Das Machtsystem Gabriel

Politik

Verlockend und verstörend muss es sein, Sigmar Gabriel zu beraten. Gabriel, so heißt es immer wieder, höre sich die Analysen seiner Ratgeber stets genau an; oft genug setze er ihre Hinweise in der ihm gewohnten Schnelligkeit um. Ein Rat, eine knackige Formulierung, eine populäre Forderung, soeben vorgetragen, und schon verwendet Gabriel sie im nächsten großen Interview – oder noch am Abend in der „Tagesschau“. Das muss Berater vergnügen und verlocken. Wo gibt es bitteschön im verflochtenen politischen System der Bundesrepublik Deutschland ein so direktes Verhältnis von Input und Output?

Sigmar Gabriel aber umgibt sich mit vielen Beratern, und das macht die Sache für den Einzelnen zuweilen kompliziert. Gabriel, ausgestattet mit einem feinen Radarsystem für Dinge, die sein Gegenüber mag und schätzt, neigt dazu, genau das zu sagen, was dieser (oder in seltenen Fällen: diese) hören möchte. Diese Worte aber entpuppen sich schnell als dahergesagt und wenig wert. Zumal, wenn Gabriel kurz darauf mit einem anderen Vertrauten redet, dessen Ideen er ebenfalls inhaliert und sogleich umsetzt. Das muss den vorherigen Gesprächspartner mit seinen von Gabriel noch eben gutgeheißenen anderen, vielleicht gegensätzlichen Ideen verdrießen.

Gabriel und seine Berater – das ist ein heikles Kapitel, das in seiner Partei immer wieder beschrieben und beklagt worden ist. Als es für den damaligen SPD-Vorsitzenden schlecht lief, er mit abstrusen Ideen oder rasch verworfenen Vorstößen auf sich aufmerksam machte, war zu hören, ihm fehle ein Umfeld, das ihn in Schach halte, ihn kontrolliere. Und als Außenminister? So schnell lässt sich ein Sigmar Gabriel auch in diesem Amt von direkter Kommunikation nicht abhalten (ganz anders als sein Vorgänger Frank-Walter Steinmeier, dessen Büroleiter Jens Plötner den Zugang zum Minister sorgsam monopolisierte).

In unmittelbarer Kommunikation, abseits der Apparate und Strukturen, hatte Gabriel im Januar dieses Jahres seinen Verzicht auf die Kanzlerkandidatur choreografiert. In Interviews mit dem „Stern“-Chefredakteur und dem „Zeit“-Vize, mit zwei Männern in führenden Positionen, bewusst also nicht mit Berliner Korrespondenten, erklärte er außerdem seinen Rückzug vom SPD-Vorsitz. Jene Interviews führte Gabriel – zum Teil im eigenen Heim in Goslar – in Unkenntnis seines damaligen Sprechers Tobias Dünow, der ihm zwölf Jahre lang in diversen Funktionen gedient hatte (Dünow ist übrigens weiter im Willy-Brandt-Haus tätig, arbeitet nun für SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz).

Brutaler Konkurrenzdruck im engen Umfeld

Legendär sind, seit seiner Zeit als Landtagsabgeordneter in Niedersachsen, Gabriels persönliche Eingriffe in den Terminkalender. Was als MdL noch funktionierte, ist im politischen Tagesablauf des Außenministers heikel: Gabriel vereinbart Termine persönlich, quetscht sie in das enge Zeitkorsett und muss sie wenig später absagen. Schon mancher Büroleiter, Berater, Abgeordnete, Mitstreiter ist an dieser Marotte verzweifelt.

Hinzu kommt: Der eine Berater blickt auf den anderen herab, man lästert übereinander. Der Nahkampf innerhalb des Umfelds eines Politiker vom Kaliber Gabriel ist von Konkurrenzdruck geprägt, zuweilen brutal, auch wenn die engsten Mitarbeiter immer wieder an sich selbst appellieren, allein im Auftrag des Herrn (oder gar „der Sache“ wegen) unterwegs zu sein.

