"Mein Hund wird die Fragestunde nicht vermissen und ich auch nicht"

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Weshalb haben Sie sich gerade jetzt dazu entschlossen, nicht wieder für das Unterhaus zu kandidieren?

David Blunkett: Ich werde dieses Jahr 68 Jahre alt und bin jetzt seit 45 Jahren so etwas wie eine Mischung aus einem Politiker und einem Sozialarbeiter. Das ist eine ganz schön lange Zeit und das war ein ganz schön heftiges Arbeitspensum, das ich zunächst als Ratsmitglied und anschließend als Unterhausabgeordneter absolviert habe.

Sie machen aber noch einen fitten Eindruck.

Wir haben jetzt feste Legislaturperioden von fünf Jahren und da habe ich mich gefragt, ob ich den Job in den nächsten Jahren noch genauso gut ausführen könnte wie heute. Ich kam zu dem Entschluss, dass dem wahrscheinlich so nicht wäre. Daher habe ich mich dazu entschlossen, jetzt aufzuhören, wo mich meine Partei und die Mehrheit der Wähler meines Wahlkreises noch wollen. Das ist doch besser so, als dass mir in zwei, drei Jahren die Puste ausgeht und ich aus dem Amt gedrängt werde. Es gibt einen zweiten Grund: Ich kann ja nichts sehen, aber ich hatte ein erstklassiges Unterstützernetzwerk. Wenn ich jetzt wie jeder andere die in Anführungszeichen “alltäglichen Dinge” selber machen muss, dann fange ich doch lieber damit an, solange ich bei bester Gesundheit bin und die Kraft hierzu habe.

Mit Ihnen verlässt der letzte große Vertreter von New Labour das Parlament. Trauern Sie der Ära manchmal nach?

Nein, wer erfolgreich sein will, darf nicht in einer Zeitschleife gefangen sein. Man muss immer nach vorne schauen und zu neuen Ufern aufbrechen.

Was ist heute von New Labour übrig geblieben?

Es gibt viele Nachwuchspolitiker, die durch Tony Blair in der Ära von New Labour zur Politik gefunden haben. Ihnen fehlt noch die Hausmacht und sie stehen noch nicht im Rampenlicht des öffentlichen Interesses. Aber sie haben nicht vergessen, dass Tony die Partei damals erst erneuert hat und sie anschließend zu drei Wahlerfolgen in Serie geführt hat.

Worauf kommt es heute in der Politik an?

Als ich in die Politik ging, gab es natürliche Bündnispartner und Stammwähler. Die gibt es heute so nicht mehr. Keine Partei kann sich automatisch der Unterstützung einzelner Bevölkerungsgruppen sicher sein, es muss um jede einzelne Stimme gekämpft werden. Dabei müssen die sozio-geografischen Nuancen einer facettenreichen Wählerschaft beachtet werden.

Welche Herausforderungen sehen Sie in der britischen Politik?

Die britische Politik ist so fragmentiert wie nie zuvor. Statt zwei großer und einer kleinen Partei haben wir nun eine ganze Reihe kleiner Parteien. Die zwei großen Parteien vereinen nur noch geringfügig mehr als 30 Prozent der Wähler hinter sich. Es reizt mich wirklich sehr, mich diesem Thema zu widmen: durch das Halten von Reden und Vorlesungen und Beratertätigkeit.

Was hat sich bei den Kommunikationsmitteln geändert?

Sicher gilt es heute, die neuen Medien und sozialen Netzwerke richtig einzusetzen. Wir dürfen aber auch die althergebrachten Kommunikationswege nicht abschreiben. Weder Fernsehen und Rundfunk noch Printjournalismus haben bisher den Sargnagel gesehen.

Viele Parteifreunde haben nicht verstanden, dass Sie für die Boulevardzeitung “Sun” geschrieben haben.

Ich habe dreieinhalb Jahre für die “Sun” geschrieben, zunächst wöchentlich, später monatlich. Hätte ich beispielsweise für die “Times” geschrieben, hätte doch keiner eine Augenbraue hochgezogen. Wenn man für eine Boulevardzeitung schreibt, kommt schnell Snobismus auf: “Ach du lieber Gott, was macht er denn da, warum beschmutzt er seine Hände?” Die “Sun” war die mit Abstand am meisten gelesene Tageszeitung in Großbritannien. Doch auch wenn sie während der Regierungszeit von Tony Blair nominell Labour unterstützte, hat sie im Grunde selten Standpunkte der Labour Party vertreten. Meine Kolumne war doch eine ideale Möglichkeit, die Politik der Labour Party zu verdeutlichen.

