Misstrauensvorschuss

Politik

Im politischen Kontext ist Misstrauen eigentlich nicht automatisch negativ. Die Gewaltenteilung ist das zentrale Ordnungselement des Rechtsstaats – und nichts anderes als das institutionalisierte Misstrauen gegenüber politischer Macht. Gleichzeitig sind demokratische Staaten darauf angewiesen, dass die Menschen dem System und seinen Institutionen vertrauen. Das sogenannte Institutionenvertrauen unterscheidet sich in der Regel kaum vom Vertrauen in die Politiker, die diese Institutionen nach außen repräsentieren. Ausnahmen bilden überparteiliche Organe wie die Bundeswehr oder das Bundesverfassungsgericht.

Umso mehr lohnt es sich, genauer nachzuforschen, wie es um das Vertrauen der Menschen in ihre Repräsentanten bestellt ist. Eine repräsentative Bevölkerungsbefragung von Civey ergibt, dass nur rund 20 Prozent der Bundesbürger der Auffassung sind, die meisten Politikerinnen und Politiker in Deutschland seien vertrauenswürdig. Zwei Drittel der Befragten sehen das nicht so. Die übrigen Befragten legen sich nicht fest und antworten mit „unentschieden“. Die „Vertrauenslücke“, die zwischen Wahlberechtigten und Politikerinnen und Politikern aufklafft, lässt sich also präzise beziffern.

Frust im Osten

Bemerkenswert ist der Meinungsunterschied zwischen Ost und West: Im Osten sind fast acht von zehn Befragten der Meinung, die meisten Politiker seien nicht vertrauenswürdig; im Westen sind es etwas mehr als sechs von zehn. Auffällig ist auch, dass sich Alter und Geschlecht kaum auf das Antwortverhalten auswirken. Ein wichtiger Faktor ist dagegen die aktuelle politische Orientierung der Befragten: Die AfD-Anhängerschaft ist fast zu einhundert Prozent der Meinung, die meisten Politikerinnen und Politiker in Deutschland seien nicht vertrauenswürdig. Von den Anhängern der Grünen sind weniger als 40 Prozent dieser Auffassung. Die übrigen Parteianhänger sortieren sich zwischen diesen beiden Maximalwerten ein.

Um die „Vertrauenslücke“ genauer zu verstehen, hat Civey sie mithilfe demoskopischer Instrumente vermessen. Dazu haben wir in unserem Online-Panel drei Aussagen auf Zustimmung getestet. Dabei handelt es sich um Vorurteile gegenüber Politikerinnen und Politikern:

  • „Die meisten Politiker interessieren sich nicht für die Probleme der Menschen im Land.“
  • „Die meisten Politiker reden nur, statt Probleme zu lösen.“
  • „Die meisten Politiker können die Probleme normaler Menschen nicht nachempfinden.“

Alle drei Aussagen werden jeweils von einer deutlichen Mehrheit der Befragten geteilt. Die Zustimmungswerte liegen zwischen rund 70 und rund 80 Prozent. Die drei getesteten Vorurteile existieren also in weiten Teilen der Bevölkerung und sind kein Phänomen, das nur in bestimmten Schichten auftaucht. Bei allen drei Vorurteilen zeigt sich, dass Befragte den Aussagen besonders häufiger zustimmen, wenn sie zudem die meisten Politikerinnen und Politiker für nicht vertrauenswürdig halten.

Vertrauen ist systemrelevant

Diese demoskopische Bestandsaufnahme wirft zwangsläufig eine Frage auf: Wie gelingt es Politikern, diese Vertrauenslücke zu schließen? Das liegt nicht nur in ihrem individuellen Interesse, etwa um einen Wahlkreis direkt zu gewinnen. Es gibt auch ein übergeordnetes Interesse. Je geringer das Vertrauen zwischen Bürgern und Politikern ist, desto leichter haben es populistische Bewegungen, das demokratische System aus den Angeln zu heben. Die Zahlen zeigen das ganz deutlich: Befragte, die mit dem Funktionieren der Demokratie in Deutschland zufrieden sind, sind häufiger der Meinung, die meisten Politikerinnen und Politiker seien vertrauenswürdig, als diejenigen, die mit der Demokratie in Deutschland unzufrieden sind (32 beziehungsweise drei Prozent).

Der größte Fehler, den ein Politiker mit Blick auf die Vertrauenslücke begehen kann, ist, eines der oben gemessenen Vorurteile zu bestätigen. Politische Skandale wie die sogenannte „Maskenaffäre“ des Frühjahrs 2021 sind Wasser auf die Mühlen derjenigen, die Politikern vorwerfen, sich nicht für die Probleme der Menschen zu interessieren. Äußerungen wie die eines ehemaligen Kanzlerkandidaten, er trinke keinen Weißwein für „nur fünf Euro“, verschärfen dieses Bild. Die große Anzahl politischer Dauerkrisen und Herausforderungen wie Klima, Demografie, Energieknappheit und Inflation könnten viele als Beleg dafür nehmen, dass Politiker nur reden und keine Probleme lösen.

