Fünf Frauen für den Bundestag

Bundestagswahl 2021

Wahrscheinlich haben Frauen- und Geschlechterfragen noch nie eine so große Rolle in einem Wahlkampf gespielt wie in diesem Superwahljahr, in dem die Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel endet. Nach den bald 16 Jahren ihrer Amtszeit sind die strukturellen gesellschaftlichen Ungleichheiten weiterhin hoch. Die Führungsebenen in Deutschland sind kaum weiblicher geworden. Mehrere Gerichte haben sich gerade mit der Frage der paritätischen Listenbesetzung beschäftigt, und gendergerechte Sprache ist spätestens seit der Anpassung von Berufsbezeichnungen im Duden kein Nischen- sondern ein Mainstreamthema.

Gleichzeitig sind insbesondere Frauen in der Politik Anfeindungen ausgesetzt. Eine Vielzahl der weiblichen Bundestagsabgeordneten erlebt vermehrt frauenfeindliche Übergriffe. Wie der “Spiegel” berichtet, finden die sogar innerhalb des Parlaments statt. Wie gehen Kandidatinnen mit diesen Problemen um? Welche Hürden mussten sie überwinden, um eine Kandidatur zu gewinnen – und welche Widerstände werden ihnen im Wahlkampf begegnen? Diese Fragen möchte die de‘ge‘pol W klären, indem sie fünf Erstkandidatinnen für den Bundestag begleitet und für p&k darüber berichtet.

Die fünf Gründerinnen des Netzwerks von Politikberaterinnen – Geraldine Schroeder, Inga Karten, Karoline Tippelt-Wohl, Maija Salvén Haas und Dr. Sabine Schmidt – wollen wissen, “welche Erfahrungen Frauen machen, die sich in der Politik engagieren und um ein Bundestagsmandat kämpfen. Unterscheiden sich diese von den Erfahrungen männlicher Bewerber?”. Sie wollen zeigen, dass Politikberatung wie Politik auch weiblich ist und dazu auch einen Blick auf das Umfeld und die Rahmenbedingungen für Frauen und ihre Sichtbarkeit in der Politik werfen. “In diesem Wahljahr legen wir dabei den Fokus auf den Bundestagswahlkampf.”

Wiebke Winter (CDU)

Beruf: Juristin
Wahlkreis: Bremen-Bremerhaven
Politische Schwerpunkte/Herzensthemen: Gesundheit, Klima, Gleichstellung und Digitalisierung

Foto: Gottfried Schwarz

Was war der Auslöser für dein politisches Interesse/Engagement?

Seit meinem 12. Lebensjahr habe ich mich für Politik interessiert: von Anfang an für Umwelt- und Bildungspolitik. Meine erste politische Handlung war die Teilnahme an einer Großdemonstration gegen Atomkraft, für die ich extra mit meinem Vater aus Bremen für einen Tag nach Berlin fuhr. Nachdem die Entscheidung fiel, in Deutschland aus dem Atomstrom auszusteigen, habe ich mich in Bremen bei der CDU für eine bessere Bildungspolitik engagiert. Dies kam vor allem dadurch, dass in Bremen die Gymnasien zugunsten von Oberschulen (Einheitsschulen) abgeschafft werden sollten.

Warum hast du dich konkret für eine Bundestagskandidatur entschieden?

Wir müssen heute Lösungen für die sich anbahnenden Krisen von morgen finden: die Klimakrise, die Schuldenkrise nach Corona, die langsam implodierenden Sozialsysteme, insbesondere das Rentensystem. Jahrelang habe ich versucht, hochrangige Politiker zum Handeln zu bewegen. Passiert ist aus meiner Sicht zu wenig. Daher möchte ich nun für den Deutschen Bundestag kandidieren. 

Hast du für diesen Entschluss Zustimmung oder Skepsis erfahren – oder wurdest gar angefeindet?

Die CDU Bremen und mein Umfeld haben meine Entscheidung vollumfänglich unterstützt. Einige haben mich gefragt, ob ich womöglich zu jung sei – darauf kann ich nur antworten: Die großen Fragen müssen heute entschieden werden. Worauf soll ich warten?

Was möchtest du als MdB in der nächsten Legislaturperiode erreichen?

Ich möchte an Gesetzen mitwirken, die uns in der Klimakrise auf einen ehrgeizigeren Kurs bringen und dabei eine Lösung finden, Ökonomie, Ökologie und Sozialverträglichkeit in einen Ausgleich zu bringen.