Sie hatten kein Problem damit, für eine Zeitung aus dem Verlag zu schreiben, dessen Journalisten eine Kampagne gegen Sie gefahren hatten und die Sie mit Wanzen abgehört hatten?

Das mit den Wanzen war mir bis zum Jahr 2011 nicht bewusst. Für mich war es zum einen die Möglichkeit, Werbung für unsere Politik zu machen. Zum anderen war es eine Art Kompensation dafür, was mir ein anderer Teil der News Corporation – genauer gesagt die mittlerweile vom Markt verschwundene “News of the World” – angetan hat.

Ihre Aussage hatte einen zentralen Stellenwert bei der Verurteilung des ehemaligen Chefredakteurs der “News of the World”, Andy Coulson.

Da ich alles ganz genau aufgeschrieben hatte, war meine Zeugenaussage absolut wegweisend in der Verurteilung. Ich bin aber nicht rachsüchtig und erfreue mich nicht an seiner Verurteilung.

Schreiben Sie immer noch für die “Sun”?

Nein, damit habe ich 2009 aufgehört, als sich die “Sun” wieder von der Labour Party abgewendet hat. Zwischenzeitlich hatte ich eine Zeitungskolumne, in der ich einen heiteren Blick auf die britische Politik geworfen habe – und zwar aus der Perspektive eines Hundes.

Aljoscha Kertesz, David Blunkett und dessen Blindenhund Cosby (v. r.), Foto: A. Kertesz.

Ihre Blindenhunde sind zu einer Institution in Westminster geworden.

Das stimmt. Ich glaube, dass man sie mehr vermissen wird als mich. Sie waren immer Eisbrecher: Die Menschen waren immer freundlich zu ihnen, auch wenn sie mich nicht mochten. Mein Hund wird im Parlament und in Westminster vermisst werden. Ich glaube allerdings nicht, dass der Hund das Parlament vermissen wird. Gerade während der traditionellen Fragestunde habe ich ihn oft vor dem Sitzungssaal warten lassen, da es drinnen einfach zu laut war. Er wird die Fragestunde nicht vermissen, und ich ehrlich gesagt auch nicht.

Ihre Blindenhunde waren immer mal wieder Anlass für Erheiterung. An welche Ereignisse erinnern Sie sich besonders gerne?

Ach, da gab es viele lustige Anekdoten, auch hier im Parlament. Während der Rede eines konservativen Abgeordneten im Rahmen der jährlichen Haushaltsdebatte hat sich mein Hund fürchterlich übergeben. Es war damals nicht klar, ob der Hund krank war, oder ob er starke Vorbehalte gegenüber einigen der angekündigten Kürzungen hatte.

Einer Ihrer Hunde hat sie auf politische Abwege geführt.

Das war 1994, kurz nach den Europawahlen. Wir waren damals in der Opposition und Tony war gerade dabei, Parteichef zu werden. Als ich das Parlament betrat, führte mich mein Hund zu den Regierungsbänken. Wie sich drei Jahre später herausstellen sollte, war das ein gutes Omen. 1997 haben wir dann mit Tony unseren Erdrutschsieg eingefahren.

Streben sie eigentlich einen Sitz im Oberhaus an?

Niemand sagt je im Vorhinein, dass er im Oberhaus sitzen möchte und wird dann einfach so ernannt. Warten wir es mal ab.

Aber sträuben würden Sie sich nicht, wenn es Ihnen angetragen würde?

Anders als viele Kollegen habe ich das nie ausgeschlossen. Damit stehe ich im Gegensatz zu vielen Kollegen, die es ursprünglich ausgeschlossen hatten und dann doch plötzlich einen Sitz im Oberhaus angenommen haben.

Wagen Sie bitte einen Ausblick auf den Ausgang der Parlamentswahl im Mai.

Der wahrscheinlichste Ausgang ist, dass wir wieder eine Koalitionsregierung bekommen werden.