Die Schaltzentrale von Jeremias Kettner sieht noch dürftig aus: Knapp 20 Quadratmeter Büroraum mit Teppichboden plus den Schreibtisch, hinter dem der Junglobbyist sitzt.
Sein Auftrageber: „Peace Direct“, eine Nichtregierungsorganisation (NGO). Deren Konzept ist es, Konflikte in Krisenregionen vor Ort mit lokalen Helfern anzugehen. Für den deutschen Ableger der NGO treibt Kettner Spenden ein, bislang als Einzelkämpfer. Der 27-Jährige trägtJeans zu offenem Hemd und Sakko, dazu ein smartes Lächeln im Gesicht. „Mit der Bezeichnung Lobbyist habe ich kein Problem, finde aber sozialer Unternehmer besser“, sagt Kettner. Er gehört nicht zu den Menschen, die an einem Mangel an Selbstbewusstsein leiden. In seinem Lebenslauf steht „Führungsqualitäten“ in der Rubrik „Persönliche Fähigkeiten“. Dass in dem studierten Politologen Talente für den Lobbyistenjob schlummern, zeigt allein, dass es ihm gelungen ist, ein Büro in der Berliner Top-Lage Friedrichstraße zu finden. Als Kettner im Juni 2011 bei Peace Direct anfing, gewann er zwei Unternehmer, für die er als Student gearbeitet hatte, der NGO dort einen Büroraum zu überlassen. Das Interieur ist zwar noch eher pfui als hui, doch die Basis für seine Arbeit ist gelegt. Von hier aus will er „Peace Direct auf den Radar des politischen Berlins schießen“, sagt er.
In die Hauptstadt kam Kettner zum Studieren. Seine Kinderstube war das schwäbische Bügertum. Er wurde in Schwäbisch Hall geboren und wuchs in Stuttgart auf. Der Vater ist Bibliothekar, die Mutter Erzieherin. Als er 16 war, stellte er mit Freunden ein Hip-Hop-Konzert auf die Beine. „Seitdem zieht sich die Lust am Organisieren wie ein roter Faden durch mein Leben“, meint er. Peace Direct wurde 2003 von der Entwicklungshilfe-Vordenkerin Scilla Elworthy gegründet. Elworthy ist unter anderem Mitglied des illustren „Elders“-Zirkels, einer Art Ältestenrat der Weltverbesserer, dem auch Nelson Mandela und Kofi Annan angehören. Von Elworthys „Inner-Peace“-Konzept, das den Seelenfrieden des Menschen als Ausgang gesellschaftlichen Ausgleichs sieht, hält Kettner nicht so viel, er ist ein Tatmensch. Was ihn überzeugte, bei Peace Direct anzuheuern, ist der Pragmatismus dieser NGO, der ihm erlaubt, seiner Lust am Organisieren nachzugehen. Bis dato ist Kettner jedoch Teilzeitlobbyist auf 20-Stunden-Basis. „Ich muss meine Doktorarbeit über den Golf-Kooperationsrat schreiben. Nur über die Wochenenden würde das nicht funktionieren“, meint er. De facto frisst die Arbeit für die NGO jedoch mehr Zeit als geplant. Diese versucht, ohne überbordende Bürokratie Entwicklungshilfe zu betreiben. Das Vorgehen: Peace-Direct-Korrespondenten suchen Helfer vor Ort, die zeigen müssen, dass sie Konfliktparteien zusammenbringen können. Diese Helfer erhalten dann Geld, das sie nach eigenem Ermessen einsetzen. Im Idealfall erweist sich das Helfernetzwerk als Grundstein einer dauerhaften Konfliktlösung. Zurzeit versucht die NGO ein solches Netz im fragilen jüngsten Staat der Erde, dem Süd-Sudan, aufzubauen. „Unsere Arbeit basiert auf Vertrauen“ sagt Kettner. Internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen findet er langweilig: „Zu viel Bürokratie. Mein Hauptinteresse ist es, etwas Neues aufzubauen“, sagt er. Die bisherigen Trophäen: Eine 70.000-Euro-Spende des Instituts für Auslandsbeziehungen und eine Kooperation mit der Humboldt-Viadrina-School-of-Governance.
Nach Meinung Kettners läuft die Lobbyarbeit jedoch noch mit angezogener Handbremse wegen Ressourcenmangels. Demnächst will er Praktikanten einstellen, die helfen sollen, die Liste potenzieller Spender abzuarbeiten, die er erstellt hat. Er will „alle Kanäle bedienen“, um Geld einzusammeln. Um Spenden aufzutreiben, sammelt er auch mal auf der eigenen Geburtstagsfeier. Für die erste Abendveranstaltung von Peace Direct an der Viadrina spannte er Mutter Renate als Helferin ein.
Peace Direct hat seinen Vertrag vor kurzem um ein halbes Jahr verlängert. Ob er dauerhaft bei der NGO bleiben wird, hält er sich offen. Auf jeden Fall will er sich weiterbilden, mehr über die Strategien des Campaigning erfahren. Vor kurzem hat er sich online als Unterstützer Barack Obamas registriert. „Dadurch bekomme ich täglich Infos aus Obamas Wahlkampfzentrale, was sicher nicht schaden kann.“
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Alles Fake – Wenn Bürgerdialog nur PR ist. Das Heft können Sie hier bestellen.