Souverän im Sommerinterview? Merkel und Gabriel im Mimikresonanz-Check

Politik

Sowohl die Union als auch die SPD liegen mit ihren Zustimmungswerten in der Bevölkerung in einem historischen Umfragetief. Am Sonntag, 28. August, stellte sich CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel den Fragen im ARD-Sommerinterview, während SPD-Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel im ZDF vor die Kameras trat. Was braucht es aus motivationspsychologischer Sicht, damit Merkel auf der einen und Gabriel auf der anderen Seite die eigene Partei aus der Krise führen können? Um diese Frage zu beantworten, habe ich im Juni dieses Jahres eine Umfrage gemacht. Als Analysetool diente dabei der von mir entwickelte Mimikresonanz-Motivkompass.

Die Teilnehmer der Umfrage erhielten zwei Fragen. Die erste Frage lautete: „Wo nehmen Sie aus Ihrer Sicht die momentane emotionale Energie auf politischer Ebene in Deutschland wahr?“ (Ist-Zustand), gefolgt von „Welche emotionale Energie ist aus Ihrer Sicht auf politischer Ebene in Deutschland nötig, um die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu lösen?“ (Soll). Das Ergebnis der Umfrage sehen Sie in der nachfolgend abgebildeten Grafik, dabei deckt das jeweilige Feld mit seiner Position und Größe 68,2 Prozent der Umfragewerte ab.

Abbildung 1: Aktuell wahrgenommene und gewünschte Energie auf politischer Ebene in Deutschland (c) Dirk W. Eilert

Die momentane emotionale Energie auf politischer Ebene wird mit Begriffen wie Beharrlichkeit, Logik und Distanz verbunden und liegt damit im Motivfeld Kontrolle. Betrachten wir das Soll-Feld, wird deutlich, dass es unter den Umfrageteilnehmern offensichtlich das Bedürfnis nach emotionalen Energien im Bereich Fortschritt und Entwicklung gibt. Um die CDU beziehungsweise SPD aus der Krise des Umfragetiefs zu führen, bräuchte es also aus motivationspsychologischer Sicht eine Wirkung genau in diesem Soll-Motivfeld von Aktion. Die Motive, mit denen eine Partei in der breiten Bevölkerung wahrgenommen wird, sind außerhalb des Wahlkampfs im Wesentlichen durch das Auftreten ihrer Spitzenpolitiker bestimmt, wobei hier die Mimik und Gestik eine besondere Rolle spielt. Während des Wahlkampfs kommt der Einfluss über die Wahlplakate hinzu.

Merkel und Gabriel im Wirkungscheck

Die nachfolgenden Wirkungsanalysen von Merkel und Gabriel sind das Ergebnis einer präzisen Analyse und computergestützten Auswertung der Mimik und Gestik der beiden Politiker im jeweiligen Sommerinterview, sowie der Einschätzung von zehn im Mimikresonanz-Motivkompass ausgebildeten Körpersprache-Analysten. Diese haben sich das Sommerinterview ohne Ton angesehen, um sicherzustellen, dass sich die Bewertung nur auf die Signale der stillen Sprache von Mimik und Gestik bezieht. Das dadurch ermittelte Wirkungsfeld der beiden Spitzenpolitiker sehen Sie in der nachfolgend abgebildeten Grafik. Die abgebildeten Motivfelder decken statistisch 68,2 Prozent der Experten-Einschätzung ab. Zum Vergleich ist das Soll-Motivfeld aus der eingangs erwähnten Umfrage abgebildet.

Abbildung 2: Wirkung von Angela Merkel und Sigmar Gabriel im Motivkompass (c) Dirk W. Eilert

Wie Gestik und Mimik wirken

Wissenschaftliche Studien haben gezeigt: Bewerten wir das Auftreten einer Person, entscheiden Mimik und Gestik sowie die darüber ausgedrückten Emotionen mehr über die wahrgenommene Wirkung als die gesprochenen Worte. Welche nonverbalen Faktoren waren sowohl bei Merkel als auch bei Gabriel dafür verantwortlich, dass sie außerhalb des Soll-Motivfelds gelandet sind?