Isabel Cademartori (SPD)

Beruf: Wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin
Wahlkreis: Mannheim I
Politische Schwerpunkte/Herzensthemen: Stadtentwicklung und Mobilität-/ Verkehrspolitik, auch Sozialpolitik

Foto: privat

Was war der Auslöser für dein politisches Interesse/Engagement?

Ich komme aus einer politischen Familie – mein Großvater war Wirtschaftsminister unter Allende in Chile und musste vor dem faschistischen Militärputsch ins Exil fliehen. Meine Mutter und mein Vater haben sich in der DDR kennengelernt und sind wenige Monate vor dem Mauerfall ausgewandert. Politik hat unser Leben geprägt und beeinflusst – und für mich war deshalb immer klar, dass ich mich gegen Ungerechtigkeit für gleiche Chancen für alle engagieren möchte.

Warum hast du dich konkret für eine Bundestagskandidatur entschieden?

Nachdem der amtierende Abgeordnete nicht mehr wiedergewählt wurde, war klar, dass es zu einer Neubesetzung kommt. Ich bin kommunalpolitisch sehr engagiert, habe innerparteiliche Führungserfahrung gesammelt und habe mir die Aufgabe zugetraut. Deshalb habe ich beschlossen, nicht zu warten, ob ich gefragt werde, sondern aktiv die nächsten Schritte zu gehen. Ich habe meinen Hut für die Bundestagskandidatur in den Ring geworfen. Alle anderen Mandatsträger meiner Partei in meiner Stadt sind Männer, aber Gleichstellung kommt eben nicht von alleine.

Hast du für diesen Entschluss Zustimmung oder Skepsis erfahren – oder wurdest gar angefeindet?

Beides. Was mir bei den Skeptikern auffällt, ist, dass ich mit Vorwürfen konfrontiert wurde, die ich bei männlichen Bewerbern in meiner Stadt nicht gehört hatte, etwa den Vorwurf, ich habe auf die Bundestagskandidatur gezielt hingearbeitet – als ob die Männer, die Mandate bekleiden, zufällig reingestolpert wären. Oder den Vorwurf, ich sei zu akademisch – obwohl fast alle männlichen Mandatsträger in meiner Stadt einen Doktortitel führen. Dennoch: Die zustimmenden Stimmen waren deutlich in der Mehrheit – und das zählt.

Was möchtest du als MdB in der nächsten Legislaturperiode erreichen?

Wir müssen der Energiewende ernsthaften Schub verleihen – ohne wenn und aber. Dafür braucht es vor allem einen massiven Umbau unserer Infrastruktur. Wir müssen den Arbeitsmarkt wieder gerechter machen und die Sozialsysteme modernisieren – wer arbeitet, sollte nicht auf Sozialleistungen angewiesen sein, deshalb muss der Mindestlohn deutlich erhöht werden. Wer dennoch Unterstützung von der Gemeinschaft braucht, soll diese schnell, unbürokratisch und ohne hohe Hürden ­bekommen.

Caroline Krohn (Grüne)

Beruf: IT-Unternehmerin
Wahlkreis: Lahn-Dill-Kreis
Politische Schwerpunkte/Herzensthemen: Digitalisierung und Netzpolitik, Nachhaltige Wirtschaftspolitik sowie Demokratie und Menschenrechte

Foto: Martin Kreutter

Was war der Auslöser für dein politisches Interesse/Engagement?

Mit 17 wurde ich von meiner Schule als Delegierte zum Landesschülerparlament der Landesschülervertretung der Gymnasien und Gesamtschulen Schleswig-Holstein entsandt. Dies war ein Schlüsselerlebnis, denn hier traf ich auf lauter Jugendliche, die politisch interessiert und engagiert waren und mit denen ich mich unmittelbar identifizierte. Wenige Wochen später ließ ich mich in den Vorstand wählen – und hier begann mein Engagement und wurde sofort sehr intensiv. 

Warum hast du dich konkret für eine Bundestagskandidatur entschieden?

