Die Kampagnenforschung ist mittlerweile ein sichtbares und sich stark entwickelndes Forschungsgebiet in den Sozialwissenschaften. Das hat damit zu tun, dass Kampagnen einen wesentlichen Unterschied machen können – „campaigns do matter!“ Aber: Sie machen vor allem dann diesen entscheidenden Unterschied, wenn sie richtig geführt werden.
Was macht eine gute Kampagne aus? Gibt es ein Erfolgsrezept? Fehlanzeige! Weder die empirische Sozialforschung noch die Praxis liefern eine Zauberformel. Allerdings lassen sich einige Grundregeln identifizieren: Ein früher Kampagnenstart ermöglicht es, Themen zu setzen, die über den gesamten Zeitraum aktuell bleiben. Geld hilft dabei, ist aber nicht alles. Eine Kampagne braucht insbesondere kreative Ideen und Formate, um zu wirken. Dafür wiederum ist eine klare Botschaft entscheidend – sie muss im Zentrum stehen und die Kampagne prägen, nicht umgekehrt.
In der Bundesrepublik stehen – trotz modernster Techniken und Technologien – nach wie vor Plakate im Zentrum. Man erinnert sich noch an die legendäre Kanzlerraute aus dem Jahr 2013! Allerdings werden Plakate mit anderen Werbemaßnahmen gepaart, die zum Großteil aus den USA stammen.
Überhaupt: Wahlkämpfe in den USA. Warum waren und sind sie so faszinierend? Zum einen müssen Kandidaten und Parteien dort um mehr Wähler kämpfen. Weniger Bürger als hierzulande haben eine Partei-Identifikation, dementsprechend sind mehr Wähler „anfällig“ für Wahlkämpfe. Außerdem haben die USA zumeist die Nase vorn, wenn es um neue technische und technologische Entwicklungen geht. Viele Maßnahmen wurden in Deutschland und anderswo übernommen. So ist inzwischen das TV-Duell auch bei uns Standard.
Wodurch zeichnen sich nun Kampagnen aus? Was sind neue Trends? Auch hier bleibt der Blick in die USA nicht aus, denn die wichtigsten Neuerungen brachten zuletzt die Kampagnen Barack Obamas hervor. 2007/2008 war es der gezielte Einsatz von sozialen Medien, 2011/2012 wurden uns die bisher ungeahnte Rolle und Bedeutung von Big Data bewusst: Über jeden einzelnen Wähler gab es etwa 1000 Informationspunkte. Diese Fülle von Daten wurde gepaart mit einem strikt choreografierten „ground war“, also der persönlichen Wähleransprache durch Freiwilligenteams, die von „field offices“ aus koordiniert wurden. Engagement und Begeisterung trafen auf Professionalität und Präzision.
Was vor Jahren als Innovation gefeiert wurde, gehört heute zum Standardrepertoire. Der Trend, der 2014 im Zuge der Midterm Elections in den USA aufkam, ist daher ein anderer. Auf den ersten Blick wenig spektakulär, aber sehr effektvoll, und am konsequentesten vorgetragen vom republikanischen Senator Mitch McConnell, inzwischen Mehrheitsführer im Senat.
Kampagnen-Video ohne Text
McConnells Kampagne hat die goldenen Regeln beherzigt und hatte auch das nötige Kleingeld. Daher konnte die Kampagne früh beginnen und umfangreiche Datenbestände nutzen. Legendär aber ist das Kampagnen-Video, in dem der Kandidat nichts sagt. Man lässt die Person wirken, es gibt keinen Text.
In Deutschland verhält es sich ein wenig anders, dennoch gibt es Parallelen: Wir werden aufgrund des Datenschutzes auch künftig nicht die Form des Big-Data-Wahlkampfes führen können, die wir in den USA beobachten. Dennoch ist auch hierzulande das Interesse der Parteien groß, so viele Informationen wie möglich über ihre (potenziellen) Wähler zu bekommen.
Und die Inhaltsleere à la Mitch McConnell? Sie hat sich in Deutschland nicht ganz so drastisch dargestellt, aber sowohl im thüringischen als auch im brandenburgischen Wahlkampf im vergangenen Spätsommer war durchaus festzustellen, dass sich nicht alle Kandidaten klar positionieren wollten. Gerade der damalige Spitzenkandidat der Linken und heutige Ministerpräsident in Thüringen, Bodo Ramelow, wollte auf diese Weise möglicherweise einigen Wählern die Sorge vor drastischen Veränderungen im Zuge einer rot-rot-grünen Koalition nehmen.