Nun aber hat Gabriel die Angewohnheit, mit der Auswahl einzelner Berater den großen Teil seiner engsten Mitarbeiter regelrecht zu verstören, zu provozieren. Der Essener PR-Unternehmer Thomas Hüser ist solch ein Fall. Hüser verfasste für Gabriel das eine oder andere Papier, über das sich diverse Berater des einstigen SPD-Vorsitzenden scheckig gelacht haben. Zu Recht, muss man sagen. Hüser nämlich ist mit dem Innenleben der SPD etwa so vertraut wie Gabriel mit den internen Strukturen der FDP im Süden Oberbayerns. „Systematische Remobilisierung“ war ein Papier Hüsers von 2015 überschrieben, darin flüchtete er sich in banalste Floskeln, etwa den Hinweis, die SPD müsse die „Mitte mit dem politischen System versöhnen“ und „klare Kante“ in der Großen Koalition zeigen. Ach was!

PR-Konzepte für den „Mann der Zukunft“

Für langjährige Berater und Weggefährten Gabriels wie Matthias Machnig oder Rainer Sontowski war der stets laut und großspurig auftretende Hüser die personifizierte Provokation. Als eine regelrechte Beleidigung ihrer – tatsächlich weitaus qualifizierteren – Arbeit mussten sie es verstehen, wenn Ga­briel Hüser Gehör schenkte oder ihn gar nach Berlin ins Willy-Brandt-Haus einlud. Dort übrigens hat Hüser einmal dem in der SPD hochgeschätzten Werber Frank Stauss von der Kommunikationsagentur Butter gönnerhaft auf die Schulter geklopft, nachdem der etwas präsentiert hatte. In Hüsers Konzept war noch zu lesen, Gabriel zeichne „geistlicher (sic!) und kultureller Tiefgang“ aus und er müsse „Mann der Zukunft“ werden. Im Willy-Brandt-Haus und im Bundeswirtschaftsministerium klopften sie sich über diese intellektuelle Glanzleistung auf die Schenkel.

Gabriels Beliebtheitswerte blieben trotz alledem mies, ob er für sich allein stand, mit Angela Merkel oder Martin Schulz verglichen wurde. Genau dieser Umstand veranlasste ihn dazu, die SPD-Kanzlerkandidatur ein zweites Mal auszuschlagen, seinem Freund Schulz den Vortritt zu lassen – und sogar das geliebte Amt des SPD-Vorsitzenden nach mehr als sieben Jahren abzugeben. „Ich werde Außenminister“ verkündete Gabriel im Januar im „Stern“. Das klang nach „l’État c’est moi!“, und schon wenige Stunden später sickerte die Nachricht durch, er werde seinen Staatssekretär Rainer Sontowski ins Auswärtige Amt mitnehmen.

Kein Bedarf an Speichelleckern

Sontowski, der in der SPD und in Regierungsfunktio­nen schon allerhand erlebt hat und mit allen Wassern gewaschen ist, ist der mächtigste Einflüsterer Gabriels. Der Ostwestfale mit dem Sinn für feine Ironie leitet das Vizekanzleramt am Werderschen Markt wie zuvor im Wirtschaftsministerium. Gabriel berief Walter Lindner zum Staatssekretär und Nachfolger von Stephan Steinlein, der ins Bundespräsidialamt wechselte.

Dringender denn je ist Sigmar Gabriel als Außenminister auf eine stabile Umgebung engster Vertrauter angewiesen, denen er vertraut und die ihm vertrauen, und die ihm widersprechen. Berater, die erfahren sind, klug, gut vernetzt und ohne eine eigene Mission.

Speichellecker und lautsprecherische Wichtigtuer in eigener Sache helfen einem Außenminister, von dem jedes Wort auf die Gold­waage gelegt wird, nicht weiter. Ganz im Gegenteil, sie sind im Porzellanladen der internationalen Diplomatie hochgefährlich. Sontowski, Lindner und Planungsstabschef Ralf Beste sind allesamt erfahrene Männer, politisch sehr gut vernetzt. Es wird interessant sein, zu beo­bachten, ob Gabriel auf ihren Sachverstand oder abermals auf den von „externen Beratern“ setzen wird.