Das ist sehr persönlich: Das Corona-Jahr hat mich in unterschiedlicher Art sehr hart getroffen. Ich hätte mir bis vor wenigen Monaten nicht vorstellen können zu kandidieren. Ich wurde von unterschiedlicher Seite angesprochen. Im September war ich beruflich wie jedes Jahr auf einer Konferenz, nachdem ich seit Anfang des Jahres kaum unterwegs gewesen war. Auf dieser Konferenz merkte ich, dass man den meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmern das Jahr ansehen konnte; wenigen Menschen schien es wirklich gut zu gehen. Dort habe ich gemerkt, dass ich zu denen gehörte, die noch verhältnismäßig viel Kraft und Energie hatten. So wuchsen mein Verantwortungsgefühl und der Wunsch, an der Lösung der Krise aktiv zu partizipieren. Ich habe gemerkt, dass mein Platz in der Politik ist. So habe ich zu Entschlossenheit, Kraft und Ideen zurückgefunden. 

Hast du für diesen Entschluss Zustimmung oder Skepsis erfahren – oder wurdest gar angefeindet?

Mein Wahlkreis hat mich mit 100 Prozent Zustimmung gewählt. Ich habe aus dem Stand einen aussichtsreichen Listenplatz erzielt und wurde letzte Woche ebenfalls mit 100 Prozent Zustimmung Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft für Digitales und Medien und zur Delegierten zur Bundesarbeitsgemeinschaft gewählt. Alle Menschen, mit denen ich spreche, sind extrem unterstützend und ermutigend. 

Was möchtest du als MdB in der nächsten Legislaturperiode erreichen?

Als Teil der Grünen Fraktion müssen wir es definitiv schaffen, den Klimaschutz deutlich voranzutreiben. Es geht hier um das Überleben und um die Lebensgestaltungsfreiheit der Menschheit – und das ist eine kolossale Aufgabe. Dann müssen wir die Corona-Krise vor allem in drei Aspekten aufarbeiten: Die demokratischen Strukturen müssen verteidigt werden, der Wohlstand muss durch eine nunmehr konsequent nachhaltige Wirtschaft gewährleistet sein und individuelle Traumata müssen überwunden werden. Das alles gilt weltweit. Für mich ist zudem extrem wichtig, dass wir in all dem die Digitalisierung aktiv gestalten: Datenschutz und IT-Sicherheit müssen als Standard für jegliches wirtschaftliches, behördliches und organisationales Handeln durchgesetzt werden.

Anja Mayer (Linke)

Beruf: Arzthelferin
Wahlkreis: Prignitz, Ostprignitz-Ruppin, Havelland
Politische Schwerpunkte/Herzensthemen: Gesundheitspolitik, Katastrophenschutz, feministische Politik, ländliche Räume

Foto: Ben Gross

Was war der Auslöser für dein politisches Interesse/Engagement?

Ehrlich gesagt: Horst Köhler. Als es 2005 zur Vertrauensfrage durch Kanzler Schröder und in der Folge zu vorzeitigen Neuwahlen kam, hielt Bundespräsident Köhler vor Beginn der Tagesschau eine Rede. Darin sagte er, dass jetzt alle ihrer Bürgerpflicht nachkommen und zur Wahl gehen sollen. Ich war vorher noch nie wählen, fand aber, dass er Recht hat. Ich ließ die Tagesschau ausfallen, las stattdessen Parteiprogramme, überlegte noch ein bisschen und schickte schließlich meinen Mitgliedsantrag an die WASG (eine der beiden Vorläuferparteien der Linken) ab.

Warum hast du dich konkret für eine Bundestagskandidatur entschieden?

Ich möchte gerne zwei Themenfelder intensiv bearbeiten. Zum einen bewegt mich die Situation im Gesundheitswesen. Nicht erst die Krise macht deutlich, dass Profitlogik in der öffentlichen Daseinsvorsorge und speziell im Gesundheitsbereich nichts zu suchen hat. Das Fallpauschalensystem in den Krankenhäusern muss abgeschafft, die medizinische Versorgung in der Fläche sichergestellt und die Bezahlung der Beschäftigten in diesem Bereich deutlich verbessert werden.

Zum zweiten gilt es für gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Landesteilen – in den urbanen Zentren und im ländlichen Raum – zu sorgen. Das betrifft den öffentlichen Personennahverkehr genauso wie den Zugang zur digitalen Infrastruktur, zu Bildungsangeboten und zu medizinischen Leistungen. Deshalb kandidiere ich auch in einem Wahlkreis, der deutlich ländlich geprägt ist.

Hast du für diesen Entschluss Zustimmung oder Skepsis erfahren – oder wurdest gar angefeindet?

