Verbrauchte Taktik

´In der deutschen Wehrindustrie pflegt man ein schnoddriges Selbstbewusstsein. „Ob es um Waffen oder Kekse geht, ist im Endeffekt nicht entscheidend. Wenn Nachfrage besteht, wäre es einfach dumm für Unternehmer, die nicht zu bedienen“, so ein Rüstungslobbyist. Doch das Problem der Branche ist gerade die Nachfrage. Die ändert sich seit Jahren rasant. Dabei sind zwei Herausforderungen wesentlich: Die Bundeswehr bestellt weniger und der Export von Sicherheit made in Germany ist problematisch. Viele Zukunftsmärkte bereiten der deutschen Gesellschaft Gewissensbisse und die Konkurrenz wächst.
 „Unsere Firmen sind seit der Wende durch ein Stahlbad gegangen“ sagt Georg Wilhelm Adamowitsch, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, kurz BDSV. Der Ex-Staatssekretär mit dem Charme eines preußischen Feldwebels übertreibt nicht ganz. Zu Beginn der 1990er Jahre arbeiteten rund 400.000 Menschen in Deutschlands Rüstungsindustrie, jetzt sind es 80.000 bis 100.000 Beschäftigte. Allein der VW-Konzern hat fünfmal mehr Mitarbeiter. Nur 1,5 Prozent trägt die Rüstungsindustrie direkt zum Bruttoinlandsprodukt bei.
Die Ursache der Schrumpfkur: Die Republik gibt immer weniger für das Militär aus. Mit dem Ende des Kalten Krieges fehlte das große Bedrohungsszenario und der Wehretat sank beständig. Die Folge waren Fusionen und eine zunehmende Diversifizierung der Produktpalette. Nur wenige deutsche Firmen wie der Panzerbauer Krauss-Maffei Wegemann sind noch reine Waffenschmieden. Die Diehl-Gruppe stellt neben Spezialmunition auch Steuerelemente für Photovoltaikanlagen her. Bei Rheinmetall, einer der größten deutschen Wehrfirmen, rettete die Sparte Autoteile die letzte Jahresbilanz, der Rüstungsbereich schwächelte. Zudem hat der „Referenzkunde“ Bundeswehr heute andere Wünsche. „Breite vor Tiefe“ nennt Stéphane Beemelmans, Staatssekretär im Verteidigungsministerium, die neue Denke. Die Militärs brauchen keine Waffen mehr für die Panzerschlacht in der norddeutschen Tiefebene. Sie wollen jetzt Drohnen, Mittel für den Cyberwar oder Hightechwaffen für Spezialkräfte. Große Stückzahlen sind hier aber nicht drin. Die asymmetrischen Konflikte um Rohstoffsicherung oder zur Stabilisierung labiler Staaten sind in ihrer Bedrohung zu diffus. Große Rüstungsetats lassen sich mit ihnen bei der Bevölkerung nicht rechtfertigen.
Die sogenannten Hauptkampfmittel wie Panzer bilden zwar weiterhin die Basis der Streitkräfte, aber auch nicht mehr. 1999 hatte das Heer noch 2500 Leopard-Panzer, jetzt sind es 350. Das Verteidigungsministerium plant schon mit 225 Stück vom wohl bekanntesten Waffensystem aus deutschen Landen.