 

Das System Gabriel

Wer sind alte Weggefährten, enge Vertraute und neue Verbündete?

Im ­Bundeswirtschafts­ministerium

Foto: Laurin Schmid

Matthias Machnig
Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, einst SPD-Bundes­geschäftsführer und lange Vertrauter Franz Münteferings. Hoch politisch, manchmal etwas hemdsärmelig. Drängt darauf, strategisch zu denken. „Er trägt mir jeden Tag ein neues und kluges Argument vor“, sagte Gabriel einmal. Dient als Verbindung ins BMWi.  

 

Foto: BMWi

Philipp ­Steinberg
Chefvolkswirt im Bundeswirtschafts­ministerium, davor Büroleiter Gabriels. Promovierter Jurist, innerhalb der Berliner SPD verdrahtet, wollte einst für das Europäische Parlament kandidieren, wobei er jedoch intern scheiterte. 

 

Im Bundes­präsidialamt

Foto: BMWi

Oliver Schmolke
Politikwissenschaftler, wechselte mit Frank-Walter Steinmeier ins Bundespräsidialamt, führt dort den Planungsstab. Unter Gabriel Leiter der Leitungs- und Planungsabteilung im Wirtschaftsministerium, arbeitete zuvor als Planungsstabs­chef von SPD-Fraktions­chef Steinmeier. Intellektueller Kopf, gilt als sozial­-liberal und denkt über den Tag hinaus. 

 

Im ­Bundes­presseamt

Foto: Maurice Weiss/Ostkreuz

Ulrike Demmer
Stellvertretende Regierungssprecherin, wurde von Gabriel 2016 als Nachfolgerin für Chris­tiane Wirtz berufen. War jahrelang Hauptstadt­korrespondentin für „Spiegel“ und „Focus“, zuletzt für das Redak­tionsnetzwerk Deutschland. Kein echtes Vertrauensverhältnis zu Gabriel.

 

NRW-­Connection

Foto: Wikimedia.org/Magnus Manske, CC BY 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=18869871

Bodo Hombach
Political animal, einst Kanzleramtschef von Gerhard Schröder, Wahlkämpfer für Johannes Rau und Verlagsmanager („WAZ“), wohnt in Mülheim an der Ruhr. Gut vernetzt an Rhein und Ruhr, empfiehlt Ga­briel nicht mehr ganz taufrische Ideen.

Foto: /Eva Oertwig/Schroewig/dpa

Thomas Hüser
Werber, einst CDU-Mitglied, stammt aus dem Umfeld Bodo Hombachs und hat enge Beziehungen in CDU und Unternehmerschaft in NRW. Präsentierte Gabriel schon manche konfuse, manche abs­truse Idee, schreibt Papiere („Wahlsieg 2017“). Postete 2015 auf Facebook: „Gabriel wird beim nächsten Mal wieder 20 plus x einfahren.“ Das war damals nicht nett gemeint. 

 

Familie und Freunde

Foto: dpa/Picture Alliance/BREUEL-BILD/ABB

Anke Gabriel
Ehefrau, stammt aus Ostdeutschland. Zahnärztin in Gabriels Heimat Goslar. Die engste Beraterin. Unabhängiger Kopf, übermittelt ihrem Ehemann, was das Volk denkt. Wollte nicht als Kanzler-Gattin nach Berlin umziehen.

(In der gedruckten Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise an dieser Stelle ein Bild von Anke Rehlinger gezeigt. Wir bitten um Entschuldigung. Die Redaktion)

Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Burkhard Siebert
Enger Freund seit Jugendzeiten, Kommunalpolitiker in Goslar, SPD, als Erster Stadtrat Stellvertreter des Oberbürgermeisters. War einst wie ein älterer Bruder für Gabriel. Bis heute ein enger Kontakt.

