Was zeigt die Ampel bei Künstlicher Intelligenz?

Künstliche Intelligenz

Die selbst ernannte “Zukunftskoalition” aus SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP hat sich zum Ziel gesetzt, Deutschland in den kommenden vier Jahren mutig zu modernisieren. Die aktive Gestaltung der digitalen Transformation in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft dürfte hierbei – neben Corona-Pandemie und Klimakrise – eine der zentralen Herausforderungen sein. Mit Blick auf den digitalen Aufbruch der im 177 Seiten dicken Koalitionsvertrag ganz zu Anfang behandelt wird, dürfte der Umgang der Regierung mit Technologien basierend auf der sogenannten Künstlichen Intelligenz eine wesentliche Rolle spielen, zumal KI-Anwendungen im derzeitigen öffentlichen Diskurs weithin als wichtige Schlüsseltechnologie der digitalen Transformation angesehen werden.

Die Ergebnisse in Kurzfassung:

  • Der Koalitionsvertrag stellt sehr deutlich einen Ausgleich zwischen den Positionen der Parteien in den Wahlprogrammen her.
  • Dabei ergänzen sich die Parteien bei ihren Positionen zum Thema KI: Keine Partei hat sich mit ihren Positionen in einem Themenfeld vollständig durchgesetzt; vielmehr zeigt sich die Anstrengung, Kompromisse zu schließen und keinen der Akteure zu übergehen.
  • Die Kompromisse werden aber dahingehend erkauft, dass der Koalitionsvertrag nur vage mit Blick auf mögliche Maßnahmen und Zielsetzungen bleibt.
  • Stark vertreten sind die Themen Mobilität, Außenpolitik & internationale Kooperation, Sicherheit & Datenschutz und Konsumentenschutz; unterrepräsentiert oder abwesend sind die Themen E-Government und Energie bzw. Gesundheit und Arbeit.
  • Es dominiert ein enges, technisches Verständnis von Künstlicher Intelligenz; die Idee von KI-Anwendungen als sozio-technologische Systeme, die in die Gesellschaft eingebettet sind, kommt nur sehr selten durch.

Wie Auswertungen der Wahlprogramme zur Bundestagswahl 2021 gezeigt haben, unterschieden sich die Profile der drei Koalitionsparteien unter anderem dahingehend, welche Chancen beziehungsweise Risiken KI-basierten Technologien zugerechnet wurden. So traten die Freien Demokraten und die Grünen in ihren Wahlprogrammen in erster Linie als “KI-Optimisten” auf. Während die FDP nahezu überschwänglich die Innovations- und Modernisierungskraft von Künstlicher Intelligenz betonten und sich als “KI-Ermöglicher” in Forschung, Staat und Wirtschaft positionierten, stellten die Grünen KI-basierte Technologien als Nachhaltigkeitsbooster für die Klima‑, Energie- und Mobilitätswende dar.

Wenn die Parteien Risiken sehen, dann höchstens in Bezug auf den militärischen Einsatz (Grüne) oder bei der Überwachung im Innern (FDP). Im Vergleich zu ihren Koalitionspartnern war die SPD hingegen deutlich skeptischer. So wiesen die Sozialdemokraten unter anderem auf die zahlreichen Gefahren von algorithmischen Entscheidungssystemen hin, die bereits heute große Teile des gesellschaftlichen Lebens beeinflussen.

Am Tag der Regierungsbildung versprach der FDP-Vorsitzende und neue Finanzminister Christian Lindner, dass die Ampel als Koalition antreten wolle, “in der sich die drei Partner nicht begrenzen durch das, was unvereinbar in den Programmen war”, sondern in der man sich gegenseitig erweitern möchte. Mit diesem Ansatz einer Erweiterungskoalition, die auf Konsensfindung zwischen den Koalitionspartnern in den unterschiedlichen Themenfeldern setzt, in der Hoffnung, dadurch Reformspielräume zu erweitern, hebt sich die Ampel insbesondere vom Konzept einer Komplementärkoalition ab, bei der jeder Koalitionspartner in seinen Kompetenz- und Themenbereichen freie Hand erhält, ohne dass jeweils Kompromisse mit den anderen Partnern geschlossen werden müssten.

