Wowereits Nachfolge – eine Mimik-Analyse

Praxis

Für die Bewerber um Wowereits Nachfolge schlug am Samstag die Stunde der Wahrheit. Die Stimmzettel des Mitgliederentscheids wurden ausgezählt. Um kurz nach 14 Uhr sickerte das Ergebnis durch: Stadtentwicklungssenator Michael Müller hat mit 59,1 Prozent das Votum gewonnen. Landesparteichef Jan Stöß kam nur auf 20,9 Prozent der Stimmen, der Fraktionsvorsitzende Raed Saleh gar nur auf 18,6 Prozent – ein Ergebnis, mit dem kaum einer gerechnet hatte. Auch der Gewinner Michael Müller nicht. Nach der Verkündung der Ergebnisse gaben die Kandidaten Interviews. Was verraten die Gesichter?

Die Gewinner-Mimik von Michael Müller

Müller ist deutlich anzusehen, dass er freudig überrascht ist. In seiner Ansprache sagt er: “Ich freue mich wahnsinnig, aber ich muss auch sagen, ich bin ganz platt.” Dabei zeigt er die klassischen Elemente, die signalisieren, dass ein Mensch überwältigt ist: In der Mimik ist echte Freude sichtbar, also ein Lächeln, bei dem die Augen mitlachen. Dies wird durch die Anspannung des äußeren Augenringmuskels verursacht. Körpersprachlich schüttelt er den Kopf und zuckt mit den Schultern im Sinne von: “Ich kann es nicht glauben.”

Spannend ist natürlich auch, wie die Mitbewerber Jan Stöß und Raed Saleh reagieren. Saleh ist der erste, der sich äußert.

Was die Mimik von Raed Saleh verrät

In einem rbb-Interview sagt Saleh: “Die Entscheidung der Partei respektiere ich. Und die Meinung der Partei ist das, was wir jetzt als Auftrag haben. Wir wollen gemeinsam die Zukunft gestalten mit dem Regierenden Bürgermeister Michael Müller. Er hat die gesamte Unterstützung der Fraktion und damit auch meine volle Loyalität.”

Hier sind primär zwei Gefühle in Salehs Gesicht erkennbar. Zum einen zieht er die Augenbrauen-Innenseiten hoch (erkennbar an den Querfalten im Stirnzentrum). Das ist ein Hinweis darauf, dass ihn die Niederlage schmerzt. Dann kommt allerdings ein Ausdruck, mit dem ich an dieser Stelle nicht gerechnet hätte. Als Saleh sagt, dass Michael Müller die volle Unterstützung der Fraktion und damit auch seine Loyalität habe, zeigt er genau wie Müller nach dem Sieg echte Freude in seiner Mimik. Das könnte ein Hinweis darauf sein, dass er sich trotz des Schmerzes mit der Situation schon ausgesöhnt hat.

Was die Mimik von Jan Stöß verrät

SPD-Landeschef Jan Stöß äußert sich nach Saleh: “Ist ja klar, dass ich mir selber ein besseres Ergebnis erhofft hätte. Aber wie Willy Brandt einmal gesagt hat: ‘Niederlagen stärken, solange es nicht zu viele werden.'”

Interessanterweise sind hier genau die gleichen Gefühle erkennbar wie bei Saleh – wenn wir auf seine Worte hören, aber anscheinend aus anderen Gründen. Stöß zieht auch erst kurz die Augenbrauen-Innenseiten hoch. Das ist übrigens kulturübergreifend der klassische Gesichtsausdruck von Trauer bei einer Niederlage. Der war zum Beispiel bei der Fußball-WM standardmäßig bei den Interviews mit den Verlierermannschaften zu sehen.

Als Stöß Brandt zitiert, presst er am Ende der Aussage die Lippen zusammen und unterdrückt damit ein Lächeln. Die Augen lachen allerdings trotzdem. Das könnte man so interpretieren: “Meine Zeit wird noch kommen.”

Jetzt ist aber erst einmal die Zeit von Michael Müller. Wenn alles nach Plan läuft, wird er am 11. Dezember im Abgeordnetenhaus zum neuen Regierenden Bürgermeister von Berlin gewählt.