Sagen, was isst

Glosse

Was war das für eine süße Geschichte! Obwohl, irgendwie war sie auch bitter. Über Geschmack lässt sich ja streiten. Das bewies unlängst Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). In einer Video-Vorbesprechung zur Gesundheitsministerkonferenz soll er die Hamburger Amtskollegin und Parteigenossin Melanie Leonhard gerüffelt haben, weil sie einen Schokoriegel aß. Er soll über die schädlichen Inhaltsstoffe der Süßigkeit doziert haben. Offenbar kann man Lauterbach nicht nur mit Salz, sondern auch mit Zucker und Palmöl auf die Palme bringen. In der folgenden Sitzung sollen mehrere Minister in einer Art “Kitkat-Aufstand” (“Bild”) darauf reagiert haben: Sie aßen demonstrativ Süßigkeiten.

Journalismus ist wichtig. Er ordnet ein, er erklärt, er berichtet. Nach einer berühmten Definition des “Spiegel”-Gründers Rudolf Augstein ist es die Aufgabe zu “sagen, was ist”. Einige Medien scheinen das zuletzt sehr, sehr ernst genommen zu haben. Einordnung? Eher untergeordnet. Relevanz? Firlefanz! Die Leser werden es schon aufessen. In der Politik passieren ständig Dinge, über die Journalisten unbedingt schreiben müssen. Warum? Weil sie es können.

In Mecklenburg-Vorpommern war man es leid, ständig nur über eine Klimastiftung zu sprechen, die als verlängerter Arm für den russischen Staat dient. Da kam Erdbeerkuchen-Gate gerade recht. Zum 48. Geburtstag der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) bekam diese vom Landwirtschaftsminister Till Backhaus einen Erdbeerkuchen überreicht. “Selbst gemacht”, schrieb Schwesig auf ihrem Twitter-Account stolz dazu. Allerdings sah der Kuchen verdächtig industriell aus. Mit Internetnutzern ist nicht gut Erdbeeren essen. Sie fragten laut: Kam der wirklich aus der Küche von Backhaus oder aus der Küche vom Backhaus? Natürlich musste die Presse darüber berichten. Am Ende war jedes Leugnen fruchtlos: Schwesigs ­Social-Media-Team musste einräumen, dass der Kuchen aus einer Bäckerei kam. Deutschland atmete auf. Klimastiftung?

Auch Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) wurde wegen einer Essensposse medial überfahren. Er hatte auf den Ministerberatungen der G7-Staaten wohl aufgeschnappt, dass allein Essensfotos auf Cloudspeichern viel Strom verbrauchen. Das hatte ihn offenbar so beeindruckt, dass er dieses Beispiel etwas ungelenk ohne Kontext in einer Pressekonferenz in den Raum warf. Das schmeckte den Internetusern aber gar nicht. Sie hatten nicht viel Mühe, Essensschnappschüsse auf Wissings ­Social-Media-Accounts zu finden und ihm vorzuhalten, wie die Medien anschließend berichteten. Wissing mit roter Grütze, Wissing mit Pizza, Wissing mit Kuchen – das hätte er besser wissen können. Auf Twitter ruderte Wissing anschließend zurück: Jeder könne das Netz frei nutzen, auch für Essensfotos. Gut, dass wir darüber gesprochen haben.

Aber können wir uns nur über Politiker und Essen aufregen? Natürlich nicht. Bei Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) fragen sich ohnehin einige, warum Kanzler Olaf Scholz sie nicht in die Wüste schickt. Das liegt wohl daran, dass sie dort schon war und – das kann man sagen – mit der Wüste auch gut fertiggeworden ist. Nach Medienberichten waren Soldaten, vor allem aus Sicherheitsgründen wütend, dass sie mit Stöckelschuhen bei der Truppe beim Auslandseinsatz in Mali auftauchte. Zum Glück ist sie niemandem auf den Schuh getreten.

Was kommt als Nächstes, mag man sich nun fragen? Wessen Suppe darf Olaf Scholz noch auslöffeln? Wer hat Karl Lauterbach die Suppe versalzen? Wer hat von Annalena Baerbocks Tellerchen gegessen? Wer hat Robert Habeck die Wurst vom Brot genommen? Am Ende machen solche Zeilen einfach Spaß und zeigen, dass Politiker vor allem auch Menschen sind. Außerdem bleiben harmlose Possen nicht wirklich hängen und sind – seien wir ehrlich – das Salz in der Berichterstattung. Egal ob das dem Lauterbach schmeckt oder nicht!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 139 – Thema: Politische Events. Das Heft können Sie hier bestellen.