Stabil, Verlässlich und Fair – Wie Lieferketten sich verändern müssen

Corona-Virus

Wie unter einem Brennglas offenbart die Corona-Pandemie die Schwachstellen unserer globalen Wirtschaft. Das winzig kleine Virus deckt auf, wie anfällig und zerbrechlich die Lieferketten vieler Unternehmen sind. Wo möglich haben Unternehmen darauf reagiert, neue Lieferanten, andere Lieferregionen oder alternative Transportwege erschlossen – mit zum Teil erheblichem Aufwand und Mehrkosten. Auch die Bundesregierung und die Länder sind eingesprungen, haben Krisenzentren gebildet und Plattformen aus dem Boden gestampft. Ebenso gab es Krisentreffen und Vereinbarungen der EU-Außenminister:innen, um den freien Warenverkehr trotz geschlossener Grenzen einigermaßen aufrechtzuerhalten.

Neben Versorgungsengpässen hierzulande haben unterbrochene Lieferketten und geschlossene Märkte gravierende Auswirkungen auf die Mitarbeitenden in Produktionsländern des globalen Südens. Wenn Handel und Transport eingeschränkt oder gestoppt werden, verschärft das die vielerorts ohnehin angespannte Lage und vergrößert Armut und Hunger. Die Weltbank warnt vor extremer Armut für 60 Millionen Menschen durch Corona und seine Folgen. Hier ist dringend gegenzusteuern.

Unternehmen müssen Lieferketten neu justieren

Wie genau unsere Welt nach Corona aussehen wird, darüber lässt sich aktuell nur spekulieren. Klar ist: Ein Zurück in die Vor-Corona-Zeit wird es nicht geben. Covid-19 wird die Unternehmen verändern – und die globale Arbeitsteilung neu sortieren. Darauf sollten sich Entscheider:innen in der Wirtschaft einstellen und konkrete Maßnahmen ergreifen.

Für Unternehmen kommt es darauf an, ihre Lieferbeziehungen in Zukunft noch stärker zu diversifizieren, um Abhängigkeiten zu reduzieren, mehr Stabilität zu erreichen, Ausfälle zu vermeiden und mehr globale Verantwortung zu übernehmen. Ebenso gilt es, auf digitale Prozesse zu setzen. Durch die stärkere Nutzung von Daten werden Lieferketten transparenter und risikoärmer, weil sich mögliche Lieferantenausfälle schneller abzeichnen.

Zudem wird es Bereiche geben, in denen künftig verstärkt auf nationale oder europäische Produktion gesetzt werden wird – allen voran in der medizinischen Versorgung. Doch jenseits der strategisch entscheidenden oder zur Versorgungssicherheit notwendigen Bereiche werden internationale Warenströme und -beziehungen weiterhin notwendig bleiben.

Entscheidend ist, diese frühzeitig klug und weitsichtig zu gestalten, sodass sie zum einen stabiler und krisenfester und zum anderen nachhaltiger und gerechter werden. Gut gemachte, faire Handelspolitik bietet die Chance auf hohe Lebensqualität und Wohlstand für alle. Unter einer rein auf Effizienz reduzierten Globalisierung mit größtmöglicher Kostenreduzierung leiden letztlich alle.

Investoren und Verbraucher stellen neue Ansprüche

Bereits seit einigen Jahren haben sich die Erwartungen an Unternehmen geändert – umwelt-, klima- und sozial verträglichem Wirtschaften kommt ein zunehmend höherer Stellenwert zu. Längst sind es nicht mehr nur die reinen Zahlen und Gewinne, die Shareholder interessieren – das belegten eindrucksvoll die Vorträge und Diskussionen auf dem diesjährigen Weltwirtschaftsforum. Der Konsens in Davos: Wir müssen umsteuern hin zu einer gerechteren und grünen Wirtschaft. Sogar Black-Rock-CEO Larry Fink setzt mittlerweile öffentlich auf den ökologischen Wandel und ermahnte in seinem jährlichen Brief die Unternehmenslenker, sich stärker beim Klimaschutz zu engagieren.

Neben den Investoren üben auch die Verbraucher:innen Druck auf die Unternehmen aus. Sie wollen sichere, umweltfreundliche und fair hergestellte Produkte – und sich darauf verlassen können, dass Unternehmen ihre sozial-ökologische Verantwortung wahrnehmen.

All das zeigt: Im direkten Umfeld der Unternehmen etabliert sich gerade ein neues Mindset. Die Gegensätze von gestern lösen sich allmählich auf. Das „Und“ rückt in den Mittelpunkt: Wohlstand von morgen baut auf Nachhaltigkeit von heute, Ökologie und Ökonomie gehören zusammen.

Ein Lieferkettengesetz rückt näher

Massiv an Fahrt aufgenommen hat im vergangenen Jahr überdies die gesellschaftliche und politische Debatte über die Verantwortung von Unternehmen und die Einhaltung von Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten. Nachdem unter anderem Frankreich und Großbritannien bereits gesetzliche Regelungen zur Stärkung der Menschenrechte auf den Weg gebracht haben, mehren sich auch in Deutschland die Forderungen nach einem Lieferkettengesetz – auf nationaler oder besser auf EU- oder UN-Ebene.

