Zwischen Sympathie- und Störfaktor

Ein Plakat im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf 2011 zeigt Olaf Scholz (SPD) ganz staatsmännisch. Dunkler Anzug, lilafarbene Krawatte, im Hintergrund gedeckte Farben. Neben Scholz steht nur ein Wort im dezenten Schriftzug: Klarheit. Welchen Beitrag leistet so ein Plakat im Wahlkampf? Um das herauszufinden, wäre nach der Wahl eine umfassende Evaluation der Wirkung der Wahlplakate nötig gewesen.
Doch solch eine Bewertung hat keine der Hamburger Parteien vorgenommen. Das geht aus einer Befragung der Parteien hervor, die im Rahmen einer Bachelorarbeit an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation durchgeführt wurde. Die Studie zeigt am Beispiel des Hamburger Bürgerschaftswahlkampfes den Stellenwert und die Wirkung von Wahlplakaten.

Parteien sind uneins

In Hamburg ließen sich die Parteien die Wahlwerbung einiges kosten. Prozentual machten die finanziellen Mittel dafür zwischen 18 und 43 Prozent des jeweiligen Wahlkampfbudgets aus. Mit 13.000 Euro am wenigsten gab die Piratenpartei aus. Mit 200.000 Euro das größte Budget hatte die CDU, wobei die SPD zu keiner Kostenangabe bereit war.
Im Vergleich zu anderen Wahlkampf-instrumenten wie Fernsehen, Online-Auftritten der Parteien und Wahlkampfveranstaltungen nimmt das Wahlplakat bei den befragten Kommunikationsexperten der Parteien den höchsten Stellenwert ein. Einzige Ausnahme sind die Linken, bei denen das Fernsehen an erster Stelle steht. Die Parteien und Kandidaten versprechen sich von ihm eine Steigerung der eigenen Bekanntheit und der Imageprägung. Im Rahmen der Studie wurden die Parteienvertreter gebeten, den Grad der Aufmerksamkeit einzuschätzen, die die Wähler ihrer Meinung nach einem Wahlplakat schenken. Die positivste Bewertung gaben die Liberalen ab. Die FDP ist der Meinung, dass die Wahlplakate von den Bürgern sehr gut wahrgenommen wurden. Die Linken sind in diesem Punkt um einiges pessimistischer.
Auch nach der Verständlichkeit von Wahlplakaten wurde gefragt. Die Bewertungen dazu gingen weit auseinander. Während die CDU die Verständlichkeit der Wahlkampfbotschaft mit „mangelhaft“ bewertete, empfanden die Grünen/GAL sie als „gut“.
Wohl auch deshalb sieht die Partei das Wahlplakat langfristig durch das Fernsehen und Internet verdrängt. Eine ähnliche Meinung vertreten  Christdemokraten und Piraten. Die anderen Parteien gehen hingegen von einer gleichbleibenden Bedeutung des Wahlplakats in der Zukunft aus. Auffällig ist, dass keine der befragten Parteien dem Internet als großen Konkurrenten des Printsektors eine tragende Rolle im Wahlkampf des Stadtstaates Hamburg zuspricht. Das Internet ist nach Aussage der Parteien eher für Flächenländer geeignet; in Hamburg hingegen erreiche man aufgrund der hohen Bevölkerungsdichte mit Wahlplakaten eine bessere Sichtbarkeit im Stadtbild.
Um herauszufinden, welche Bedeutung dem Wahlplakat von der Zielgruppe beigemessen wird, wurden in der Studie zugleich Bürger befragt. Als wichtigste Informationsquelle für eine bevorstehende Wahl wurde von den Befragten (68 Prozent) das Fernsehen genannt, gefolgt vom Wahlplakat. 78 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass Wahlplakate Aufmerksamkeit für den Wahlkampf erzeugen. Alle anderen angegebenen Funktionen stießen auf eher geringe Zustimmung. So bejahten 58 Prozent der Befragten die Aussage, dass Wahlplakate bestimmten Parteien zu Bekanntheit verhelfen. Die für Wahlkämpfe hoch relevante Frage, ob schon einmal einer der Befragten eine Partei aufgrund eines ihrer Wahlplakate gewählt hat, verneinten interessanterweise alle Befragten.
Und wie kamen die Wahlplakate der Hamburger Bürgerschaftswahl um die Gunst der Wähler ringenden Parteien bei den Befragten an? Die allgemeine Bewertung fällt eher schlecht aus. Sie liegt auf einer Skala von 1 bis 6 ausgedrückt zwischen 3,26 und 4,06. Die CDU schneidet dabei am besten ab, gefolgt von den Grünen/GAL und der SPD. Am schlechtesten bewertet werden die Plakate der Partei Die Linke. Zudem lässt sich feststellen, dass Plakate, auf denen keine Personen zu sehen waren, weniger Aufmerksamkeit bekamen. Personalisierung scheint bei den Wählern auf positive Resonanz zu stoßen.

Erstaunliche Gedächtnislücken

Im Rahmen der Interviews fand auch ein Wiedererkennungstest statt: Die Befragten wurden zu Beginn aufgefordert, ein bestimmtes Wahlplakat der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) zu betrachten. Am Ende der Befragung, die jeweils rund zehn Minuten dauerte, konnten 46 Prozent der Befragten das Wahlplakat der richtigen Partei zuordnen. 40 Prozent gaben an, als erstes das Plakat der SPD gesehen zu haben. Damit zeigt sich, dass ein Wahlplakat es schwer hat, kombinierte merkfähige Signale wie Absender, Kernbotschaften und Wahlaufruf zu senden.
Die Frage, ob die Wahlplakate Interesse wecken, mehr Informationen über eine Partei zu erhalten, wird von den Befragten eher verhalten beantwortet. Am besten schneiden die Plakate der CDU und die der Grünen/GAL mit 20 Prozent Zustimmung ab, die anderen Parteien liegen noch deutlich unter diesem Wert. Die abschließende Frage nach der Gesamtbewertung von Wahlplakaten stimmt nachdenklich. Immerhin 42 Prozent der Befragten empfinden sie als störend. Ist das Wahlplakat aus heutiger Sicht also eine Tradition und weniger ein effektives Instrument der politischen Kommunikation? In Zeiten knapper Kassen, von Internet, und Smartphones und kritischen Bürgern, scheint der Einsatz des politischen Plakats auf den Prüfstand zu gehören.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wann bringen Sie Angela Merkel das Twittern bei, Herr Altmaier? – Fragen an den Politiker des Jahres. Das Heft können Sie hier bestellen.