"Ich habe mich von Journalisten oft ungerecht beurteilt gefühlt"

Politik

Herr Jung, weshalb haben Sie nicht mehr für den Bundestag?

Das nächste Mal wäre ich über 70 Jahre alt und irgendwann muss man auch mal loslassen können und den Jüngeren die Chance geben. Ich selbst bin seit 1973 auf der Bundesebene tätig. Zunächst zehn Jahre im Bundesvorstand der Jungen Union, zuletzt als stellvertretender Bundesvorsitzender. Dann 1983 im hessischen Landtag und seit 2005 im deutschen Bundestag. Das ist schon ein durchaus abwechslungsreiches, teilweise erfolgreiches politisches Leben und da habe ich mich entschieden, jetzt den Jüngeren das Feld zu überlassen.

Haben Sie in der Politik Freunde gefunden?

Ja, in der Jungen Union beispielsweise Matthias Wissmann, dann hier in Hessen Roland Koch, Volker Bouffier, Karlheinz Weimar, um ein paar Namen zu nennen. Ich hatte das Glück, mit wirklichen Freunden zusammenzuarbeiten und dann macht das Ganze mehr Spaß.

Was werden Sie am meisten am Bundestag vermissen?

Die politische Tätigkeit und die Möglichkeiten, auch und insbesondere wenn man in der Regierungsfraktion ist, politisch gestalten zu können. Das war mir natürlich als Verteidigungsminister in besonderer Art und Weise gegeben. Ich werde auch die Zusammenarbeit mit unserer Bundeskanzlerin und dem Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder vermissen. Das war immer eine freundschaftliche und sehr gute Zusammenarbeit.

Was werden Sie überhaupt nicht vermissen?

Plenarsitzungen, die bis Mitternacht gehen. Und den ein oder anderen journalistischen Kommentar.

In der Spendenaffäre wurde insbesondere auf Druck der FDP Ihr Ausscheiden aus der Staatskanzlei betrieben. Jetzt müssen Sie im Aufsichtsrat von Rheinmetall eng mit einem FDP-Politiker zusammenarbeiten. Bestehen da keine Berührungsängste?

Nein, auf gar keinen Fall. Wissen Sie, das war damals eine besondere Situation. Die FDP hat zur Koalition gestanden. Es gab dann eine Konstellation, die insbesondere medial bestimmt war, wo sie nicht mehr die Chance hatten, in der Koalition zu bleiben, wenn sich nichts ändern würde. Daher habe ich mit meinem Rücktritt die Konsequenz gezogen. Die Koalition ist dann ja nicht nur im Amt geblieben, sondern wir haben anschließend die Wahlen mit absoluter Mehrheit gewonnen. Von daher habe ich auch weiterhin ein gutes Verhältnis zur FDP gehabt. Manchmal gibt es in der Politik Dinge, für die man nichts kann. Und um eine Zukunftsperspektive zu entwickeln, ist dann so ein Schritt eben notwendig.

Hat sich durch die große Koalition der Umgang untereinander verändert?

Im Umgang miteinander weniger. Das Problem der großen Koalition ist folgendes: immer wenn die Opposition relativ klein ist und der politische Streit nicht mehr im Parlament stattfindet, dann besteht die Gefahr, dass die Ränder stark werden. Das ist etwas, das mir Sorge bereitet. Daher bin ich auch vom Grundsatz her der Meinung, dass große Koalitionen auf Dauer nicht gut sind. Ich sage dies, obwohl ich selbst Regierungsverantwortung in einer großen Koalition hatte.

Foto: privat

Sie haben aktiv in der MdB-Fußballmannschaft gespielt. Verbindet der FC Bundestag?

Ich will es mal so formulieren: Manche Dinge kann man dort im menschlichen Miteinander besprechen, was oft im politischen nicht geht. Das finde ich recht positiv. In der Mannschaft des hessischen Landtags, wo ich Spielführer war, hatte ich beispielsweise auch mit Joschka Fischer gespielt, der damals ja Minister war.