Die Positionierung auf der horizontalen Achse, also von Westen nach Osten, wird insbesondere durch die Mimik beeinflusst. Personen, die ihre Mimik eher wenig bewegen, also vornehmlich eine sogenannte Null-Mimik zeigen, und dazu neigen, einen eher ernsten Gesichtsausdruck zu machen, landen in ihrer Wirkung auf der rechten Seite. Für einen ernsten Gesichtsausdruck ist das Zusammenziehen der Augenbrauen hauptverantwortlich. Die Gegenbewegung dazu ist ein Lächeln, das dazu führt, dass eine Person eher die Motive im westlichen (linken) Feld des Motivkompasses anspricht.

Betrachten wir die ersten fünf Minuten der beiden Sommerinterviews in der Detailanalyse, so fällt auf, dass Merkel insgesamt 13 Mal die Augenbrauen zusammenzieht und dies mit einer durchschnittlichen Dauer von neun bis zehn Sekunden. Dies entspricht insgesamt genau 125 Sekunden, also circa 42 Prozent der ersten fünf Minuten Interviewzeit. Berücksichtigen wir zusätzlich, dass die Mimik der Kanzlerin in diesen fünf Minuten nur für drei Minuten im Bild war, so bedeutet das: 70 Prozent der Zeit, in der ihr Gesicht zu sehen war, hat Merkel die Augenbrauen zusammengezogen. Gelächelt hat sie zwar immerhin acht Mal, aber das nur mit einer Gesamtzeit von 15 Sekunden (fünf Prozent der ersten fünf Minuten). Diese Zahlen machen deutlich, warum Merkel in ihrem nonverbalen Ausdruck im östlichen Feld des Motivkompasses wirkt.

Angela Merkels häufigster Gesichtsausdruck im Sommerinterview – zusammengezogene Augenbrauen (c) Screenshot, Bericht aus Berlin; ARD

Gleiches gilt für den Vizekanzler. Schlendert Gabriel zu Beginn des Sommerinterviews noch lächelnd und mit seinem lässig über die Schulter geworfenen Jackett neben Moderator Thomas Walde, so verändert sich seine Körpersprache schlagartig, als die beiden sich an den Tisch setzen und das eigentliche Interview beginnt. Sigmar Gabriel lächelt nur ein einziges Mal und kommt so in den ersten fünf Minuten des Sommerinterviews gerade einmal auf zehn Sekunden „Lächelzeit“, dafür zieht er ganze 153 Sekunden – also 2,5 Minuten – die Augenbrauen zusammen.

Auch Gabriels häufigste Mimik ist das Zusammenziehen der Augenbrauen (c) Screenshot, ZDF Sommerinterview

Die vertikale, also die Nord-Süd-Achse, wird insbesondere durch die Gestik beeinflusst. Zeigt ein Redner viele redebegleitende Gesten, sogenannte Illustratoren, wirkt er im nördlichen Feld des Motivkompasses. Je kleiner und sparsamer die Gesten werden und je mehr Beruhigungsgesten, wie beispielsweise nervöses Spielen mit den Fingern, auftreten, desto stärker zieht es einen Redner in seiner Wirkung in das südliche Motivfeld. In den ersten fünf Interviewminuten haben weder die Kanzlerin noch der Vizekanzler Beruhigungsgesten gezeigt. Es gab aber einen deutlichen Unterschied in den Illustratoren: Merkel zeigte wesentlich mehr Rhythmusgesten als Gabriel. Dies führt dazu, dass ihr Motivfeld einen Tick nördlicher liegt als das von Gabriel. Denn Rhythmusgesten, bei denen wir die Hände im Takt der Worte bewegen, sprechen das Grundmotiv Durchsetzung und Einfluss an. Dennoch war auffällig, dass Gabriel zehn Mal häufiger die Hände zum Gestikulieren einsetzte als Merkel. Seine Bewegungen waren dabei weicher, Rhythmusgesten nutzte Gabriel in den ersten fünf Minuten nur ein einziges Mal. Normalerweise gilt: Je mehr Gesten ein Redner nutzt, desto nördlicher im Motivkompass landet er durch diese körpersprachliche Bewegung. Warum ist Gabriel mit seinem Motivfeld aber einen Tick südlicher als Merkel gelandet?