Passend dazu greift ein Phänomen immer weiter um sich, dass man eigentlich kaum noch als neu bezeichnen kann: die Personalisierung des Wahlkampfes. Sowohl in Thüringen als auch in Sachsen waren bei den Landtagswahlen 2014 viele Kampagnen auffällig stark auf die zur Wahl stehenden Personen abgestimmt. Und über den Fokus der CDU auf Angela Merkel bei der Bundestagswahl 2013 wurden bereits zahlreiche Abhandlungen verfasst.
Die Forschung unterscheidet drei Dimensionen von Personalisierung: Wählerverhalten, mediale Berichterstattung und Kampagnenführung. Unter Personalisierung des Wählerverhaltens wird die wachsende Bedeutung der unpolitischen Eigenschaften des Kandidaten verstanden. Mit Personalisierung der medialen Berichterstattung ist der wachsende Fokus der Medien auf die Kandidaten beziehungsweise Spitzenpolitiker gemeint. Die dritte Dimension des Personalisierungsbegriffes ist die der Wahlkampfstrategie. Hier waren in den vergangenen Jahren vor allem in deutschen Wahlkämpfen deutliche Veränderungen festzustellen. Und 2014 hat auch die Europawahl eine deutliche Entwicklung hin zu einer Wahlkampfdramaturgie genommen, welche sich um die Spitzenkandidaten dreht.
Bezogen auf das beschriebene Phänomen der Inhaltsleere ist eine solche Entwicklung gemischt zu bewerten. Idealerweise repräsentieren Kandidaten bestimmte politische Ideen und Vorhaben. Dann führt Personalisierung dazu, dass diese Inhalte auf eine weitere Art und Weise transportiert werden. In den genannten Beispielen jedoch neigen die Kampagnen dazu, Inhalte durch Personen und deren unpolitische Eigenschaften zu ersetzen.
Demobilisieren der Wähler
Dies alles sind Beobachtungen, welche die Wahlentscheidung der Bürger betreffen, und die Versuche der Politiker und Parteien, diese zu beeinflussen. Es ist allerdings auch nicht zu übersehen, dass sich Negativ-Botschaften im Wahlkampf häufen – auch dies gerade in den USA. Bestimmte Wählergruppen werden dadurch zwar nicht unbedingt davon überzeugt, eine andere Partei zu wählen als bisher, aber sie werden unter Umständen gar nicht zur Wahl gehen, weil sie von keiner Alternative überzeugt sind. Beeinflussen möchte man also gar nicht unbedingt die Entscheidung, wo der Wähler das Kreuzchen setzt, sondern vielmehr, ob er sich überhaupt zum Wahllokal bemüht. Dies ist unter dem Begriff asymmetrische Demobilisierung zu verstehen. Taktisch gesehen kann dies sinnvoll sein. Eine Stimme, die Partei A verloren geht, hilft zumindest indirekt Partei B.
Aus demokratischen Gesichtspunkten heraus ist dies jedoch schwierig. Negativ-Kampagnen müssen differenziert betrachtet werden. Aus inhaltlichen Erwägungen kann ein lautes Nein ebenso wichtig für die Debatte sein wie ein Ja. Aber sobald das primäre Ziel darin besteht, Bürgern das Wählen zu verleiden, muss die Frage erlaubt sein, ob dies der Politik mehr nützt oder schadet. Die Grenze zwischen legitimer Kritik und bewusster Demobilisierung ist freilich schwer zu ziehen – und rechtlich schon gar nicht.
Die Frage, ob es ein Erfolgsrezept für Kampagnen gibt, kann also auch im Lichte der jüngsten Entwicklungen nicht beantwortet werden. Allerdings werfen diese Trends neue Fragen auf, da Botschaften mitunter bewusst negativ oder inhaltsarm sind. Loriot lässt den fiktiven Abgeordneten Stiegler in dem Stück „Die Bundestagsrede“ sagen, es gehe ihm um „die konzentrierte Beinhaltung als Kernstück eines zukunftsweisenden Parteiprogramms“. Demgegenüber scheint neuerdings auch die Entinhaltung ihren Platz einzufordern. Es liegt an uns, das zu bewerten.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Beste Wahl. Das Heft können Sie hier bestellen.