Nahezu zeitgleich mit dem Corona-Lockdown in Deutschland wollten die beiden für Entwicklung und Arbeit zuständigen Minister Gerd Müller (CSU) und Hubertus Heil (SPD) ein Eckpunktepapier für ein solches Gesetz vorstellen. Dem hat Corona einen vorläufigen Strich durch die Rechnung gemacht – die Veröffentlichung wurde verschoben.

Doch Anfang Mai stellte Minister Müller klar: Der Vorstoß sei angesichts der Pandemie „nicht obsolet“ geworden, die Eckpunkte lägen vor. Jedoch sollten vor Veröffentlichung die Ergebnisse des 2. NAP-Monitorings abgewartet werden – eine erneute Prüfung, inwieweit die in Deutschland ansässigen Unternehmen ihrer im Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte (NAP) verankerten Sorgfaltspflicht nachkommen.

Bei einer ersten Befragung Ende 2019 meldeten sich von den rund 3.000 angeschriebenen Unternehmen lediglich 460 zurück. Von diesen erfüllte noch nicht einmal jedes Fünfte die vorgesehenen Menschenrechtsanforderungen. Eine im Februar veröffentlichte, EU-weit durchgeführte Studie kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie der bisherige NAP-Prozess: Nur jedes dritte Unternehmen in der EU prüft seine globalen Lieferketten sorgfältig mit Blick auf Menschenrechte und Umweltauswirkungen.

Laut Koalitionsvertrag soll noch in diesem Jahr eine gesetzliche Regelung vorgelegt werden, wenn die freiwillige Selbstverpflichtung der Unternehmen zu wenig bewirkt. Und auch auf europäischer Ebene hat die Debatte an Fahrt aufgenommen. EU-Justizkommissar Didier Reyners kündigte unlängst einen Gesetzesentwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz für 2021 an. Dieses solle Unternehmen zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Wertschöpfungsketten verpflichten und öffentlich-rechtliche Sanktionen ebenso wie Klagemöglichkeiten für Betroffene vorsehen. Eingebettet werden soll das Gesetz in den Green Deal der EU und leitend für die Zeit nach der Corona-Krise sein.

Post-Corona-Welt: gerechter und grüner

Mit Blick auf den Wiederaufbau der Wirtschaft nach der Pandemie haben sich jüngst zahlreiche breite Allianzen gebildet. Hand in Hand fordern etwa CEOs, Politiker:innen und NGO-Vertreter:innen in einem gemeinsamen „Green Recovery“-Aufruf, den Klimaschutz nicht aus den Augen zu verlieren, sondern – jetzt erst recht – an den Klimazielen festzuhalten und diese zum wichtigen Bestandteil eines Konjunkturpakets zu machen. Mehr als 400 Finanzinvestor:innen der Initiative „The Investor Agenda“ fordern in einem Schreiben an die G20 einen konsequenten Klimaschutz beim Neustart der Wirtschaft.

In diesem Zuge sollte auch den Menschenrechten und der Bekämpfung von Hunger und Armut ein stärkeres Gewicht zukommen. 50 Unternehmen haben sich bereits im vergangenen Jahr in einer gemeinsamen Erklärung öffentlich für mehr Verantwortung in der Lieferkette und gesetzliche Regelungen ausgesprochen – pro Lieferkettengesetz und ein Level-Playing-Field für Unternehmen. Aktuell rufen unter dem Hashtag „Nachhaltig Zusammen“ über 800 Unternehmen dazu auf, Klimaschutz, Solidarität und Corona nicht gegeneinander aufzurechnen.

Hier ist jetzt ein starker Schulterschluss möglich. Für ein Post-Corona, das gerechter und grüner ist. Um ihre Liefer- und Wertschöpfungsketten darauf auszurichten, steht vielen Unternehmen ein langwieriger und kostenintensiver Prozess bevor. Doch wenn dieser richtig aufgesetzt wird, lohnt er sich: Durch die Umsetzung ihrer menschenrechtlichen und ökologischen Sorgfaltspflicht kommen Unternehmen ihrer Verantwortung gegenüber der Umwelt und der Gesellschaft nach und erhalten die Akzeptanz, die ihre Zukunft sichert. Zudem machen sie ihre Lieferketten widerstandsfähiger. Denn langfristige und vertrauensvolle Lieferbeziehungen reduzieren das Risiko von Produktions- und Arbeitsausfällen deutlich.

Die Debatte zu krisenfesten, verlässlichen und fairen Lieferketten ist somit in vollem Gange. Unternehmen sollten sich auf den Weg machen – und nicht warten, bis sie dazu gezwungen werden. Jetzt ist es Zeit für verlässliche, resiliente und faire Lieferbeziehungen für eine Zeit nach Corona.