"Politiker sollten entscheidungsfreudig sein"

Politik

Frau Hasselfeldt, warum haben Sie nicht erneut für den Bundestag kandidiert?

Erstens bin ich alt genug, um Platz für Jüngere zu machen. Und zweitens wollte ich in einer Zeit gehen, in der erkennbar die meisten Leute sagen: Es ist schade, aber auch verständlich. Dieser Zeitpunkt war gekommen.

Anfang 2017 wurden Sie zwischenzeitlich als Gauck-Nachfolgerin gehandelt. Hätte Sie das nicht nochmal gereizt?

Nein, denn meine Tätigkeit füllte mich aus. Im Übrigen hatte ich mich für das Ende meiner aktiven politischen Tätigkeit entschieden.

Wer wird an Ihrem Abgang denn mehr zu knacken haben, Horst Seehofer oder Angela Merkel?

Als Landesgruppenvorsitzende war ich innerhalb der Fraktion das Bindeglied zwischen CDU und CSU. Meine Heimat ist die CSU. Ich hatte zu beiden ein gutes Verhältnis, mit beiden eine sehr gute Zusammenarbeit, und da möchte ich mich auch nicht auf die eine oder andere Seite stellen lassen.

Was schätzen Sie an Frau Merkel, was an Herrn Seehofer?

Beide sind getragen von einem großen Verantwortungsgefühl für die Menschen, sie wollen das Land gut regieren und haben ein feines Gespür für die Situation der Menschen. Horst Seehofer ist ein stark ausgeprägter Instinktpolitiker, nah an den Befindlichkeiten und Sorgen der Menschen. Angela Merkel geht mit ihrem naturwissenschaftlichen Sachverstand und guter Menschenkenntnis an die Lösung der Probleme heran. Jeder ist da geprägt von seiner Ausbildung und Herkunft. Und ich glaube, dass diese Unterschiede auch ein Stück weit das Geheimnis des Erfolgs der Union sind.

Und durch welche Eigenschaften haben Sie die Scharnierfunktion zwischen beiden geschafft?

Wahrscheinlich, weil ich von beiden ein bisschen etwas habe. Ich bin nahe an den Menschen, auch schon durch meinen Lebenslauf. Eine wichtige Motivation für mich, in die Politik zu gehen, war die Möglichkeit, dort viel Kontakt mit den Menschen zu haben und auch Verantwortung für sie zu übernehmen. Ich diskutiere sehr gerne, ob mit jungen oder älteren Leuten, und finde das jedes Mal wieder spannend. Daneben bin ich aber auch sehr sachlich orientiert. Ich möchte die politischen Rahmenbedingungen immer so gestalten, dass sie richtig und sachgerecht sind.

Wie haben Sie diese Spannungen gemanagt, die immer mal wieder zwischen Berlin und München auftraten?

Da hilft gelegentlich ein Blick in die Vergangenheit, denn auch das Verhältnis von Strauß und Kohl war nicht immer spannungsfrei. Daran kann ich mich noch gut erinnern. Es hat in der Geschichte der Union insgesamt – und ich behaupte auch Deutschland – gutgetan, wenn eine gewisse Spannung da war. Sie darf nur nicht zu stark ausfallen, und alle Beteiligten müssen immer wieder im Blick haben, dass die gemeinsame Wertebasis das Ausschlaggebende ist, um gemeinsam erfolgreich für Deutschland zu arbeiten.

Ist es das komplizierteste Amt im politischen Berlin?

Es ist in jedem Fall das einflussreichste und das schönste Amt, das die CSU in Berlin zu vergeben hat und das zudem von einer gewissen Unabhängigkeit geprägt ist.

Das Einflussreichste im Sinne von …?

Der Landesgruppenvorsitzende der CSU ist Mitglied im Koalitionsausschuss und das ist in einer Bundesregierung, die von einer Koalition getragen wird, ein sehr einflussreiches Gremium. Ohne die Landesgruppe der CSU kann innerhalb der Gesamtfraktion nichts entschieden werden. Das ist eine Errungenschaft früherer Jahrzehnte, die von großer Bedeutung ist. Sie bringt die Besonderheit und einzigartige Stellung der CSU-Landesgruppe sehr gut zum Ausdruck.

