das Privatleben der Beteiligten gibt und wie informationsfrei Interviews seien können.

Die Ausweitung der Vor- und Nachspielberichterstattung lässt sich wenigstens mit dem hohen Preis der Übertragungsrechte und den hohem Zuschauerinteresse erklären und auch rechtfertigen. Aber wie sieht es aus mit Fußball als Thema von Talkshows, Reportagen (Reinhold Beckmann führt durch Brasilien), Dokumentationen und vor allem Wiederholungen von Spielen aus dem vergangenen Jahrtausend? Die Programmmacher setzen auf den WM-Effekt – für die Talkshows keine gute Strategie.

Die Jauch-Sendung „Fußball-WM in Brasilien – Fest oder Frust?“ vermittelte zunächst einen anderen Eindruck, denn bei der Begrüßung des Moderators war der Jubel des Studiopublikums überbrausend. Die Erwartungen wurden enttäuscht. Das Motto „Die Fans sind bereit, aber bei der Mannschaft ruckelt es“ bestimmte das Gespräch. Drei verletzte Leistungsträger, der Skandal um Großkreutz‘ Randale in einer Berliner Hotellobby, Jogi Löws Führerscheinverlust und der Unfall bei einem Sponsoren-Event trübten die Turniervorbereitung.

Claudia Roth hält zum FC Augsburg

Doch – das wusste Ex-Nationaltorhüter Jens Lehmann zu berichten – gewisse Automatismen sind so abgespeichert, dass das die Spieler nicht anficht. Ansonsten erfuhr das Publikum erst einmal etwas über die (Vereins-)Sympathien der Talkgäste – Claudia Roth interessiert sich für den FC Augsburg, Peter Lohmann ist Schalke-Fan.

In der Talksendung wurde nur kurz erwähnt, dass Joachim Löw und der DFB ein PR-Desaster hingelegt haben. Dafür wurden die falschen Entschuldigungen zum Fehlverhalten von Fußballstars, Trainern und Funktionären wiederholt. Zur Frage, ob die Spieler überhaupt als Vorbilder taugen, hätte sich eine interessante Diskussion entwickeln können und müssen. Der (Sport-)Journalist Jauch stellte diese Frage aber nicht eindringlich genug. Stattdessen gab es lange, nichtsagende weil anbiedernde Einspieler.

Nach 40 Minuten Sendezeit war Brasilien immer noch nicht Thema. Hätte Jauch das Phrasenschwein bei Sport1 ausgeliehen, wäre es gut gefüllt worden. Peter Lohmeyer bemühte die „11 Freunde“-Romantik und Edmund Stoiber erinnerte an die Bedeutung des Weltmeistertitels 1954 im Sinne einer zweiten Gründung der Bundesrepublik. Schließlich berichtete Jens Lehmann von den Motivationskünsten eines Jürgen Klinsmann. Die Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth betonte, dass die Nationalmannschaft ein buntes Deutschland repräsentiere.

Bevor es nur noch Plattitüden gab, schlug Jauch vor, trotz WM „in Vereinen zu denken“. Edmund Stoiber nahm den Ball auf, er verwies einerseits auf die ökonomische Basis der Vereine, hob aber andererseits die Bedeutung der Nationalmannschaft trotz der Kommerzialisierung des Fußballs hervor. Stimmt beides, aber welchen Punkt der ehemalige Ministerpräsident und Mitglied des Aufsichtsrates des FC Bayern setzen wollte, blieb unklar.

Dafür wurde deutlich, warum der Moderator über Vereine sprechen wollte: Er wollte noch einmal die Wutrede von Uli Hoeneß einspielen. Blöd für Jauch, dass Lohmeyers Interpretation des Vorgangs den Konsens zerstörte. Denn der Schauspieler warf Hoeneß vor, den Dialog mit den Fans unterbrochen zu haben.

Edmund Stoiber ist gegen „Scheich-Finanzierung“

Da musste Edmund Stoiber schnell das Thema wechseln. Er behauptete, dass nicht alle Sponsoren zum FC Bayern passten – eine „Scheich-Finanzierung“ sei nicht gut. Hier hätten die anderen Gesprächsteilnehmer einsteigen müssen, beispielsweise mit einer Frage zum Einfluss von Großfirmen im Aufsichtsrat des Rekordmeisters oder zu deren zurückhaltender Position gegenüber dem verurteilten Steuerhinterzieher Hoeneß.

Als es in der Sendung dann doch um die WM in Südamerika ging, erklärte Béla Réthy, dass die Demonstrationen gegen Korruption nicht nur Proteste der Armen seien, sondern auch der neuen Mittelschicht. Gelegenheit für Edmund Stoiber, seinen Frust über die Abstimmung zur Münchner Olympiabewerbung auf die IOC-Bedingungen zu beziehen: In demokratischen Gesellschaften seien solche Bestimmungen nicht mehr zu erfüllen. Weil in Brasilien das sportliche Großereignis nicht ohne soziale Spannungen stattfinden könne, müssten die Standards gesenkt werden.

In diesem Zusammenhang erinnerte Claudia Roth zum Glück daran, dass sich das Europaparlament mit der FIFA beschäftige und sich für die Berücksichtigung sozialer und ökologischer Fragen einsetze. Wieder war es Lohmeyer, der eine deutliche Sprache fand: „Es gibt kaum ein korrupteres Unternehmen als die FIFA!“ Réthy stellte zumindest in Aussicht, dass im Falle der Bestätigung der Korruptionsvorwürfe die Vergabe der WM 2022 an Qatar neu überdacht werden müsse. Alles in allem war das weder ein informativer noch ein unterhaltsamer Abend. Der Beifall des Studiopublikums am Ende der Sendung fiel dann auch recht spärlich aus.

Auch Sportjournalistin Maischberger scheitert am Thema Fußball

Auch Moderatorin Sandra Maischberger, ebenfalls gelernte Sportjournalistin, verpasste die Chance, den WM-Puls zu messen. 48 Stunden vor Start der WM stellte sie die rhetorische Frage, wer noch an den WM-Titel glaube. Jörg Pilawa, Toni Schumacher, Alfred Draxler, Jana Ina, Oliver Pocher und Reiner Calmund waren eingeladen. Die Runde sollte das Fernsehpublikum auf die WM einstimmen.

Stattdessen verbreitete sie schlechte Stimmung. Uralte Geschichten und Mythen wurden bemüht – von Trinkgelagen und dem Einfluss der „Bild“-Zeitung bis hin zu Trainerentlassungen. Trotz dieser Hintergründe wurde darauf verzichtet, die problematische Nähe zwischen Journalisten und Sportlern beziehungsweise Funktionären zu thematisieren. Schade. 

Seit der Ball rollt, halten sich die Talkshows raus. Die Unterhaltung hat gesiegt. Hoffentlich sind auch die nächsten Spiele unterhaltsam.