Einzelkämpfertum

Die mickrigen Zahlen fechten BDSV-Geschäftsführer Adamowitsch nicht an. Mit Blick auf die Bundeswehr sieht er den Dienstleistungssektor als ein Wachstumsfeld für die Branche. Erste Ansätze gibt es schon. So wartet die Rüstungsfirma Rheinmetall Drohnen der Bundeswehr in Afghanistan. Hauptargument der Rüstungslobby ist ihre vermeintliche Rolle als „Innovationsmotor“ für die deutsche Wirtschaft. Es gäbe beispielsweise bei der Entwicklung neuer Werkstoffe eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen ziviler Wirtschaft und der Wehrindustrie. Konkrete Zahlen und Beispiele kann der BDSV allerdings nicht bieten. Der Verband ist auch ein Neuling. Der erst 2009 gegründete Bundesverband soll der für ihr Einzelkämpfertum berüchtigten Wehrbranche eine Stimme geben.
Da das Gewaltmopol zum Charakterkern eines Staates gehört, fiel es der Branche über Jahrzehnte leicht, ihre Interessen durchzusetzen, auch ohne Großverband. „Der kleinste Gemeinsame Nenner der Bundesregierung in Sachen Rüstung ist: Wir brauchen hier eine eigene Industrie, um in Sicherheitsfragen nicht abhängig zu sein“, meint Christian Mölling, Rüstungsexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. „Von den großen Rüstungsfirmen hat jede einen direkten Zugang ins Kanzleramt“, so Mölling. Laut seinem Kollegen Jan Grebe, der die Fachgruppe Rüstungsexporte bei der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung  leitet, fördert zudem die Kompaktheit der Branche einen Kaminfeuer-und-Zigarre-Lobbyismus. „Die personelle Fluktuation ist hier selbst über Jahre hinweg überschaubar. Eine Interessenvertretung über persönliche Kontakte ist somit stark ausgeprägt und effizient“, so Grebe. Orientiert an den Teilstreitkräften Heer, Marine und Luftwaffe, entstanden spezialisierte Rüstungsfirmen. Die Auftrags-margen bei Fregatten oder Panzern waren groß, so das meistens für alle etwas abfiel. Auch Adamowitsch gibt zu: „Früher wurde über Rüstungsaufträge verteidigungspolitisch entschieden, heute stehen neben der Ausrüstung auch der Betrieb und der Nutzen im Vordergrund“. Auf den  Konsolidierungsdruck reagierten die Firmen zunächst mit Branchenverbänden. Lange Zeit gab es nur die honorige Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik. 1957 gegründet, dient sie als Plattform für den Austausch zwischen Militärs, Ministerialbürokratie und der Wehrwirtschaft. Inzwischen gibt es zahlreiche Organisationen. Beispiele: Der Förderkreis Deutsches Herr kümmert sich seit 1995 um Belange der Landstreitkräfte. Mit seinem Arbeitskreis Young Leaders unterhält er einen Zirkel, um Nachwuchskräfte aus Politik, Wirtschaft und Militär zusammenzubringen. In Schleswig-Holstein entstand ein Arbeitskreis Wehrtechnik, der Volontariate für Führungskräfte der Rüstungsbranche in Landesbehörden organisiert. Allen gemeinsam ist, dass die Interessenvertretung noch als bipolares Verhältnis zum Staat aufgefasst wird. Moderne Public Affairs, mit Kampagnenstrategien, die auf die gesamte Gesellschaft zielen, spielen keine Rolle. Es dominiert eine Interessenvertretung von Fachleuten für Fachleute. „Wir zielen auf die Abteilungsleiterebene im Verteidiungsministerium. Besoldungsstufe B3 bis B6“, erläutert ein Branchenlobyyist. Der Großverband BDSV soll das Kleinklein bündeln und dem gewachsenen Gewicht der Mittelständler eine Stimme geben. „An den meisten Rüstungsprojekten hängen bis zu 100 mittelständische Unternehmen“, so Adamowitsch. Bei den heutigen High-Tech-Waffen ist die Produktion aus einer Hand wirtschaftlich nicht mehr lösbar. Kleinstfirmen wie Boger Electronics aus Aulendorf im Schwäbischen, die Systeme für Funkaufklärung herstellen, sind das Rückgrat der Branche. Für sie gibt es beim BDSV nun einen „Ausschuss Mittelstandsaspekte“. Vor der Gründung des BDSV diente der Ausschuss Verteidigungswirtschaft des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) dazu, Grundsatzpolitik zu betreiben. Das Problem: Im BDI können nur Verbände Mitglied sein. Die Anliegen kleiner Firmen der Sicherheitsbranche gingen unter. Zudem geben beim BDI andere Spieler wie die mächtige Automobilindustrie den Ton an. Für die speziellen Interessen der Rüstungsindustrie nicht mehr das Richtige. Ihr Schlagwort heißt momentan „Rüstungsexport“.