Hier spielt der Emotionsausdruck und die Bedeutung der Mimik in der Wirkung eine Rolle. Im Gesicht des SPD-Parteichefs waren in zwölf Prozent der Zeit defensive Gefühlszeichen zu sehen. Das sind zum Beispiel Signale, die Sorge oder Betroffenheit ausdrücken. Zum Vergleich: Merkel zeigte nur in sieben Prozent der Zeit defensive Emotionszeichen. Diese wirken im südlichen Bereich des Motivkompasses, also bei den Grundmotiven Ordnung und Harmonie.

Ein Ausdruck von Sorge – die Augenbrauen sind hoch- und zusammengezogen (c) Screenshot, ZDF Sommerinterview

Hinzu kommt noch ein weiterer Aspekt: Gabriel zeigte im Gegensatz zu Merkel keinerlei offensive Emotionszeichen wie Ärger, Ekel oder Verachtung. Diese würden das Motivfeld in Richtung Norden zum Grundmotiv Durchsetzung verschieben. Über das Gesicht der Kanzlerin huschte hingegen in den ersten fünf Interviewminuten zwei Mal ein Ausdruck von Ekel (im Sinne von Ablehnung) und einmal von Ärger.

 Das Hochziehen der Oberlippe – der prototypische Ausdruck von Ablehnung (c) Screenshot, Bericht aus Berlin; ARD

Da Gabriel also knapp doppelt so viele defensive Emotionszeichen wie Merkel gezeigt hat und im Gegensatz zur CDU-Chefin keinerlei offensive Emotionszeichen, liegt sein Motivfeld etwas südlicher.

Das Gefühl lenkt den Körper

Auch wenn die politischen Inhalte, also die Worte eines Politikers, ebenso auf die Motive wirken, gilt: Ohne die passende Körpersprache, welche die Inhalte entsprechend unterstreicht, verpufft die Wirkung von Worten. Die Motivkompass-Analyse hat gezeigt: Will Merkel die CDU und Gabriel die SPD aus der Krise führen, brauchen beide eine andere Wirkung über die Körpersprache.

Setzen wir voraus, dass das durch unsere Umfrage ermittelte Soll-Motivfeld repräsentativ für die wahlberechtigte Bevölkerung ist, so wäre momentan derjenige in seinem Auftreten am erfolgreichsten, der mit den Händen seine Gesten gekonnt unterstreicht, aber auch durch Rhythmusgesten eine Handlungsenergie zum Ausdruck bringt. Die Mimik darf in einigen Momenten auch Ärger zeigen, an den Stellen, wo es darum geht, anzupacken und bestehende Probleme zu lösen. Denn auch dies drückt Handlungsenergie aus und spricht so das Grundmotiv Aktion an. Um die Soll-Motive zu aktivieren, braucht es zusätzlich eine offene Mimik, die zum Beispiel durch Freude und Begeisterung transportiert wird. Dies hat einen weiteren Vorteil: In Studien konnte nachgewiesen werden, dass ein Lachen, so wie es auch bei Gabriel und Merkel hin und wieder im Sommerinterview zu sehen war, sympathisch macht und damit positiv auf die Gunst der Wähler wirkt.

Echte Freude bei Angela Merkel (c) Screenshot, Bericht aus Berlin; ARD

Echte Freude bei Sigmar Gabriel (c) Screenshot, ZDF Sommerinterview

Lautet die Lösung also nun: Fleißig die richtige Gestik und Mimik einüben, dann wird das schon? Nein, denn der Körper kann nicht lügen. Innere Widersprüche zeigen sich sofort und unmittelbar in der Körpersprache. Egal wie trainiert ein Redner ist. Eine wirkungsstarke Mimik und Gestik kommt deshalb stets von innen. Nur mit der zum entsprechenden Motivfeld passenden emotionalen Haltung kann es gelingen, eine Partei aus der Krise zu führen. Wenn es darum geht, Kommunikation erfolgreich zu gestalten – egal ob in der Politik, in Wirtschaft, Sport oder Privatleben –, lautet die entscheidende Frage also: Welche emotionale Energie braucht es jetzt gerade in diesem Moment? Und wie kann ich diese emotionale Energie innerlich aktivieren? Mehr braucht es nicht, denn: Das Gefühl lenkt den Körper.