Wie würde eine Erweiterungskoalition vor dem Hintergrund der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Koalitionspartnern im Themenfeld Künstliche Intelligenz aussehen? Wessen Handschrift trägt das Regierungsprogramm in den verschiedenen Themenfeldern und welche konkreten Maßnahmen werden genannt, um die Potenziale von KI-basierten Technologien zu heben und zugleich potenzielle Risiken einzudämmen? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir die Aussagen im Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung in Bezug auf KI-basierte Technologien systematisch ausgewertet.

Themenschwerpunkte, Framing und Maßnahmen

Die Kompromissfindung der Koalitionspartner zeigt sich bereits in der Tonalität der Aussagen über Künstliche Intelligenz. Wie die Auswertung zeigt, scheinen die Parteien im Koalitionsvertrag einen Ausgleich zwischen ihren Positionen in den Wahlprogrammen geschafft zu haben. So fällt auf, dass sich das Framing im Sinne von Chancen versus Risiken im Koalitionsvertrag nunmehr genau in der Mitte zwischen SPD auf der einen und Grünen beziehungsweise FDP auf der anderen Seite befindet. Die Koalitionspartner haben sich somit klar aufeinander zu bewegt, wobei die positive Lesart von KI-basierten Technologien überwiegt.

Das Thema Künstliche Intelligenz findet an verschiedenen Stellen Eingang in den Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP. Insgesamt konnten wir 25 Textstellen mit KI-Bezug identifizieren, was bedeutet, dass die Thematik gegenüber den Wahlprogrammen der drei Parteien – gemessen an der Zahl der Nennungen – an Bedeutung gewonnen. Dabei ist der Anstieg der Nennung in erster Linie der unterschiedlichen thematischen Schwerpunktsetzung der Parteien geschuldet, die sich nunmehr auch im Koalitionsvertrag wiederfinden.

Taucht man in die Inhalte der Textpassagen mit KI-Bezug ein, bestätigt der Koalitionsvertrag das Bild, das sich bereits in den Parteiprogrammen abgezeichnet hatte: So finden sich in mehr als einem Drittel der Aussagen (36 Prozent) überhaupt keine politischen Maßnahmen oder Handlungsstrategien, die einen Eindruck davon geben könnten, wie die neue Bundesregierung mit der Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz umgehen will. Im Vergleich zu den Wahlprogrammen ist die Ausgestaltung des Koalitionsvertrag nur unmerklich konkreter – hier lag der Anteil unkonkreter Aussagen über die drei Parteien hinweg bei 47 Prozent. Dies überrascht insofern, als dass in Koalitionsverträgen in der Regel mehr Detailtiefe und Regelungsdichte zu erwarten wäre, da hier ja die strategische Ausrichtung wie auch politischen Maßnahmen der Regierungsarbeit festgelegt werden sollen.

Abbildung 1: Ton der Äußerungen mit Bezug zu Künstlicher Intelligenz

Die Abbildung basiert auf der Auswertung, wie oft die Parteien eher die Potentiale oder Risiken von KI-basierten Technologien hervorheben bzw. einen neutralen Ton anschlagen. Die Verortung basiert auf der Differenz von positiven und negativen Aussagen normiert auf die Gesamtzahl der Aussagen. Der Index erlaubt es, die Parteien auf der Achse zwischen negativem Ton (-1) und positivem Ton (+1) zu verorten.

Wenn politische Maßnahmen genannt werden, dann wird in erster Linie auf staatliche Regulierungen durch den Gesetzgeber gesetzt und hier auffällig häufig auf die Notwendigkeit der Rechtsetzung auf europäischer Ebene verwiesen – beispielsweise, dass die Regierung EU-Vorhaben wie den Digital Service Act, AI Act oder EU Chips Act aktiv begleiten und unterstützen wird. Neben gesetzlichen Regelungen stechen keine anderen Politikinstrumente besonders heraus, wobei in der Zusammensetzung der Politikinstrumente wiederum der Ausgleich zwischen den Parteien deutlich wird: So finden sich marktbasierte Anreizsysteme und Warnungen vor Überregulierung ebenso im Koalitionsvertrag wieder wie staatliche Investitionsprogramme oder Verbote in besonders kritischen Bereichen wie der militärischen Nutzung von Künstlicher Intelligenz. Die Aussagen erinnern dabei allerdings häufig an ein Potpourri an Instrumenten, die lose aneinandergereiht wurden, ohne die offensichtlichen Konflikte zwischen den Maßnahmen aufzulösen. Zudem verbleibt alles wenig konkret: Zielvorgaben fehlen gänzlich und auch Akteure und Institutionen werden selten genannt, welche für die Umsetzung der Maßnahmen verantwortlich sein sollen.