Familie, Freunde und die Partei haben mir mehrheitlich Zustimmung signalisiert. Anfeindungen aufgrund meiner Kandidatur habe ich nicht erlebt. Aber klar ist, dass das politische Klima seit einigen Jahren deutlich rauer geworden ist. Persönliche Anfeindungen, Beleidigungen und teilweise Bedrohungen erlebe ich immer wieder im politischen Alltag. Ich bin ja als Landesvorsitzende der brandenburgischen Linken durchaus auch medial präsent – leider führt das immer wieder zu Anfeindungen.

Was möchtest du als MdB in der nächsten Legislaturperiode erreichen?

Ich möchte, dass wir die richtigen Lehren aus der aktuellen Pandemie ziehen. Der Kosten- und Profitdruck im Gesundheitswesen muss beendet werden. Der Staat ist für die Daseinsvorsorge zuständig. Ich möchte auch, dass die sozialen Verwerfungen behoben werden und dass das Hartz-IV-System überwunden wird. Und eine letzte mir sehr wichtige Vision: Ich möchte durch gesetzliche Rahmenbedingungen dafür Sorge tragen, dass Frauen in der Politik gleichberechtigt mitwirken können und der (über-)nächste Bundestag paritätisch besetzt ist.

Ann Cathrin Riedel (FDP)

Beruf: Beraterin, Themenmanagerin, Referentin im Bereich Digitalisierung und Innovation
Wahlkreis: Berlin-Friedrichshain – Kreuzberg – Prenzlauer Berg Ost
Politische Schwerpunkte/Herzensthemen: Digitalisierung und Bürgerrechte

Foto: Paul Alexander Probst

Was war der Auslöser für dein politisches Interesse/Engagement?

Ich bin total unpolitisch aufgewachsen und habe mich auch nie sonderlich engagiert im Vereinswesen oder in der Uni. Dennoch war ich immer interessiert am aktuellen Zeitgeschehen, auch weltweit. Heute glaube ich, dass ich die Entwicklungen um “Zensursula” und die Enthüllungen von Edward Snowden noch stärker mitbekam, als ich dachte. Als 2015 die SPD-Basis darüber abstimmen sollte, ob die SPD in der damaligen GroKo die Vorratsdatenspeicherung mittragen sollte, war ich so sauer und wusste, dass ich nun was tun muss, um Bürgerrechte zu sichern. Ich verfolgte diese Diskussion deutlich intensiver und füllte dann ohne zu zögern den Mitgliedsantrag für die FDP aus. Seither bin ich mit ganzer Leidenschaft für das Thema Digitalisierung und Bürgerrechte dabei. 

Warum hast du dich konkret für eine Bundestagskandidatur entschieden?

Ich hatte eigentlich nicht geplant zu kandidieren, obgleich ich mehrfach mit dem Gedanken spielte und so viele Menschen mir seit Jahren sagten, ich solle kandidieren. Mein Bezirksverband Friedrichshain-Kreuzberg kam dann im Sommer auf mich zu und eröffnete mir, dass sie es ganz toll fänden, wenn ich kandidiere. Wir haben dann über unsere Erwartungen gesprochen, und schlussendlich habe ich mich dann dazu entschieden zu kandidieren. 

Hast du für diesen Entschluss Zustimmung oder Skepsis erfahren – oder wurdest gar angefeindet?

Normalerweise treffe ich die wirklich wichtigen Entscheidungen allein und sofort. Hier habe ich wirklich länger nachgedacht und viele Gespräche geführt. Sie waren durchweg positiv. Einige wunderten sich, dass ich sagte „Ich habe mich entschlossen zu kandidieren“, weil es für sie schon klar war, dass ich zur Bundestagswahl antreten werde. Nur meine Mutter war die Einzige, die skeptisch war. Anfeindungen habe ich keine erlebt. Ich fühle mich immer noch sehr geehrt und bin überaus berührt, dass Menschen von Linkspartei bis CSU meine Kandidatur mehr als begrüßen.

Was möchtest du als MdB in der nächsten Legislaturperiode erreichen?

Arbeitserleichterung für Karlsruhe! Ich will Gesetze machen, die nicht vorm Verfassungsgericht landen. Denn das ziemt sich zum einen nicht, zum anderen verzögert es nur meist überaus dringliche Vorhaben. Wir brauchen gute Gesetzgebung (nicht nur bei Digitalvorhaben), die Bürgerrechte schützt und achtet. Denn nur so können wir eine freiheitliche, liberale und digitalisierte Gesellschaft und Demokratie sichern.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 134 – Thema: Wahlkampffieber – Superwahljahr im Zeichen der Pandemie. Das Heft können Sie hier bestellen.