Nach der historischen Wahlniederlage der Union bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr nahm sich die CDU vor, die Lebenswirklichkeit der Menschen wieder stärker in den Blick zu nehmen. Hierbei reicht es jedoch nicht, schlicht die drängendsten Probleme des Landes anzusprechen. Sie müssen auch glaubwürdig kommuniziert werden. Ein Spitzenpolitiker wirkt nicht glaubwürdig, wenn er sich per Handyvideo vor einer Tankstelle über zu hohe Benzinkosten auslässt – und dabei vor seiner Dienstlimousine mit Chauffeur steht.

Berührungspunkte suchen

Politiker sollten sich überlegen, wo es echte Berührungspunkte und Überschneidungen zwischen ihrem Alltag und dem der Bürger gibt. Besonders nahe liegt es, die gemeinsame Heimat zu betonen, auch wenn das oberflächlich ist. Viele Politiker kehren ihre regionale Verwurzelung in ihrem Heimatwahlkreis heraus. Die Aussage „Ich vertrete den schönsten Wahlkreis in Deutschland“ ist der wohl bekannteste Ausdruck einer Rhetorik, die den Schulterschluss mit der Wählerschaft sucht. In dieselbe Kerbe schlägt das „Berlin-Bashing“. Es drückt aus: Ich bin keiner von denen.

Neben der regionalen Gemeinsamkeit gibt es zahlreiche weitere mögliche Anknüpfungspunkte. Politikerinnen und Politiker, die Eltern kleiner Kinder sind, konnten während der Hochphasen der Pandemie glaubwürdig über die enorme Doppelbelastung berufstätiger Eltern zwischen Homeoffice und Homeschooling sprechen. Abgeordnete, die beruflich als Landwirt tätig sind, können authentisch über die Bedrohung von Hitze und Dürre sprechen. Junge Abgeordnete können glaubwürdig das Thema Generationengerechtigkeit besetzen.

Herausfordernd ist es, das Vorurteil zu entkräften, dass Politikerinnen und Politiker nur reden und keine Probleme lösen. Das liegt in der Natur der Sache. Politiker sind keine Bauarbeiter, die jeden Tag darauf verweisen können, wie viele Meter Straße oder Mauer sie gebaut haben. Politiker sind lawmaker: Sie machen Gesetze. Die Ergebnisse ihrer parlamentarischen Arbeit sind oftmals nicht unmittelbar zu greifen. Um ihre Arbeit sichtbarer zu machen, versuchen manche, große Infrastrukturprojekte in ihren Heimatwahlkreisen anzuschieben. Das kann der Bau einer Umgehungsstraße oder der Anschluss einer Gemeinde an eine Bahntrasse sein. Doch solche Maßnahmen sind nicht jedem möglich und nicht überall sinnvoll.

Authentisch sein

Es muss nicht gleich ein Baudenkmal sein. Politikern stehen mit Sprache, Emotion und der Auswahl des richtigen Kanals entscheidende Werkzeuge zur Verfügung, um Politik zu erklären und nahbar zu machen. Politiker, die ihre Politik in klare und verständliche Worte und Botschaften übersetzen, sind im Vorteil. So lassen sich auch abstraktere Projekte vermarkten. Sicherlich weiß kaum ein Bürger, was das „Gute-KiTa-Gesetz“ genau regelt, aber der Name zeigt gut die Absicht hinter dem Gesetz. Dementsprechend hätte man das „Planungsbeschleunigungsgesetz“ besser das „Schneller-bauen-Gesetz“ genannt. Auch der Kommunikationskanal entscheidet. Auf Tiktok gelingt es dem ehemaligen Abgeordneten Thomas Sattelberger, durch emotionale und kanalspezifische Ansprache Nähe herzustellen, wo eigentlich eine räumliche Distanz besteht.

Die hier gezeigten Umfrageergebnisse machen deutlich: Die Ursachen und Auswirkungen der Vertrauenslücke sollten weiter erforscht werden. Nur so kann sie Stück für Stück verkleinert werden. Vorurteile – der erwähnte Misstrauensvorschuss – lassen sich zwar nur schwer abbauen, aber zu einem großen Teil hat es jede Politikerin und jeder Politiker selbst in der Hand, wie sie oder er wahrgenommen wird. Dabei ist Authentizität gefragt. Es gilt, sich selbst treu zu bleiben. Dazu zählt, dass politische Positionierungen weder in einem luftleeren Raum entstehen noch plötzlich aufgrund von Meinungsumfragen geändert werden. Vielmehr sollten sie nachvollziehbar aus den Werten und Überzeugungen der handelnden Akteure abgeleitet und bei Bedarf auch gegen die öffentliche Meinung behauptet werden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 140 – Thema: Anspruchsvoll. Das Heft können Sie hier bestellen.