Für Analysten
Mit „Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche“ hat die Journalistin Ursula Weidenfeld eine Merkel-Biografie vorgelegt, die sich dem Leben der Kanzlerin auf ganz neue Art nähern will. Das Buch umfasst neun Kapitel, die sich jeweils mit einem charakteristischen Motiv der Kanzlerschaft Angela Merkels auseinandersetzen. So gibt es beispielsweise Kapitel wie „Männer“ und „Frauen“, aber auch „Erfolge“, „Fehler“ und „Enttäuschungen“. Dabei bleibt das Buch durchaus chronologisch – bis auf das Eingangskapitel „Abgang“.
Gleich zu Beginn des Buchs erklärt Weidenfeld auch, warum sie Merkels „Abgang“ an den Anfang gestellt hat: „Wer die Besonderheit Angela Merkels für die politische Geschichte Deutschlands beschreiben will, fängt am besten am Ende an – und beginnt mit ihrer Entscheidung, das Amt aufzugeben.“ Denn einen deutschen Kanzler, der sein Amt freiwillig aufgibt, hat es zuvor noch nicht gegeben. So wie es auch noch niemanden gegeben hat, der es innerhalb von 15 Jahren in der Politik bis an die Spitze der Bundesrepublik geschafft hat – und schon gar keine Frau.
Ein besonderes Symbol der Kanzlerschaft Merkels ist für Weidenfeld die Spannung zwischen Zögerlichkeit und Mut: „Angela Merkel ist unabhängiger und freier als die meisten, gleichzeitig ist sie unentschlossen bis zur äußersten Schmerzgrenze. Mit schwierigen Entscheidungen wartet sie, bis es fast zu spät ist.“ Merkel selbst meint dazu: „Ich bin, glaube ich, im entscheidenden Moment mutig.“ Und das unterscheidet sie laut Weidenfeld auch von ihren früheren Konkurrenten Wolfgang Schäuble, Roland Koch oder Friedrich Merz, denen allesamt in den entscheidenden Momenten ihrer Politikerkarriere der Mut fehlte.
Ebenfalls symbolisch für Merkel ist ihre – ihr oft nachgesagte – Profillosigkeit. Im Unterkapitel „Angela Merkel ist wie Haßloch“ zieht Weidenfeld Bilanz: „Nach außen ist die Kanzlerin eine Frau ohne Eigenschaften geworden, eine Projektionsfläche für alle möglichen Erwartungen und Befürchtungen, für Verehrung und Verachtung, Hass und Bewunderung.“ Doch dass die echte Angela Merkel alles andere als profillos ist, wird im Buch deutlich, wenn es um Krisenzeiten während ihrer Kanzlerschaft oder entscheidende Punkte in ihrer Karriere geht. Neben einer rein deskriptiven Sicht auf Merkels Leben ordnet die Autorin das Beschriebene auch in einen größeren, zeitgeschichtlichen Kontext ein. Wer also besonders an einer analytischen Sicht auf Angela Merkel interessiert ist, ist mit dieser Biografie gut beraten. (jc)
Ursula Weidenfeld: „Die Kanzlerin. Porträt einer Epoche“, Rowohlt Berlin, 2021, 352 Seiten, 22 Euro
Für Akribische
Wenn man Ralph Bollmanns Merkel-Biografie „Angela Merkel: Die Kanzlerin und ihre Zeit“ mit einem Wort beschreiben sollte, wäre das „akribisch“. Über 800 Seiten erzählt der Journalist das Leben der Kanzlerin präzise nach. Die Biografie besteht aus drei Teilen: Merkels Kindheit und ihr Leben in der DDR, der Beginn ihrer politischen Karriere bis zu ihrer Wahl als Kanzlerin und ihre Kanzlerschaft.
Bollmann hält sich mit eigenen Deutungen weitgehend zurück. Das mag im ersten Moment langweilig klingen, entfaltet allerdings eine ganze eigene Spannung. Gerade durch die detailreiche Beschreibung werden viele Zusammenhänge deutlich, die sonst in der Schnelllebigkeit der Berichterstattung untergehen.
Beispielhaft sei hier Merkels Außenseiterrolle in der Politik als ostdeutsche Frau genannt. So blieb sie – beim Fall der Mauer 35 Jahre alt – immer von den Erfahrungen in ihrer ersten Lebenshälfte geprägt. Bollmann fasst diese Prägung in drei Punkten zusammen: „Neben der Fähigkeit zum Schweigen und der psychischen Widerstandskraft nahm Angela Merkel noch ein drittes Erbteil mit ins vereinte Deutschland: die Abneigung gegen jede Form von Ideologie.“
Gerne werden ihr diese Charakteristiken als übertriebene Anpassungsfähigkeit und mangelnde Entschlossenheit ausgelegt. Doch bei genauerer Betrachtung zeigt sich, wie hilfreich sie Merkel in ihrer politischen Karriere waren. Wer sich ein möglichst genaues Bild der Person Angela Merkel machen möchte, liegt hier richtig. (jc)
Ralph Bollmann: „Angela Merkel. Die Kanzlerin und ihre Zeit“, C. H. Beck, 2021, 800 Seiten, 30 Euro
Für Merkel-Hasser
„FAZ“-Journalist Philip Plickert wirft in seinem Buch „Merkel. Die kritische Bilanz von 16 Jahren Kanzlerschaft“ einen Blick auf die vergangenen vier Amtsperioden von Kanzlerin Angela Merkel. Mit einer mehr oder weniger expliziten „Sie kennen mich“-Wähleransprache habe sie über 16 Jahre als Kanzlerin regieren können. Für seinen Sammelband hat Plickert 22 Professoren und Publizisten gewonnen, die vor allem eines eint: Sie haben nicht viel übrig für Angela Merkel.
