Herr Bosbach, Sie geben persönliche und politische Gründe dafür an, dass Sie im September nicht wieder für den Bundestag kandidiert haben. Welche haben überwogen?
Ohne die politischen Gründe vernachlässigen zu wollen, sind es sicherlich in erster Linie private, sehr persönliche Gründe, die mich dazu bewogen haben, nicht erneut für den Deutschen Bundestag zu kandidieren.
Wann haben Sie denn entschieden, nicht erneut zu kandidieren und was gab den Ausschlag?
Im Spätsommer 2016. Ich hatte meiner Kreispartei versprochen, dass ich spätestens nach der Sommerpause Bescheid geben würde, ob ich bei der nächsten Bundestagswahl noch einmal antrete oder nicht – und dieses Versprechen habe ich dann selbstverständlich gehalten. Das war mir auch wichtig, denn die CDU im Rheinisch-Bergischen Kreis musste ja ausreichend Zeit haben eine neue Kandidatin oder einen neuen Kandidaten aufzubauen.
In Interviews sprechen Sie von einer Entfremdung mit Ihrer Partei. Wann hat diese denn eingesetzt?
Als ich 1972 Mitglied der CDU geworden bin, konnte ich mir noch nicht vorstellen, dass ich mich eines Tages dafür rechtfertigen müsste, dass ich auch bei wichtigen politischen Fragen und Entscheidungen bei dem bleibe, was meine eigene Partei über viele Jahre und Jahrzehnte vertreten hat.
Haben Sie eigentlich schon mal darüber nachgedacht, aus der CDU auszutreten?
Nein.
Wie weit kann man sich denn entfremden, dass man dennoch zusammenbleibt?
Wenn ich auch nur andeutungsweise das Gefühl hätte, für die Partei ein Problemfall oder gar an der Parteibasis isoliert zu sein, dann hätte ich wirklich Anlass über meine politische Überzeugung verschärft nachzudenken. Dieses Gefühl hatte ich allerdings noch nie. Ich bekomme sehr, sehr viele Einladungen von Stadt- und Kreisverbänden und die Veranstaltungen sind allesamt gut besucht und der Zuspruch ist hoch.
Wären Sie eigentlich jetzt auch aus dem Bundestag ausgestiegen, wenn Sie keine gesundheitlichen Probleme hätten?
Die Frage hat sich nicht gestellt. Vermutlich ja.
Es ist also nicht so, dass Sie keine Lust mehr hatten, als Quertreiber in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion dazustehen?
Die Formulierung „Quertreiber“ ist wirklich interessant. Offensichtlich ist man in der CDU anno 2017 schon dann Quertreiber, wenn man politisch zu dem steht, was von der gesamten Partei früher aus Überzeugung vertreten wurde. Ich vertrete ausschließlich politische Positionen, die auch Positionen der CDU sind – oder früher einmal waren.
Sie gelten als einer der profilierteste Innenpolitiker der Union. Wer soll denn die Lücke schließen, die Sie hinterlassen?
Wir haben glücklicherweise nicht nur aber gerade in der Innenpolitik viele profilierte Politikerinnen und Politiker. Stephan Mayer, Armin Schuster oder Ansgar Heveling seien hier nur beispielhaft erwähnt.
Welches war eigentlich der schönste Moment Ihrer politischen Laufbahn?
Eindeutig der letzte Wahlabend im Jahr 2013. Wenn man 58,5 Prozent der Erststimmen erhält, ist das eigentlich das schönste Kompliment, das man als Abgeordneter in seinem Wahlkreis bekommen kann.
Und welches war Ihre größte Niederlage?
Eine bittere Niederlage bei der Europameisterschaft der Parlamentarier im Tennis. Obwohl ich den ersten Satz hoch gewonnen und im zweiten Satz geführt hatte, habe ich das Ding noch verloren. Und das auch noch auf dem heiligen Rasen von Wimbledon, unter den Augen von Günther Bosch.
Welches Gefühl überwiegt, Wehmut oder Bitterkeit, dass Sie 2005 nicht Innenminister wurden, obwohl Sie öffentlich bereits für das Amt gehandelt wurden?
Weder Wehmut noch Bitterkeit. Im ersten Moment war ich natürlich etwas enttäuscht, zumal ich mich nicht beworben hatte, ich bin vielmehr ausdrücklich gefragt worden, welches politische Amt für mich denn besonders reizvoll wäre.
Foto: privat
Haben Temperamentsausbrüche in der Politik nichts verloren?
Nichts spricht gegen eine temperamentvolle Argumentation, solange dabei mitteleuropäische Umgangsformen gewahrt bleiben.
Im TV waren Sie stets gut vertreten, jetzt auch als Kolumnist in der „Bild“. Auf was dürfen wir uns nun künftig einstellen?
Auf weniger Bildschirmpräsenz und gleichbleibender Taktzahl beim Verfassen von Kolumnen – sofern „Bild“ daran auch nach meinem Ausscheiden aus dem Bundestag noch Interesse hat.
Gibt es eigentlich ein Vorbild, was das Engagement nach dem Abtritt aus dem Bundestag angeht?
Nein, jeder muss seinen Weg selber gehen, jeder muss für sich ganz persönlich entscheiden, welche Form des politischen Ruhestands für sich selber die beste ist.
Wie werden Sie sich zukünftig zu Wort melden? Wird man Sie weiterhin so oft in Talkshows antreffen?
