Welche Partei hat das Zeug zum Youtube-Star?

Kampagne

Der Wahlkampf ist eröffnet. Die Parteien stellen nach und nach ihre Programme vor, Werber und Kommunikationsstrategen stehen in den Startlöchern. Spätestens seit dem Wahlsieg von Donald Trump in den USA dürften Social Media weit oben auf der Agenda der Kampagnenplaner stehen. Youtube ist aufgrund seiner Reichweite einer der ganz wichtigen Kanäle und bietet für die Kommunikation mit potenziellen Wählern vielfältige Möglichkeiten. Diese schöpfen Parteien und Politiker jedoch nicht einmal ansatzweise aus.

Für Digital Natives ersetzen digitale Bewegtbildkanäle zunehmend das Fernsehen. Außerdem ist Youtube nach Google die weltweit zweitgrößte Suchmaschine. Schätzungen zufolge sind 40 Millionen Deutsche auf der Plattform unterwegs. Über vier Millionen davon gelten als aktive Nutzer, die auch selbst Videos hochladen und mit anderen Nutzern interagieren. Youtube-Stars wie LeFloid und Kurzgesagt zeigen, dass wer den Kanal professionell nutzt, eine breite, gesellschaftspolitisch interessierte Zielgruppe erreichen und sich eine große Fanbasis aufbauen kann. Ihr Erfolgsrezept: Sie kommunizieren ganz bewusst mit ihren Zielgruppen und betreiben Branding auf hohem Niveau.

Keine einheitliche Markenkommunikation, kein klarer Mehrwert

Die Parteien hierzulande sind davon noch weit entfernt und haben keine erkennbare Strategie für Youtube. Einheitliche Markenkommunikation, Themenfokus, klarer Mehrwert für den Nutzer – Fehlanzeige. Zwar veröffentlichen fast alle größeren Parteien mehrmals pro Woche Videos, diese sind aber nur selten nach Themen optimiert und deshalb schlecht auffindbar. Außerdem wirken die zumeist gezielt produzierten Inhalte wenig authentisch. Generell gibt es keine erkennbare Systematik, wann welche Inhalte hochgeladen werden und welches Ziel damit verfolgt wird. Hinzu kommt, dass es keine der großen Parteien schafft, ein einheitliches Markenbild zu vermitteln. Auch die technische Optimierung ist ausbaufähig.

Einen guten inhaltlichen Ansatz zeigt die Bundesregierung. Sie betreibt einen eigenen Youtube-Kanal und greift dort aktuelle Themen auf, anstatt wahllos Bewegtbild-Content hochzuladen. Auch die Grünen zeigen erste Ansätze einer gezielten und zielgruppenorientierten Youtube-Kommunikation.

Themen finden, Formate entwickeln, Reichweite aufbauen

Die Videoplattform bietet den Wahlkämpfern neben ihrer immensen Reichweite die Chance, die Wähler nicht nur sachlich zu informieren, sondern gleichzeitig auch emotional zu erreichen. Das gilt es bei der Strategie-Entwicklung zu berücksichtigen. Die Eckpfeiler einer erfolgreichen Youtube-Kommunikation sind die richtigen Themen, die richtigen Formate und eine relevante Reichweite. Diese grundsätzliche Systematik ist für alle empfehlenswert, auch wenn sich die Inhalte und die Umsetzung je nach Partei unterscheiden werden.

Für welche Themen interessieren sich die potenziellen Wähler?

Diese Frage muss der Ausgangspunkt für die Youtube-Strategie im Wahlkampf sein, nicht die Agenda des Parteiprogramms. Bei weitem nicht alles, was auf den aktuellen Partei-Kanälen hochgeladen wird, ist relevant für potenzielle Wähler. Eine intensive Auseinandersetzung mit den verschiedenen Zielgruppen ist essenziell, damit die Videos den richtigen Ton treffen und die Botschaften beim Empfänger ankommen. Eine Analyse der Suchanfragen bei Google und Youtube hilft, Themen zu identifizieren, für die sich die Menschen aktuell interessieren. Wer auf diese Themen aufspringt, erreicht die Nutzer. Sucht etwa jemand nach Vorsorgethemen, könnte die SPD mit einem „So funktioniert die Rente heute – dort wollen wir hin“-Video einen ersten Kontakt herstellen. Ist der persönliche Nutzen für den Zuschauer sofort erkennbar, ist er auch offener gegenüber dem Absender. Im besten Fall ist der Inhalt so überzeugend, dass der User den Kanal abonniert.

