Wenig Visionäres zum Medienumbruch

Rezension

Zum Thema „Medienumbruch und Öffentlichkeit“ und der Frage, wie der digitale Wandel die öffentliche Diskussion in unserer Mediendemokratie verändert, könnte man dicke Sammelbände füllen. Man könnte versuchen, die Komplexität zu durchbrechen, indem man die ineinandergreifenden Rädchen wohlsortiert einzeln unter die Lupe nimmt. Die Herausgeber Johannes Hattler und Hans Thomas haben sich dagegen entschieden.

Die erste Überraschung für den Besteller des Buchs, das eher als schmale Broschüre daherkommt, ist daher wahrscheinlich dessen geringer Umfang von nur 61 Seiten. Der Beitrag des ehemaligen „Wirtschaftswoche“-Chefredakteurs Roland Tichy nimmt sogar nur bescheidene dreieinhalb Seiten ein. Die einzelnen Beiträge stehen jeweils für sich und wirken, als seien sie zufällig angeordnet.

Aber von vorn: Zwei Wissenschaftler und zwei Journalisten widmen sich kurz und prägnant je einem Thema. Den Anfang macht Norbert Bolz, Professor für Medienwissenschaft an der TU Berlin mit seinem Aufsatz zur „Propaganda 2.0“.

Propaganda = PR?

Die Grenzen zwischen Werbung, PR und Propaganda sind fließend, so die Meinung von Bolz. Zu Beginn seines Beitrags über die Allgegenwart von Propaganda analysiert er knapp die grausame Propaganda des so genannten Islamischen Staats. Dieser „Selbstorganisation der radikalen Verlierer“, gelingt es schließlich immer wieder, dass ihre Videos rund um die Welt massenmedial aufgegriffen werden. Anschließend beschreibt er mit zahlreichen historischen Bezügen, wie Politik und Medien angesichts einer immer komplexer werdenden Weltlage vor der Unübersichtlichkeit kapitulieren. Die „letzte Phase“, des Verschwimmens von PR und Propaganda erkennt Bolz im Nudging, der Methode, Menschen mit kleinen Stupsern – ohne Verbote, sondern durch Anreize – zu beeinflussen. Besonders in den USA unter Barack Obama und der britischen Regierung nimmt Bolz diesen Trend wahr.

Schlüsselsätze: „Aufklärung ist gescheitert. Stattdessen leben wir in einer Art Informationshypnose.“, „Es gibt ein Bedürfnis nach Propaganda.“, „Propaganda ist die Public Relations der Bösen und Public Relations ist die Propaganda der Guten“.

Überlebenskampf des Qualitätsjournalismus

„Cicero“-Redakteurin Petra Sorge stellt im zweiten Beitrag ihre Hauptthese gleich als Überschrift voran: „Der Qualitätsjournalismus stirbt auch im Netz nicht“. Schließlich sei nicht das Interesse an Nachrichten gesunken, im Gegenteil, diese seien gefragt wie nie zuvor. Stattdessen gebe es eine Anzeigenkrise und es müssten für digitalen Journalismus bessere Bezahlmodelle gefunden werden. Sorge kritisiert den Begriff „Onlinejournalismus“, da dieser lediglich den Kanal benennt statt die neue Gestalt digitaler journalistischer Bereiche einzubeziehen. Darunter fallen Sorge zufolge webbasierter Echtzeitjournalismus, multimediales Storytelling und Social-Media-Journalismus.

Schlüsselsätze: „Die Frage sollte nicht heißen: Ruinieren Internet, Facebook und Co. den Journalismus? Sie sollte vielmehr lauten: Wie kann die Beteiligung aller gesellschaftlicher Gruppen an der Informations- und Wissensgesellschaft erhöht werden?“; „Der Journalismus im Netz wird zunehmend prozessartig und von ganz neuen Nutzungskontexten bestimmt, deren Möglichkeiten noch längst nicht ausgeschöpft sind.“

Wer hat die Macht?

Der dritte Beitrag widmet sich unter dem Titel „Angstblüte der Medien. Sind Journalisten Opfer des Internet?“ den sich wandelnden Machtverhältnissen von Medien, Politik und Bevölkerung. Autor ist der Psychologe und Politikwissenschaftler Hans Mathias Kepplinger. Das Thema Laienjournalismus und Selbstdarsteller in den sozialen Medien, die kleine Vorfälle zu riesigen Skandalen aufbauschen versus sich anbiedernde Massenmedien bietet wenig Neues. Auch die Fallbeispiele zur Macht der Medien, namentlich Wulff und zu Guttenberg, bringen keine zusätzlichen Erkenntnisse hervor. Im Schlussteil präsentiert Kepplinger zwei Wege, die Journalisten künftig einschlagen könnten.

Schlüsselsätze: „Angesichts der Macht, die die Medien bei Kampagnen besitzen, erscheint die expansive Strategie, d.h. die Entwicklung der Journalisten von Merkern zu Machern naheliegend und verlockend. (…) Die zweite Alternative zur Bewältigung der Krise kann man als Konzentration auf Kernbereiche bezeichnen. (… ), die sachliche Analyse und Einordnung des aktuellen Geschehens.“

Abschluss und Fazit

Schließlich liefert in besagtem Kurzbeitrag Roland Tichy sieben knapp skizzierte, polemische Thesen zur aktuellen Lage des Journalismus. Er kritisiert beispielsweise den Beifall heischenden „Like-Journalismus“ der Generation Facebook, einen moralisierenden „Belehrungsjournalismus“ und unterstellt, die komplexe Wirklichkeit verführe Journalisten zum „Rudeljournalismus“, der eine „freiwillige Gleichschaltung“ beinhalte.

Schlüsselsatz: „Der Beruf (des Journalisten, Anm. d. Red.) muss neu gedacht und anders gelehrt und ausgeübt werden.“

Der recht zusammengewürfelt erscheinende Band, der auf ein interdisziplinäres Colloquium des Kölner Lindenthal-Instituts zurückgeht, enthält vereinzelt griffige Wendungen und interessante Gedanken. Der Großteil der Inhalte ist jedoch wenig neu, ebensowenig sind es einige der von den Autoren zitierten Studien.

Wer an der Lektüre interessiert sein sollte, der sei, einer weiteren Überraschung vorbeugend, vorbereitet: Das schmale Heft, erschienen im Lit Verlag, kostet stolze 29,90 Euro.