Tabelle 1: Themenschwerpunkte Künstliche Intelligenz – Vergleich der Bundestagswahlprogramme 2021 und des Koalitionsvertrags von SPD, Bündnis 90 / Die Grünen und FDP

Was steckt in ausgewählten Themenfeldern und wessen Handschrift ist erkennbar?

Tabelle 1 gibt einen Überblick über die Themenfelder, die von den Parteien in den jeweiligen Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021 thematisiert wurden, sowie über die Bedeutung und inhaltliche Konkretheit der Aussagen in Bezug auf politische Maßnahmen, Forderungen und Zielsetzungen und stellt diese den Inhalten im Koalitionsvertrag gegenüber. Im Folgenden wollen wir zunächst die Felder Verkehr und Mobilität, Außenpolitik und internationale Kooperation, Bildung und Forschung, Cyber-Sicherheit, Privatsphäre und Datenschutz sowie Schutz und Rechte von Konsumenten, denen im Koalitionsvertrag große Aufmerksamkeit gewidmet wird, genauer beleuchten.

Verkehr und Mobilität: Die Verwendung KI-basierter Technologien im Themenfeld Verkehr und Mobilität wird im Koalitionsvertrag vergleichsweise umfangreich behandelt, insbesondere im Hinblick auf das Thema autonomes Fahren. Hiervon versprechen sich die Koalitionäre einerseits einen Beitrag zur verbesserten Verkehrssicherheit, was beispielsweise durch die Nachrüstung von Lkw-Abbiegeassistenzsystemen erreicht werden soll. Andererseits wird dem autonomen Fahren eine Unterstützungsrolle zur Erreichung der Klimaziele zugeschrieben, da die Technologie den Verkehrsfluss erleichtern soll und als energieeffizient gilt. Außerdem soll Deutschland als wichtiger Innovations- und Industriestandort für autonomes Fahren ausgebaut werden. Als Instrumente zur Förderung von autonomer, intelligenter Mobilität werden verschiedene Gesetze im Koalitionsvertrag genannt, die eine freie Verfügbarkeit von Verkehrsdaten und zugleich die Datensouveränität der Nutzer sowie den Rechtsrahmen bei Haftungsfragen gewährleisten sollen.

Es kommt nicht unerwartet, dass KI-Anwendungen im Themenschwerpunkt Verkehr und Mobilität eine zentrale Rolle spielen, denn bereits in den Wahlprogrammen der Grünen und der FDP kam diesen Themen eine herausgehobene Bedeutung zu. Auffällig war, dass im Bereich digitale beziehungsweise autonome Mobilität große Einigkeit herrschte. Beide Koalitionsparteien betonten die Chancen von Künstlicher Intelligenz und die damit einhergehenden Möglichkeiten für Verkehrssicherheit und Klimaschutz. Das ist besonders interessant, da sich die beiden Parteien generell in Hinblick auf Mobilitätsthemen in wichtigen Punkten stark voneinander unterscheiden, um nur das Tempolimit und den zukünftigen Einsatz von Verbrennungsmotoren zu nennen. Im Wahlprogramm der SPD ließen sich keine expliziten Passagen zu autonomer oder intelligenter Mobilität identifizieren, weswegen davon auszugehen ist, dass es bei diesem Thema wenig Konfliktpotenzial mit der SPD gab.

Außenpolitik und internationale Kooperation: Ein weiteres zentrales Themenfeld ist der Bereich der Außenpolitik und internationalen Kooperation. Hier wird Künstliche Intelligenz in zweierlei Hinsicht im Koalitionsvertrag behandelt. Zum einen liegt der Schwerpunkt auf der internationalen Kontrolle der militärischen Nutzung von KI-basierten Technologien sowie der Ächtung autonomer Waffensysteme. Hier finden sich die Positionen von SPD und Grünen aus den Wahlprogrammen nahezu eins zu eins auch im Koalitionsvertrag wieder, während sich die FDP in ihrem Wahlprogramm nicht zu den militärischen Gefahren von Künstlicher Intelligenz geäußert hatte. Zum anderen wird die Bedeutung der Kooperation auf europäischer Ebene immer wieder von den Koalitionären betont. Damit schlägt sich ein Trend im Koalitionsvertrag nieder, der ganz allgemein für die politische Debatte über die digitale Transformation zu beobachten ist: Dass bei zahlreichen Themen, etwa dem Vorantreiben und Begrenzen der Datenökonomie, über Datensouveränität, Forschungsförderung bis hin zu Rechtsrahmen für algorithmische Entscheidungssysteme, die Bedeutung europäischer Regelsetzung und Koordination zunimmt. Im Koalitionsvertrag herrscht somit weitgehende Einigkeit über Parteigrenzen hinweg, dass die Bundesregierung die digitale Transformation und mit ihr KI-basierte Technologien insbesondere auch auf europäischer Ebene vorantreiben möchte und etwa aktuelle Gesetzesvorhaben wie den AI Act oder den Digital Services Act aktiv unterstützt.