Heute regiert schwarz-grün in Hessen relativ geräuschlos. Hat sich durch den FC Bundestag das Verhältnis zwischen CDU und Grünen entspannt?

Ja, ich denke schon. Für mich hat sich da ein ganz anderes Verhältnis beispielsweise auch zu Joschka Fischer ergeben, der immer auch von meinen Vorlagen gelebt hat. Und dann haben wir nachher Bundestag gegen Landtag im Waldstadion bei der Eintracht gespielt. Joschka Fischer hat mir den Ball rübergelegt und ich habe ihn ins Tor geschossen, oben auf der Tafel stand: 1:0 Jung. Da meinte Fischer schmunzelnd, dass er da wohl einen Fehler gemacht hätte. Sie sehen, es war immer locker und mit Freude bestimmt. Da hat sich im Zwischenmenschlichen etwas verändert.

Welches sind denn für Sie die drei Top-Eigenschaften eines Politikers?

Auf die Leute zugehen zu können, standhaft zu sein und eine klare politische Diktion und Vision zu haben, was man für die Bürgerinnen und Bürger umsetzen möchte.

Haben Sie ein Lebensmotto?

“Fortiter in re suaviter in modo”; hart in der Sache aber fair im Umgang miteinander. Das stammt von Claudio Aquaviva und ist mein politisches Motto, dem ich immer gefolgt bin. Klare Auseinandersetzung, politisch inhaltlich klare Positionen, aber fair im menschlichen Umgang. Dieses Motto steht auch am Eingang der Pforte zum Kloster Eberbach.

Und der Umgang mit Ihnen, war der auch immer fair?

Nicht immer, das kann man leider nicht sagen. Insbesondere von Seiten der Journalisten habe ich mich oft sehr ungerecht beurteilt gefühlt.

Welche Situationen kommen Ihnen da in den Sinn?

Insbesondere in meiner Zeit als Verteidigungsminister, aber teilweise auch im Zusammenhang mit der Spendenaffäre. 

Haben Sie das gegenüber den Journalisten eigentlich angesprochen?

Wissen Sie, das muss man als Politiker ertragen können. Wenn man aber ins Gespräch kam, habe ich es durchaus auch angemerkt.

Haben Sie vor, mit Kolleginnen und Kollegen in Kontakt zu bleiben?

Ja, definitiv. Ich bin ja auch Mitglied der parlamentarischen Gesellschaft, wo die ehemaligen immer mal wieder zu entsprechenden Terminen kommen und ich muss mal schauen, welche Funktionen ich wähle. Ich werde ja weiterhin im Petersburger Dialog sein, wo ich im Vorstand sitze. Zudem bin ich auch im Fernsehrat des ZDF. Das hängt mit der Bundesregierung zusammen, da muss ich schauen, wie die Entscheidung getroffen wird. Ich bin Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft der Soldaten-Betreuung, das bleibe ich auch weiterhin. Von daher gibt es auch zukünftig einige Berührungspunkte in meinem Verantwortungsbereich.

Was hat sich im politischen Geschäft in der Zeit alles geändert?

Früher, wenn die Leute etwas von einem wollten, haben sie einen Brief geschrieben. Heute tippen sie das in ihr I-Pad oder I-Phone ein und dann erwarten Sie möglichst, dass in zwei Stunden eine Antwort kommt. Ich sehe das ja selbst, wenn ich mal einen halben Tag unterwegs bin, dann habe ich wieder so und so viel E-Mails auf dem Handy. Da hat sich einiges geändert.

 

Dies ist ein Auszug aus dem Interview-Buch “Bundestag adieu!”, für das Aljoscha Kertesz mit zahlreichen 2017 aus dem Parlament ausgeschiedenen Politikern gesprochen hat. Es ist im Engelsdorfer Verlag erschienen.

Hier geht es zu den Interviews mit Brigitte ZypriesWolfgang BosbachKristina Schröder und Jan van Aken.