Ihr autoritärer und machtpolitischer Stil wird gleichzeitig gewürdigt und kritisiert. „Bewundernswert war, mit welchem Gespür für den richtigen Augenblick eigenen Machtzugriffs sie ihren Förderer Helmut Kohl und ihren Rivalen Friedrich Merz abservierte“, schreibt Werner J. Patzelt in seinem Kapitel „Merkels Erbe“. Ein Kapitel durfte auch Thilo Sarrazin übernehmen.
Der britische Historiker Anthony Glees urteilt in seinem Kapitel: „2015, im Fall der Massenmigration nach Deutschland und Europa, kann man zeigen, dass ihr Handeln desaströse Konsequenzen hatte, die fast sicher zum historischen Brexit-Votum der Briten am 23. Juni 2016 geführt haben.“
Insgesamt fällt im Buch dessen starke Schlagseite gegen Angela Merkel auf. Wer also lesen möchte, warum Merkel überschätzt sei und woran sie überall Schuld sein soll, liegt mit diesem Buch richtig. Ihre Europolitik, ihr „kopfloses Handeln“ in der Energiewende bis hin zu ihrem Agieren in der Flüchtlingskrise, all das wird gnadenlos auf den Prüfstand gestellt. (mn)
Philip Plickert (Hrsg.): „Merkel. Die kritische Bilanz von 16 Jahren Kanzlerschaft“, FBV, 2021, 320 Seiten, 18 Euro
Für Vorurteilende
Mit „Mutti wars nicht. Populäre Legenden & kollektive Irrtürmer über Angela Merkel, Flüchtlingspolitik und Europa“ räumt Gerd Hachmöller mit Legenden aus der 16 Jahre andauernden Regierung Angela Merkels auf. Dabei singt der Autor jedoch keine Ode auf Angela Merkel. Er verspricht: „Die Intention dieses Buches ist nicht, Partei zu ergreifen. Weder für Angela Merkel noch für ihre Widersacher, weder für die deutsche Position in der europäischen Flüchtlingspolitik noch für andere EU-Länder und erst recht nicht für die Feinde der Demokratie in Deutschland.“
Das wohl berühmteste Missverständnis: „Wir schaffen das.“ Hachmöller zeigt, dass sowohl der damalige Vizekanzler Sigmar Gabriel als auch Wolfgang Schäuble Tage vor Merkel genau diese Worte öffentlich ausgesprochen hatten. Dennoch wird diese Aussage allein Merkel bis heute zugeschrieben. Aus der Ausnahmesituation, die bei Deutschen oft als „Flüchtlingskrise“ firmiert, stammen noch weitere falsche Zuschreibungen, mit denen der Autor aufräumt. Ob EU-Deals mit Erdogan, Tatenlosigkeit beim Abschieben oder mehr Kriminalität seit 2015 – die Anzahl von Fakenews ist Legion.
„Es ist für eine zielführende Debatte zur Zuwanderung unerlässlich, Irrglauben, Klischees und Legenden zur Flüchtlingspolitik, zu Angela Merkel, zu Europa und zur Zuwanderung auszuräumen und durch Faktenwissen zu ersetzen“, schreibt Hachmöller. Genau das tut er mit seinem Buch. Wer sich also selbst dabei ertappen möchte, dass er möglicherweise falschen Annahmen über Merkel unterliegt, sollte hier reinschauen. (mn)
Gerd Hachmöller: „Mutti wars nicht. Populäre Legenden & kollektive Irrtümer über Angela Merkel, Flüchtlingspolitik und Europa“, Goldegg Verlag, 2021, 176 Seiten, 22 Euro
Für Ohrmenschen
Im Podcast „Merkel-Jahre. Der unwahrscheinliche Weg der Angela M.“ von Deutschlandfunk Kultur folgen Stephan Detjen und Tom Schimmeck Angela Merkel in sechs Teilen von ihrer Kindheit in Templin über ihre Zeit als Physikerin bei der Akademie der Wissenschaften, ihren Aufstieg in der Bundespolitik bis zum Ende ihrer Kanzlerschaft.
Dabei kommen viele ihrer alten Weggefährten, Freunde und Kollegen zu Wort, wie ihr Mathematiklehrer Hans-Ulrich Beeskow, Ex-CSU-Chef Edmund Stoiber, Alt-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth oder Ex-Innenminister Thomas de Maizière.
Auch in diesem Hörspiel stehen die überaus ungewöhnliche Biografie Merkels und die eigentliche Unmöglichkeit ihres politischen Aufstiegs im Mittelpunkt. So hätte beim Fall der Mauer 1989 – den Merkel übrigens in der Sauna verbrachte – niemand damit gerechnet, dass eine bis dato politisch inaktive Brandenburger Pfarrerstochter 16 Jahre später die erste Kanzlerin Deutschlands werden wird.
Doch nur wenig mehr als ein Jahr später wird sie Anfang 1991 bereits Frauenministerin in Bonn. Ende 1999 erklärt sie in einem Gastbeitrag für die „FAZ“ die Ära Kohl für beendet und ebnet sich so den Weg zum CDU-Vorsitz, der sie 2005 ins Kanzleramt führt.
Neben Interviews mit Zeitzeugen streuen die Autoren immer wieder Originalaufnahmen und Anekdoten ein, die dem Hörer Merkel als Person nahbarer erscheinen lassen, als das in 16 Jahren Kanzlerschaft der Fall war. (jc)
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 136 – Thema: Die drei Fragezeichen – Wer wird die neue Merkel?. Das Heft können Sie hier bestellen.