Bildung und Forschung: Insgesamt wird dem Themenfeld Bildung und Forschung in Bezug auf Künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle im Koalitionsvertrag eingeräumt. Mit Blick auf die Bundestagswahlprogramme der drei Koalitionäre ließ sich bereits vermuten, dass es hier wenig Konfliktpotenzial geben würde. So sind sich alle Parteien einig, dass es Forschungsförderung und Investitionen braucht, um Deutschland als Technologiestandort auszubauen. Dabei wird eine länderübergreifende, europäische Forschungszusammenarbeit angestrebt. Die Grünen haben dabei stets das Ziel der europäischen Souveränität im Bereich Künstliche Intelligenz betont. Es findet sich so im Koalitionsvertrag wieder. Bei SPD und FDP gab es bereits starke Überschneidungen in den Parteiprogrammen, wenn es um die Individualisierung des Lernens und die Förderung von Digitalkompetenzen von Schülern und Lehrern ging. Diese Forderungen fanden dann auch genauso Einzug in den Koalitionsvertrag. Bei der Integration von Künstlicher Intelligenz in Schulen soll dabei zudem auf Open Source und Datenschutz geachtet werden. Weitestgehend alle geforderten Punkte der einzelnen Parteien finden sich somit im Koalitionsvertrag wieder, wobei hier noch mal darauf aufmerksam gemacht werden muss, dass keine spezifischen Zielvorgaben oder Maßnahmen zur Zielerreichung genannt werden.

Cyber-Sicherheit, Privatsphäre und Datenschutz: Beim Thema Cyber-Sicherheit bekennt sich der Koalitionsvertrag zu einer kategorischen Ablehnung der automatisierten Gesichtserkennung im öffentlichen Raum. Dabei ist die Aussage gegenüber dem Wahlprogramm der FDP verschärft worden. Hier hatte man sich nämlich noch das Hintertürchen offengelassen – vielleicht mit Blick auf eine Koalition mit CDU und CSU –, wonach “intelligente Videoüberwachung an Kriminalitätsschwerpunkten […] eine sinnvolle Ergänzung zur Gefahrenabwehr und Strafverfolgung sein [kann], wenn sie verantwortungsvoll […] eingesetzt wird.” Das ist allerdings die einzige konkrete Maßnahme. Äußerst vage verbleibt der Koalitionsvertrag hingegen, wo er sich etwa für die friedliche Nutzung des Cyberraums und KI-basierter Technologien ausspricht oder die Weiterentwicklung der Cyberstrategie und die Sicherung der digitalen Souveränität auf europäischer Ebene betont.

Während das Thema Daten und Datenrecht in einem eigenen Unterkapitel behandelt wird, finden sich Aussagen zu Privatsphäre und Datenschutz in Bezug auf KI-basierte Technologien an verschiedenen Stellen im Koalitionsvertrag, wenn beispielsweise von intelligenten Stromnetzen, besagter biometrischer Überwachung im öffentlichen Raum oder intelligenten Lehr- und Lernsoftwares im Bildungsbereich die Rede ist. Entsprechende Textstellen tragen auf den ersten Blick die deutliche Handschrift der Freien Demokraten. Allerdings ist davon auszugehen, dass die Koalitionspartner die festgeschriebenen Regelungen mitgetragen haben dürften, auch wenn sich in den Wahlprogrammen von SPD und Grünen hierzu keine spezifischen Aussagen finden.