Foto: privat

Es ist auffällig, dass es in der CSU wenige Frauen gibt, die exponiert sind. Woran liegt das?

Dass für die CSU weniger Frauen im Bundestag sind, liegt in erster Linie daran, dass bei uns die meisten Abgeordneten direkt gewählt werden, so wie Bürgermeister oder Landräte. Bei anderen Parteien kann auf den Parteilisten über eine Quote gesteuert werden. Dagegen haben die Frauen in der CSU mehr Einfluss. Wenn Sie mal sehen, wie viele Frauen in verantwortlichen Positionen in der bayerischen Staatsregierung sitzen, dann sind das weit mehr als in manchen anderen Landesregierungen. Wir hatten in der vergangenen Legislaturperiode innerhalb meiner Landesgruppe die Situation, dass alle Frauen, die schon mindestens eine Legislaturperiode im Bundestag sitzen, mit Funktionen versehen sind: Staatssekretärin, Ausschussvorsitzende, Arbeitsgruppenvorsitzende, Arbeitskreisvorsitzende oder Drogenbeauftragte.

Ihre Kinder waren vier und zehn Jahre alt, als Sie das Mandat damals im Bundestag in Bonn annahmen. Das war sicher nicht einfach.

Nein, das war es nicht. Das habe ich auch am Anfang etwas unterschätzt. Ich war immer berufsstätig und habe Beruf, Familie und politisches Ehrenamt miteinander verbunden, auch schon, bevor ich in den Bundestag kam. Aber es ist dann doch noch etwas Anderes, wenn man während der Sitzungswoche überhaupt nicht da ist und sich der Kontakt auf das Telefonieren konzentriert. Auch am Wochenende und in den sitzungsfreien Wochen steht man nicht immer zur Verfügung. Ich kann mich an so manche Situation am Montagmorgen erinnern: Als ich die Vierjährige damals im Kindergarten abgegeben habe, war sie gut gelaunt. Sie war da ja gut aufgehoben. Aber dann im Auto habe ich mir auf dem Weg zum Flughafen schon Gedanken gemacht und da ist bei mir auch so manche Träne geflossen. Das war nicht einfach, aber ich würde es wieder so machen. Vielleicht auch deshalb, weil sich beide Kinder so gut entwickelt haben und ich auch trotz dieser starken und intensiven Politikertätigkeit und der damit verbundenen Abwesenheit ein tolles Verhältnis zu beiden Kindern habe. Und sie sagen, dass es so gut war, sie nichts vermisst haben und wissen, dass ich immer da war, wenn sie mich gebraucht haben. Das ist dann schön. Mir ist aber auch bewusst, dass dazu viel Glück gehört.

Die “Süddeutsche Zeitung” hat mal geschrieben, dass die CSU ein testosteronverliebter Männerhaufen sei. Hat sie Recht?

Das ist schon übertrieben. Wir sind mittlerweile eine Partei, in der Frauen eine hohe Anerkennung genießen. Sonst wäre es nicht möglich gewesen, dass ich Landesgruppenvorsitzende wurde. Ich bin ja da nicht hingekommen, weil man eine Frau brauchte, oder weil es zum Proporz gehörte. Entscheidend war, wer die 56 Kollegen gut anführen kann. Und meine Kolleginnen und Kollegen sind schon sehr selbstbewusst. Fast alle sind direkt in ihren Wahlkreisen gewählt und unabhängig. Dass eine Partei dann auf diesen einflussreichen Posten eine Frau wählt – ich wurde zwei Mal mit sehr gutem Ergebnis und ohne Gegenkandidaten gewählt – zeigt doch, dass die Partei gegenüber Frauen sehr offen ist. Insofern stimmt das heute ganz sicher nicht mehr.

Was werden Sie am politischen Betrieb nicht vermissen?

Die enge Taktung werde ich sicher nicht vermissen. Vor allem in den Sitzungswochen, wo es besonders intensiv ist.