Die neuen El Dorados

In den letzten Jahren haben die deutschen Firmen ihre Überkapazitäten in den aufstrebenden Schwellenländer abgebaut. Die Deutschen halten Platz drei im weltweiten Rüstungsexport. „70 Prozent der Einnahmen kommen heute aus dem Auslandsgeschäft“, so Christian Mölling. Die El Dorados der Branche sind vor allem zwei Regionen: Südost­asien und die MENA-Region (Mittlere Osten plus Nordafrika). In Asien lässt der Aufstieg Chinas die Anrainerstaaten ihre Flotten hochrüsten. Allein 44 Prozent des deutschen Wehrexport entfallen auf den Bereich Marine. In der MENA-Region heißt das Bedrohungsdreieck: Iran, Islamismus und Arabischer Frühling. Beispiel Saudi-Arabien: Das Land hat das aggressive iranische Regime vor der Haustür. Im Hinterhof macht der zerfallende Jemen Angst, ein Hauptaktionsfeld von Al-Qaida. Und der „Arabische Frühling“ stellt die Legitimität der Monarchie in Frage. Kein Wunder, das die Herrscherfamilie der Sauds im Bereich Sicherheit investiert, was das Zeug hält. Das Land mit keinen 30 Millionen Einwohnern, gibt mehr für Rüstung aus als Deutschland. Unter anderem sollen auch deutsche Leopard-Panzer gekauft werden.

 

Gefahr an der Heimatfront

Leider gilt für die neuen Märkte: reich aber hässlich. Die inzwischen latente Diskussion um den Panzerdeal mit den Saudis zeigt, die Rüstungsbranche muss sich darauf einstellen, dass immer mehr Geschäfte vor den öffentlichen Kadi gezerrt werden. Und die Kampagnenstrategien der Gegner werden immer perfider. So beispielsweise die Agitation gegen die Anteilseigner des Panzerbauers Krauss-Maffei Wegemann durch das „Zentrum für politische Schönheit“. Dieses lobte ein Kopfgeld von 25.000 Euro für Informationen aus, die ein juristisches Vorgehen gegen die Eigentümer ermöglichen. Die  „Aktion Aufschrei“ wiederum hat Margot Käßmann als Schirmherrin gewonnen.
Außerdem gibt es in der Politik diametral entgegengesetzte Ansichten zu Rüstungsexporten. „Auch aus strategischen Gründen müssen wir in der Lage sein, deutsche Waffen in befreundete Länder oder in Regionen zu liefern, an deren Stabilität wir ein ureigenes politisches Interesse haben“, so Elke Hoff. Die FDP-Bundestagsabgeordnete gilt als eine der profiliertesten Sicherheitsexperten des Parlaments. Ganz wie Verteidigungsminister de Maizière sieht sie das Interesse eines Staates als komplexe Variable, bei der Menschenrechte und nationale Sicherheitsinteressen Entscheidungsfaktoren darstellen. In dieser Denke können eigene Waffenlieferungen auch ein Mittel sein, das sicherheitspolitische Kalkül des Beziehers zu beeinflussen. Völlig konträr dazu steht der Rüstungsexperte der Linken, Jan van Aken, mit seinem Plan, die deutsche Wehrindustrie langsam aber sicher dichtzumachen. Sein erster Schritt: Den Export von Kleinwaffen aus Deutschland ganz zu verbieten. Sein Kollege Omid Nouripour von den Grünen will für die Bundeswehr „weder Steinschleudern noch fragwürdiges High-Tech-Spielzeug, sondern eine adäquate Ausrüstung“, aber keine Exporte von Waffen in instabile Gebiete, wie die MENA-Region. „Wir brauchen dort keine fehlgeleitete Abschreckungspolitik durch Aufrüstung sondern Hilfe zur besseren Regierungsführung“, so Nouripour. Beide Abgeordnete bestätigten, das Thema Rüstungsexporte zum Wahlkampfschlager machen zu wollen.
Lagerübergreifend gibt es bei den  MdBs die Tendenz, die Berichtszeiten für die Rüstungsexportberichte zu verkürzen, zurzeit de facto zwei Jahre. Häufig genannt wird das „Britische Modell“ mit Quartalsberichten.