Schutz und Rechte von Konsumenten: Der Koalitionsvertrag bekennt sich an zahlreichen Stellen zu einem risikobasierten Ansatz zur Kontrolle und Regulierung von KI-basierten Technologien wie etwa algorithmischen Entscheidungs- und Assistenzsystemen. Vergleicht man die entsprechenden Textstellen, so findet man vor allem Positionen von SPD und Grünen wieder, in denen die Bedeutung von Transparenz und Überprüfbarkeit algorithmischer Entscheidungen betont wurde. Hier verspricht die Regierung, sich auf nationaler wie auch europäischer Ebene für klare Regelungen einzusetzen, welche die Diskriminierungsfreiheit gewährleisten, Nachvollziehbarkeit von algorithmischen Systemen verbessern und Verantwortlichkeiten herstellen sollen. Passagen, aus denen sich wiederum eine staatliche Aufsichtsbehörde oder eine Institution öffentlich-privater Ko-Regulierung ableiten ließe, fehlen. Im SPD-Wahlprogramm hieß es dagegen noch, es müsse eine “stringente Regulierung und Aufsicht” eingefordert werden. Dafür findet sich dort, wo vom mehrstufigen risikobasierten Ansatz gesprochen wird, die Einschränkung, dass “innovationshemmende Ex-Ante-Regulierungen” vermieden werden sollen – ein Einschub, welcher den Präferenzen der FDP entgegenkommt. Sie hatte zum Thema Konsumentenschutz bei KI-Anwendungen im Parteiprogramm völlig geschwiegen.

Welche Themen sind überraschend schwach ausgeprägt?

E-Government: Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Bereich E-Government findet sich an mehreren Stellen im Koalitionsvertrag, vor allem wenn es darum geht, eine agilere Verwaltung mit automatisierten Verfahren zu schaffen. Hier wird es dann auch sehr konkret, wenn es zum Beispiel um die automatisierte Auszahlung der Kindergrundsicherung geht. Zudem wird dem Einsatz von staatlichen Scoring-Systemen eine klare Absage erteilt. Jenseits dessen wird wenig von KI-Anwendungen in der Verwaltung gesprochen. Forderungen aus dem Wahlprogramm der FDP, wie beispielsweise der Einsatz von Virtual Reality in der Verwaltung oder der Definition von zehn KI-Anwendungsfelder pro Ministerium, tauchen im Koalitionsvertrag nicht mehr auf, was wohl auch darauf zurückzuführen ist, dass das Thema weder bei der SPD noch den Grünen eine große Rolle in den Wahlprogrammen gespielt hatte.

Energie und Umwelt: Wenig findet sich auch in Bezug auf die Chancen und Risiken von KI-Anwendungen im Bereich Energie und Umwelt. Waren Themen wie Energieeffizienz und intelligente Energienetze, nachhaltige Künstliche Intelligenz und ein Zukunftsfonds für Green Tech im Wahlprogramm der Grünen noch ein klarer Schwerpunkt, so finden sich im Koalitionsvertrag deutlich weniger Aussagen, als zu erwarten gewesen wäre. Allein die Einführung intelligenter Messsysteme und Smart Grids hat einen prominenten Platz erhalten. Zudem werden die Potenziale von KI-basierten Technologien in der Landwirtschaft bzw. beim autonomen Fahren als wichtige Innovationen zur Erreichung der Klimaziele dargestellt. Auffällig ist, dass diese Bereiche im Grunde die gemeinsame Schnittmenge der Grünen mit den Freien Demokraten bilden, weiterführende Maßnahmen sowie eine strategisch ausgerichtete Verknüpfung von Nachhaltigkeit und Künstlicher Intelligenz aber ausbleibt.

Welche Themen fehlen nahezu im Koalitionsvertrag?

In zahlreichen Themenfeldern spielen KI-basierte Technologien im Koalitionsvertrag fast keine Rolle. Überhaupt keine Erwähnung finden KI-Anwendungen etwa im Gesundheitswesen. Das überrascht insofern, als dass in ihren Wahlprogrammen sowohl die FDP als auch die Grünen noch die Potenziale von technischen Assistenzsystemen und Robotik in der Pflege betont hatten. Diese Konkretisierungen haben es aber nicht in den Koalitionsvertrag geschafft, wo stattdessen pauschal von einer Förderung der Digitalisierung des Gesundheitsbereichs gesprochen wird.