Gibt es ein Thema, bei dem Sie rückblickend anders abgestimmt hätten?

Bei einem bedeutenden inhaltlichen Thema fällt mir keine Abstimmung ein. Bei der Frage Bonn – Berlin würde ich jedoch anders abstimmen.

Wie haben Sie denn damals abgestimmt?

Für Bonn. Ich bin heute sehr froh, dass die Mehrheit anders gestimmt hat.

Aus welchen Gründen hatten Sie denn für Bonn gestimmt?

Ich habe damals aus raumordnungspolitischen Gründen für Bonn gestimmt, da ich befürchtete, dass die Stadt und der Raum Bonn ausbluten würden, wenn der Parlaments- und Regierungssitz verlagert werden. Ich habe außerdem befürchtet, dass der Föderalismus über einen längeren Zeitraum hinweg ein Stück weit geschwächt wird. Weiterhin war ich der Überzeugung, dass Berlin zur Entwicklung der Stadt den Parlamentssitz nicht brauchen würde.

Wann haben Sie sich dann umentschieden?

Noch bevor wir nach Berlin zogen, bekam ich meine Zweifel, als wir in Berlin waren dann erst recht. Später hat sich dann gezeigt, dass sich Bonn durchaus gut anders entwickeln kann, mit den Uno-Einrichtungen und den großen Unternehmen. Die politische Arbeit wird in Berlin von den Bürgern intensiver wahrgenommen. Dass die Menschen nach Berlin und auch ins Parlamentsgebäude pilgern, das hatten wir in Bonn nie gehabt. Ich habe jedes Jahr rund 1.200 Schüler hier zu Besuch. In Bonn waren es bei Weitem nicht so viele, obwohl es die gleichen Finanzierungshilfen gab. Das war einfach nicht so attraktiv, damals sind nur die ganz aktiven Sozialkundelehrer nach Bonn gefahren. Die Demokratie hat nicht gelitten unter der Berlin-Entscheidung und der Föderalismus ist eher noch ausgeprägter geworden, das hat man bei den Bund-Länder-Finanzbeziehungen gesehen. Die Internationalität und die Bedeutung Deutschlands hängen auch mit der Stadt Berlin zusammen.

Welches sind die drei Top-Eigenschaften eines Politikers?

Ein Politiker muss die Menschen mögen. Wenn er die nicht mag, sich lieber mit Zahlen oder anderen theoretischen Dingen beschäftigt, dann wird er keine Freude an der politischen Arbeit haben. Dann wird er auch meines Erachtens den Anforderungen nicht gerecht. Die Liebe zu den Menschen, verbunden mit der Übernahme von Verantwortung, das gehört zum Wesensmerkmal, sonst kann er auch die Belastungen nicht durchstehen.

Der zweite Punkt ist die Entscheidungsfreude. Man darf sich nicht zurücklehnen, sondern muss sich vor den Leuten hinstellen und seine Entscheidung begründen. Das gilt für rein persönliche Entscheidungen wie z. B. bei der “Ehe für alle” oder für fachliche wie die Euro-Entscheidungen. Auch in einer Versammlung, in der die Mehrheit eine andere Meinung vertritt, darf man nicht kneifen, sondern muss für seine Meinung oder wenigstens für Verständnis werben.

Als drittes muss man als Politiker auch bereit sein, sich immer wieder mit neuen Themen zu beschäftigen, sich auch in komplizierte Materien einzuarbeiten. Das darf man nicht als Belastung sehen. Nehmen Sie die Flüchtlingsproblematik oder die Frage der inneren Sicherheit. Berufliche Qualifikation ist dafür eine gute Voraussetzung. 

 

Dies ist ein Auszug aus dem Interview-Buch “Bundestag adieu!”, für das Aljoscha Kertesz mit zahlreichen 2017 aus dem Parlament ausgeschiedenen Politikern gesprochen hat. Es ist im Engelsdorfer Verlag erschienen.

Hier geht es zu den Interviews mit Franz Josef Jung, Brigitte ZypriesWolfgang BosbachKristina Schröder und Jan van Aken.