Kaltstart für die neue Bundesregierung

Politik

Die betont freundschaftliche Übergabe der Amtsgeschäfte zwischen den beiden Spitzenpolitikern Angela Merkel (CDU) und Olaf Scholz (SPD) begann nach der Wahl Ende September – Wochen und Monate bevor Scholz am 8. Dezember als neuer Bundeskanzler vereidigt wurde. Damit setzten Merkel und Scholz ein deutliches Zeichen. Die intendierte Botschaft sowohl nach innen als auch an Deutschlands international Verbündete war klar: Zusammenhalt, Kontinuität und Verlässlichkeit.

So harmonisch die Amtsübergabe von Merkel an Scholz als auch die Koalitionsverhandlungen zwischen den drei sehr unterschiedlichen neuen Regierungsparteien verlief, so groß ist die Sprengkraft gleich zu Beginn ihrer Regierungszeit.

Deutscher G7-Vorsitz vor dem Hintergrund geopolitischer Spannungen

Am 1. Januar hat Deutschland turnusmäßig den Vorsitz der G7-Staaten von Großbritannien übernommen. Auch wenn es wie Routine erscheint, ist diesmal doch alles anders: Nach 16 Jahren mit Bundeskanzlerin Merkel – in der gleichen Zeit waren immerhin vier US-Präsidenten und ganze neun Präsidenten in Italien im Amt – ist nun eine sozialdemokratische-grüne-wirtschafts-orientierte-liberale Regierung unter Bundeskanzler Scholz im Amt.

Der neue Bundeskanzler bringt als ehemaliger Finanzminister im Kabinett Merkel und nicht zuletzt als ehemaliger Erster Bürgermeister von Hamburg viel Erfahrung sowohl mit der G7 als auch der G20 mit. Trotzdem: Viel Vorbereitungszeit hat die neue Bundesregierung nicht, und das internationale Umfeld ist alles andere als einfach. Auch wenn das Programm des deutschen Vorsitzes erst im Laufe des Januars veröffentlicht wird, so stehen die Schwerpunkte bereits im Großen und Ganzen fest: Gesundheit, Klimaschutz, Digitalisierung, Handel und Lieferkettensicherheit, Menschenrechte und Stärkung der Demokratie weltweit.

Die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen werden wie bereits unter dem britischen Vorsitz zentrale Themen sein. Damit zusammen – aber nicht nur durch die globale Pandemie bedingt – hängen auch Engpässe in globale Lieferketten, die große Auswirkungen auf die Produktion des traditionell exportstarken Deutschlands haben. Entsprechend wird politisch auf deutscher sowie auf europäischer Ebene über die Abhängigkeit von globalen Warenströmen sowie eine größere Resilienz durch Aufbau eigener Kapazitäten diskutiert. Hierauf wird auch die neue Bundesregierung drängen, zumal was den Gesundheitsbereich angeht.

Offener Weg im Verhältnis zu Russland

Geopolitisch wird Deutschland schnell einen Konsens innerhalb der Koalition in Bezug auf das Verhältnis zu Russland entwickeln müssen: zum einen vor dem Hintergrund der politischen Spannungen durch die jüngsten Militärbewegungen an der ukrainischen Grenze und zum anderen aufgrund der Rolle und Position Deutschlands hinsichtlich Nord Stream 2.

Gleich zu Beginn der Koalition gab einen unterschiedlichen Zungenschlag: Während die neue grüne Außenministerin Annalena Baerbock zu Protokoll gab, die Inbetriebnahme der Pipeline Nord Stream 2 könne nicht genehmigt werden, betonte Kanzler Scholz, dass es sich dabei um ein privatwirtschaftliches Vorhaben handle, das nicht mit den politischen Bemühungen um eine Deeskalation an der ukrainischen Grenze belastet werden dürfe. Hinter diesen gegensätzlichen Positionen steckt ein jahrelanger Dissens zwischen SPD und Grünen. Scholz, ehemaliger SPD-Generalsekretär unter dem Nord-Stream-2-Ideengeber und ehemaligen Kanzler Gerhard Schröder, war schon immer ein Befürworter der Pipeline. Die Grünen hingegen wollen die Außenpolitik Deutschlands auf das Fundament einer Werte basierten Außenpolitik stellen.

Es spricht einiges dafür, dass die großen Linien der deutschen Außenpolitik von Kanzler Scholz aus dem Kanzleramt und nicht durch das Auswärtige Amt vorgegeben werden. Die Ambitionen zum Start der deutschen G7-Präsidentschaft sind jedenfalls hoch: “Wir werden unsere Präsidentschaft nutzen, damit dieser Staaten-Kreis zum Vorreiter wird. Zum Vorreiter für klimaneutrales Wirtschaften und eine gerechte Welt”, so Scholz. Ob sich die SPD-Position auch im Verhältnis zu Russland durchsetzt, bleibt hingegen offen. Dass Bundesaußenministerin Baerbock Mitte Januar für ihren Antrittsbesuch zuerst in die ukrainische Hauptstadt Kiew reiste, bevor sich nach Moskau weiterflog, ist gleichermaßen ein diplomatisches Zeichen der Grünenpolitikerin an die Verbündeten Deutschlands wie auch an Russland.

Unterschiede in Klima-, Energie- und Wirtschaftspolitik

Beim Thema Klimaneutralität zeigt sich eine weitere mögliche Sollbruchstelle der Koalition im internationalen beziehungsweise europäischen Kontext. 2021 war noch nicht zu Ende, da brachte die EU-Kommission die neue Bundesregierung per E-Mail auf realpolitischen Boden zurück: Laut einem Entwurf der EU-Kommission sollen unter bestimmten Bedingungen Atomkraft und Gaskraftwerke wegen der geringen CO2-Emissionen ein grünes Nachhaltigkeitssiegel erhalten und damit Investorengelder in Milliardenhöhe mobilisieren.

Die Bundesregierung widerspricht: Man lehne die Einschätzungen “ausdrücklich ab”. Dennoch zeigt sich hier ein Grunddilemma der neuen 3er-Koalition. Diesmal treffen vor allem die unterschiedlichen Politikansätze der Liberalen unter Bundesfinanzminister und FDP-Parteichef Christian Lindner und der Grünen, namentlich des Vizekanzlers und Bundesministers für Wirtschaft und Klima, Robert Habeck, aufeinander.

Einigkeit herrscht zwischen SPD, Grüne und FDP, dass die Atomkraft trotz des vergleichsweisen niedrigen CO2-Ausstoßes das Nachhaltigkeitslabel der EU nicht verdient. Bei der Einschätzung von Erdgas gehen die Positionen jedoch diametral auseinander: Die Grünen halten nichts von einem Öko-Siegel für Gaskraftwerke, SPD und FDP sind damit als Brückentechnologie durchaus einverstanden. Der Spielraum für die Bundesregierung ist eng, auch wenn die EU-Kommission den Fahrplan kurzfristig weiter nach hinten geschoben hat. Wenn die EU-Kommission ihre finale Version vorstellt, dürfte sich das auch auf das Koalitionsklima auswirken.