Und auch die Auswirkungen von Künstlicher Intelligenz auf die Arbeitswelt bilden eine offensichtliche Leerstelle. Hier spricht die Bundesregierung zwar davon, “auf einen menschenzentrierten Ansatz, soziale und wirtschaftliche Innovation ebenso wie Gemeinwohlorientierung” setzen zu wollen. Was das in der Praxis heißen soll, muss sich der Bürger allerdings selbst denken. Konkrete sozialdemokratische Forderungen nach “mehr echten Mitbestimmungsrechten […] beim Einsatz neuer Technologien und Arbeitsweisen wie die der Künstlichen Intelligenz” oder der regelmäßigen Überprüfung und Zertifizierung beim Einsatz von Algorithmen wie etwa bei der Personalrekrutierung sucht man vergeblich. Eine klare Leerstelle sind zudem die durch intelligente Systeme und den Einsatz von Robotern hervorgerufenen Veränderungsprozesse der Arbeitswelt sowie deren Folgen für die sozialen Sicherungssysteme, die an keiner Stelle im Koalitionsvertrag angesprochen werden. Insgesamt hat sich die SPD beim Thema Künstliche Intelligenz und Arbeitsverhältnisse nicht durchsetzen können, zumal schon im Wahlprogramm die Positionen eher dünn waren. Vielleicht denkt die neue Regierung aber auch, hier bei den Bürgern nicht punkten zu können oder will zumindest keine weiteren Ängste schüren.

Fazit: Vage Kompromisse und Dominanz eines technischen Verständnisses von Künstlicher Intelligenz

Welches Fazit lässt sich nun mit Blick auf das Themenfeld Künstliche Intelligenz im Koalitionsvertrag ziehen? Drei Punkte sind aus unserer Sicht besonders hervorzuheben:

Das von Christian Lindner eingangs zitierte Credo, dass sich die Ampel-Koalition erweitern und nicht begrenzen will, findet sich weitestgehend im Bereich Künstliche Intelligenz wieder. Keine Partei hat sich allein mit ihren Positionen in einem Themenfeld vollständig durchgesetzt, wie man es im Sinne einer Komplementärkoalition erwarten würde; vielmehr zeigt sich die Anstrengung der Parteien, möglichst viele Kompromisse zu schließen und keinen der Akteure zu übergehen. Exemplarisch hierfür steht im Koalitionsvertrag: “Wir wollen die 2020er-Jahre zu einem Aufbruch in der Mobilitätspolitik nutzen und eine nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität ermöglichen” – wobei angenommen werden kann, dass die Grünen den Schwerpunkt einer nachhaltigen, barrierefreien, die FDP einer intelligenten, innovativen und die SPD einer für alle bezahlbaren Mobilität gelegt haben.

Die Kehrseite dieser wechselseitigen Erweiterung ist, dass die Kompromissfähigkeit durch sehr vage Formulierungen, kaum politische Maßnahmen und wenige konkrete Ziele erkauft wurde. Wie schon in den Wahlprogrammen fehlen Instrumente, die für eine flexible und adaptive Steuerung der KI-basierten Technologien essenziell wären, wie zum Beispiel das systematische Monitoring von KI-Entwicklungen. Ebenso vergeblich sucht man im Koalitionsvertrag Maßnahmen, die darauf abzielen, den Umgang mit und das Bewusstsein für die Potenziale aber auch Risiken von Künstlicher Intelligenz in der breiten Bevölkerung zu schulen oder Akteure und Institutionen, welche die Umsetzung von Maßnahmen wie etwa der Implementierung eines risikobasierten Ansatzes durchführen sollen.

Überhaupt gewinnt man bei der Lektüre des Koalitionsvertrags den Eindruck eines engen Verständnisses von Künstlicher Intelligenz. So werden fast ausschließlich technische Aspekte behandelt. Ein breiteres Verständnis von Künstlicher Intelligenz als sozio-technologische Systeme, die in die Gesellschaft eingebettet sind und unser Leben und Handeln in Wirtschaft, Staat und Gesellschaft massiv beeinflussen, scheint hingegen selten durch. Und selbst wenn man die Perspektive weitet und allgemein nach sozio-politischen Herausforderungen der digitalen Transformation sucht, wird man nur bei sehr genauem Hinsehen fündig.

Alles in allem ist sich die Koalition aus SPD, Grünen und FDP einig, dass die Zukunft von Künstlicher Intelligenz aktiv gestaltet werden muss und hat hier zentrale Themenfelder identifiziert. Das eigentliche Konfliktpotenzial der Koalition liegt wohl aber im Konkreten, etwa wie das vermeintliche Spannungsfeld von Regulierung und Innovation aufgelöst werden soll oder welche Auswirkungen von KI-basierten Technologien auf das gesellschaftliche Zusammenleben wirklich wünschenswert sind. Daher bleibt es spannend, wie lange sich das Lindner’sche Credo‚ sich zu erweitern und nicht zu begrenzen‘ in der Tagespolitik wirklich halten wird.