Neue Herausforderungen

Das aufkommende Druckgefüge ist für die Wehrindustrie noch kein Thema. Das wären „Strohfeuereffekte“ heißt es dort. Die Ängste gelten ganz der Konkurrenz im Ausland. Hierzulande ist die Branche privatwirtschaftlich organisiert. Der Deutsche Staat hält nur am Rüstungsriesen EADS eine Beteiligung, und dies auch nur indirekt über den  Automobilkonzern Daimler-Chrysler. In Frankreich sind die Rüstungsschmieden wie Thales de facto Staatsbetriebe. Paris nutzt seine Wehrindustrie ganz selbstverständlich als Mittel der Außenpolitik, Gewinn- und Verlustrechnung sind hier relativ. Der US-Markt ist abgeschottet und wird von Konzernen wie Boeing beherrscht. Zudem haben auch die USA begonnen ihren Verteidigungsetat abzuschmelzen. Das heißt, die mächtigen US-Rüstungsschmieden werden noch stärker die Exportmärkte beackern.
Deswegen ist ein Hauptziel der  Lobbytätigkeit des BDSV: Exporterleichterungen. Beispielsweise die Beibehaltung von Hermesbürgschaften für Rüstungsexporte. Eigentlich ein Mittel der Entwicklungshilfe, dienen diese dazu, Aktivitäten deutscher Unternehmen im Ausland mit Steuergeldern abzusichern. Des Weiteren gibt es die Idee, mit der Bundesregierung ein „Standardvertragswerk für Regierungsabkommen“ zu entwickeln; praktisch ein Standardvertrag für Rüstungsverkäufe an Drittstaaten. Beides findet sich in einem Strategiepapier des Verbands. Dessen Lektüre macht auch deutlich, dass die Sicherheitsindustrie unter Politik eigentlich nur die Bundesregierung versteht. Ob dieses eindimensionale Politikverständnis für eine effektive Lobbytätigkeit noch ausreicht, darf angezweifelt werden.
Jüngst versuchte die Bundesregierung, den Kreis der „Nato-gleichgestellten Länder“ für Rüstungsexporte um die Golfstaaten zu erweitern und scheiterte damit bei den Allianzpartnern. „Ein etwas unglücklicher Versuch“, meint Christian Mölling. „Warum sollten Franzosen oder US-Amerikaner mit einem solchen Beschluss der deutschen

Konkurrenz Exporthilfe gewähren?“

Konzepte, um über mehr Transparenz gegenüber der Gesellschaft an strategischer Tiefe zu gewinnen, hat die Branche nicht. Aussagekräftige Zahlen und Fakten über die Wehrindustrie als Innovationsmotor hat sie nicht zu bieten. Auch das Thema Arbeitsplätze spielt keine Rolle. Nicht die Industrie sondern die IG Metall führt zurzeit eine Erhebung durch, um genauer zu erfassen, wieviel Bürger im Wehrbereich arbeiten. Dabei gewinnen in Zeiten wirtschaftlicher Anspannung, wie Europa sie über die Eurokrise erlebt, solche Argumente an Gewicht. Auch beim Zukunftsthema europäischer Markt scheint die Wehrindustrie keine offensive Strategie zu besitzen. Seit kurzem gilt beispielsweise eine europäische Beschaffungsrichtlinie. Rüstungsaufträge über fünf Millionen Euro müssen nun europaweit ausgeschrieben werden. „Wir beobachten erstmal, wie sich deren Handhabung entwickelt“, so BDSV-Boss Adamowitsch.
Das Mantra des Verbands lautet: Wir sind nur Unternehmer, die Politik muss entscheiden. Da die Branche immer mehr in den Brennpunkt gesellschaftlicher Debatten rückt, wird diese Denke bald nicht mehr reichen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wir wollen rein – Bundestag 2013. Das Heft können Sie hier bestellen.