Ungefragt nicht und die Talkshow-Präsenz wird ohne Mandat sicherlich deutlich geringer werden als in den letzten Jahren.
Sie werden oft als der Talkshow König bezeichnet. Wie gefällt Ihnen der Titel?
Naja, der Fantasie der Journalisten sind halt keine Grenzen gesetzt. Ich selber habe mir die Krone nie aufgesetzt, aber es gibt schlimmere Beschimpfungen als „Talkshow-König“ genannt zu werden.
Es scheint bei einigen Themen schwer zu sein, einen Unionspolitiker aus dem Bundestag oder führende Landespolitiker vor die Kamera zu bekommen. Sie waren oft zu sehen, auch wenn es für die Union unpopuläre Themen waren. Wenn Sie seltener im TV zu sehen sein werden, wer wird/soll dies zukünftig machen?
Die Kolleginnen und Kollegen, die schon heute in den Medien präsent sind. Aber vielleicht werden wir in Zukunft ja auch einige neue Gesichter sehen. Das allerdings hängt in erster Linie von den TV-Anstalten ab, denn sie alleine entscheiden darüber, wer im Fernsehen auftritt, niemand von uns verschafft sich mit Gewalt Zutritt in die Studios.
Was werden Sie eigentlich am Politikbetrieb vermissen?
Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Büros in Berlin und in Bergisch Gladbach und die gute, auch fraktionsübergreifende Zusammenarbeit mit vielen Kolleginnen und Kollegen aus der Disziplin Innenpolitik.
Und was werden Sie überhaupt nicht vermissen?
Stundenlange Debatten, bei denen ich schon nach zehn Minuten genau weiß: Das wird heute nix mehr.
Meinen Sie hier Debatten in der Fraktion, im Bundestag, im Ausschuss? Und wie häufig erleben Sie dies?
Ich meine vor allen Dingen Debatten, bei denen endlos über Sachverhalte diskutiert wird, die eigentlich ausdiskutiert sind, wo die politischen Meinungsunterschiede unübersehbar sind und bleiben. So etwas gibt es nicht nur in Koalitionsverhandlungen und Ausschüssen.
Was würden Sie dem politischen Nachwuchs raten?
Hungrig bleiben. Niemals glauben, dass man seine Ziele schon erreicht hat oder mit Lockerheit und Lässigkeit erreichen werde. Hart arbeiten. Lernen, lernen, lernen – und das heißt für mich: Lesen, lesen, lesen. Auch nach 23 Jahren Mitgliedschaft im Bundestag habe ich mich permanent politisch weitergebildet. Die Erde dreht sich heute in einem so rasanten Tempo, dass man ständig mit neuen Fragen und Herausforderungen konfrontiert wird.
Was bleibt zurück von der Zeit im Bundestag?
Außer jeder Menge Akten, die Erinnerung an 23 spannende, abwechslungsreiche Jahre, in denen ich viele tolle Menschen kennengelernt habe – in und außerhalb der Politik.
Wer sind die engsten politischen Weggefährten?
In der Innenpolitik war das zweifellos Clemens Binninger, mit dem ich über viele, viele Jahre hinweg eng und vertrauensvoll zusammengearbeitet habe. Das engste persönliche Verhältnis habe ich zu dem Parlamentarischen Staatssekretär Thomas Rachel, auch unsere Familien sind befreundet.
Wem haben Sie eigentlich in der politischen Laufbahn am meisten zu verdanken?
Franz Heinrich Krey, für den ich zwölf Jahre als Abgeordnetenmitarbeiter in Bonn und im Wahlkreisbüro in Bergisch Gladbach tätig war.
Stellen Sie sich vor, Sie könnten eine Stunde lang in einem Café mit zwei aktuellen oder historischen Politikern über Gott und die Welt sprechen, wen würden Sie sich aussuchen?
Mahatma Gandhi und Norbert Lammert – wobei ich ganz sicher bin, dass es Mahatma Gandhi schmeicheln würde, in einem Atemzug mit Norbert Lammert genannt zu werden…
Oder würde es Herrn Lammert mehr schmeicheln?
Norbert Lammert würde sich sicherlich freuen, in einem Atemzug mit Mahatma Gandhi genannt zu werden.
Für was werden Sie die neu gewonnene Freizeit nutzen?
Nach dem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag werde ich sicherlich nicht nur etwas mehr Freizeit, sondern auch etwas mehr Freiheit haben – und damit mehr Zeit für Familie, Freunde und den Sport.
In Interviews bereuen Sie, viel vom Familienleben verpasst zu haben. Ihre Kollegin Kristina Schröder fordert beispielsweise einen politikfreien Sonntag. Würden Sie sich rückblickend dafür aussprechen?
Eine sympathische Idee, allerdings bleibt die Frage: Wann soll ich denn dann die Arbeit machen, die ich bislang sonntags erledigt habe?
Dies ist ein Auszug aus dem Interview-Buch „Bundestag adieu!“, für das Aljoscha Kertesz mit zahlreichen 2017 aus dem Parlament ausgeschiedenen Politikern gesprochen hat. Es ist im Engelsdorfer Verlag erschienen.
Das Interview mit der ehemaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder, die 2017 ebenfalls den Deutschen Bundestag verlassen hat, lesen Sie hier, hier das Interview mit Linken-Politiker Jan van Aken.