 

Im ­Auswärtigen Amt

Foto: Bundesregierung/Bergmann

Rainer ­Sontowski
SPD, Staatssekretär im AA, Chef des „Vizekanzleramts“ und „Alter Ego“ Gabriels (O-Ton Ga­briel). Arbeitet seit 2005 für ihn, vor dem Wechsel ins AA im Wirtschafts­ministerium sowie im Willy-Brandt-Haus. Kluger Kopf, denkt über Politik hinaus, hat schon für Gabriel ein Buch maßgeblich geschrieben („Links neu denken“, 2008). Mahnte bei der Amtsübergabe im AA mehr Humor an und demonstrierte ihn sogleich. Sontowski verwies auf seine Raumnummer im AA: 2409, und rief: „Am 24. September ist Bundestagswahl!“

 

Foto: Michael Farkas

Michael Roth
Staatsminister im AA, zuständig für Europa. Seit 1998 SPD-Bundestagsabgeordneter. Roth war von Außenminister Steinmeier berufen worden, Gabriel wollte weiter mit ihm zusammen­arbeiten. Roth kennt das Haus und dürfte allerhand Termine Ga­briels übernehmen. Dient ihm außerdem als Bindeglied in die SPD-Bundestags­fraktion, auch wenn Gabriel dieser selbst angehört.

Foto: Bundesregierung/Denzel

Markus Ederer
Beamteter Staatssekretär im AA, zuständig für die beiden Politischen Abteilungen und die für Europa und Krisenprävention, berufen von Außenminister Steinmeier. Russland-Kenner. Reist viel in der Welt herum und bereitet Treffen des Außenministers vor. Hat viel EU-Erfahrung und war Leiter der EU-Vertretung in Peking, bevor er nach Berlin wechselte. Nach der Bundestagswahl 2017 soll Ederer als EU-Botschafter nach Moskau wechseln.

 

Foto: Auswärtiges Amt

Ralf Beste
Leiter des Planungs­stabs, war einst Vertrauter Steinmeiers, der den früheren „Spiegel“-Redakteur ins AA geholt hatte. Beste gilt als kluger Analytiker, hochpolitisch und im politischen Berlin bestens vernetzt. Wie sein Vorgänger Thomas Bagger, der mit Steinmeier als Leiter der Abteilung Ausland ins Bundespräsidialamt wechselt, begeisterter Rennradfahrer.

 

Foto:Tilo Riolo

Leonie Gebers
Sie koordiniert das „Vizekanzleramt“, sorgt für eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den sozialdemokratisch geführten Ministerien, der SPD-Fraktion und dem Kanzleramt. Leitete zuvor im Wirtschaftsministerium die Unter­abteilung Politische Planung. Die Politikwissenschaftlerin war in der SPD-Bundestagsfraktion tätig, außerdem im Bundesfamilienministerium. SPD-Mitglied und vier­fache Mutter.

 

Foto: photothek Th.Imo/AA

Martin Schäfer
Sprecher, war schon für die Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Guido Westerwelle in dieser Funktion tätig. Keine SPD-Nähe. Bis zum Wechsel Ga­briels ins AA im Januar 2017 kannte Schäfer den neuen Minister eigentlich nur aus den Medien. Gilt denn auch als Übergangslösung, denn eigentlich war geplant, dass Schäfer im Sommer 2017 deutscher Botschafter in Peru wird.

 

Foto: AA

Ricklef Beutin
Büroleiter, stammt aus dem AA, wo er seit 2002 tätig ist. Gilt als SPD-nah. Koordinierte zuvor die Arbeit der Staatssekretäre des Hauses. Während Deutschland 2016 den Vorsitz der OSZE innehatte, war er in deren Arbeitsstab tätig. Spielt in der AA-Band „jAAzz“ Bass – und muss nun unter anderem Struktur in Sigmar Gabriels zuweilen allzu ambitionierten Terminkalender bringen.

 

Foto: Marco Urban

Walter Lindner
Beamteter Staatssekretär, zuständig für die Abteilungen Zentrales, Internationale Ordnung, Wirtschaft, Recht, Kultur. Seit 1988 im diplomatischen Dienst, bis 2017 Botschafter in Südafrika, von Gabriel als Nachfolger Stephan Steinleins berufen. Afrikakenner, Musiker, bunter Hund mit Pferdezopf.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 118 – Thema: Bundestagswahl 2017. Das Heft können Sie hier bestellen.