Wie können Themen präsentiert und transportiert werden?

Sind die Themen identifiziert, stellt sich die Frage, wie man diese so umsetzt, dass sie für den Zuschauer attraktiv sind und die gewünschte Wirkung erzielen. Jedes Video muss dem Nutzer einen Mehrwert bieten. Statt also ein Video zur „Pressekonferenz vom 20.03.2017“ zu veröffentlichen, wäre „Was passiert in Syrien? Die CDU erklärt“ ein deutlich besserer Ansatz. Die Möglichkeiten, Themen zu inszenieren und Botschaften zu transportieren sind vielfältig. Es lohnt sich, Out-of-the-box zu denken. So sind beispielsweise Livestreams nicht nur bei Parteitagen spannend, sondern könnten zur direkten Kommunikation in einem Talkformat umgesetzt werden. Auch Personality-Formate, in denen ein Kandidat im Mittelpunkt steht, können gerade im Wahlkampf den Menschen hinter dem Politiker nahbarer werden lassen. So werden die User auch emotional angesprochen. Ein gelungenes Beispiel hierfür ist der Kanal von Hillary Clinton.

Das Format „Quick Question“ von Hillary Clinton

Ganz gleich für welche Videoformate man sich entscheidet, ein einheitlicher Auftritt passend zur aktuellen Kommunikation, auch in anderen Kanälen, ist ein Muss. Die Thumbnails (Vorschaubilder) lassen den Absender und sogar eine Videoreihe schnell erkennen. Die Grünen zeigen mit ihrer Serie „Oppovision“, wie über ein eigenes Design und die konsistente Aufmachung klar wird, dass es sich um eine Videoreihe handelt. Dieser Faktor ist nicht zu unterschätzen, er bietet Orientierung und holt den User ab. Die Bilder im Beispiel sind einheitlich und steigern Interesse, während die Videotitel zeigen, dass es sich um eine Reihe handelt. Das führt dazu, dass der interessierte User deutlich mehr Videos anschaut und den Kanal womöglich sogar abonniert.

Einheitlicher Auftritt: Die Video-Reihe „Oppovision“ von den Grünen ist als solche klar erkennbar.

Wie erreicht man eine relevante Masse?

Keine der Parteien kommt mit ihrem Kanal aktuell auf mehr als 10.000 Abonnenten (die CDU verbirgt diese Zahl). Follower und Abonnenten sind aber meist bereits Anhänger der Partei. Außerdem filtern Algorithmen die eigene Reichweite in den Feeds der potenziellen Wähler oft auf ein Minimum herunter. Auch die Wahrscheinlichkeit, dass politische Inhalte der Parteien viral gehen, also von vielen Nutzern geteilt werden, ist eher gering. Deshalb wird es schwer, bespielsweise Wechselwähler zu erreichen. 

Schritt eins für mehr Reichweite ist die technische Optimierung der Videos. Damit diese auch bei passenden Suchanfragen themenaffiner Nutzer gelistet und neben anderen Videos vorgeschlagen werden, müssen Beschreibungstexte und Titel auf entsprechende Suchwörter optimiert werden. Schritt zwei für mehr Reichweite ist Youtube-Advertising. Nahezu jede Zielgruppe lässt sich heute über sogenannte Targeting-Optionen individuell mit Werbung ansprechen.

Warum sollte Bundesverkehrsminister Dobrindt nicht ein Video für Männer ab 35 Jahren mit Interesse an Autos ausspielen, in dem er seine Pläne für die kommenden Jahre vorstellt, genau auf die Fragen und Interessen dieser Gruppe ausgerichtet? Arbeitsministerin Nahles und Familienministerin Schwesig könnten sich an junge Menschen mit Interesse an Bildungs- und Arbeitsthemen wenden und zu ihnen über die Ideen für Arbeit im 21. Jahrhundert sprechen.  

Ein aktuelles Beispiel zeigt, wie die Grünen sogenannte „Discovery Ads“ einsetzen. Diese Video-Anzeige erschien in den Suchergebnissen bei der Artikelrecherche zu „Die Linke“. Hier wurde offensichtlich ein politischer Suchbegriff als (Keyword-)Targeting ausgewählt. Das Thumbnail zeigt sofort, worum es geht und erreicht den politisch interessierten Nutzer.

Fazit

Mit Hilfe von Youtube können Parteien und Politiker im Wahlkampf 2017 Wähler gewinnen. Aber nur, wenn sie den Kanal ernstnehmen und sich mit seinen Mechanismen sowie den Usern intensiv auseinandersetzen. Hochpolierte TV-Spots auf dieser Plattform zu verlängern, wird genauso wenig einen nachhaltigen Effekt erzielen wie beliebig hochgeladener Video-Content.

Von einer professionellen Youtube-Kommunikation sind alle relevanten Player aktuell noch recht weit entfernt. Keine Frage, es verlangt einen langen Atem, um einen solchen Kanal groß und erfolgreich zu machen. Zentrale Erfolgsfaktoren über die Parteigrenzen hinweg sind eine Content-Strategie, Konsistenz, Branding und Mut. Aber noch bleiben ja mehr als 18 Wochen bis zur Wahl.

Fünf Tipps für Wahlkämpfer

1. Seien Sie mutig!

YouTube bietet viel Raum zum Ausprobieren. Trauen Sie sich, ansprechende Videos zu machen und aus den gelernten Kommunikationsmustern auszubrechen. Testen Sie, was das Zeug hält, seien es Livestreams oder gar Tutorials zu politischen Themen.

2. Was würde Sie interessieren?

Nicht jedes Video muss aus dem Plenum oder der Pressekonferenz kommen. Recherchieren Sie, was Ihre Zielgruppen bewegt und wonach sie auf Youtube suchen. Die gewonnenen Informationen bieten unglaublich viele Ansatzpunkte für die Strategieentwicklung. Nicht jedes vorhandene Video muss auch veröffentlicht werden. Fragen Sie sich nach dem Mehrwert für die Menschen.

3. Gut Ding will Weile haben.

Geduldig sein und langfristig planen ist anstrengend aber lohnenswert. Wer auch zwischen den Wahlkämpfen mit spannenden Themen überzeugt, kann sich langfristig erfolgreich positionieren. Dies erfordert unter Umständen einen längeren Atem, denn Youtube ist harte Arbeit. Bleiben Sie dabei immer konsistent im Design, den Veröffentlichungszeiten und in der Sprache. Denken Sie in Reihen wie z.B. „Kochen mit den Kandidaten – Rezepte zum Schlemmen und Zusammenleben Folge 23“. Das fällt auf und motiviert zum erneuten Vorbeischauen.

4. Kooperieren Sie!

Gehen Sie auf Youtuber zu und kooperieren Sie. Lassen Sie sich interviewen, laden Sie Influencer in die Wahlkampfzentrale ein oder bitten Sie darum, die eigenen Themen zu besprechen. Dies wird neue Zielgruppen auf glaubwürdige Weise erschließen.

5. Seien Sie authentisch!

Der Erfolg der vielen Youtuber kommt auch daher, dass sie nahbar und authentisch sind. Platte Werbung verschreckt immer mehr User. Die meisten Aussagen über Plakate oder Spots wirken inhaltsleer und austauschbar. Wer hier glaubwürdig aus dem Einerlei ausbrechen kann, hat ein riesiges Potenzial im Vergleich zur Konkurrenz. Die Plattform bietet enorm viele Möglichkeiten, genau das zu schaffen. Das ehrliche Backstage-Interview wirkt immer besser als der polierte Auftritt vor den Kameras.