Es gibt Menschen, die haben einen Lebenslauf, der ist so lang wie ein Roman. Andere haben einen Lebenslauf, der ist so spannend wie ein Krimi. Und dann gibt es noch welche, die haben einen Lebenslauf, der ist so schön wie ein Märchen. Zuletzt gab es dann noch Leute, deren Lebenslauf war ein Märchen.
Immer wieder gibt es Politiker, die es mit der Wahrheit nicht so genau nehmen, wenn es um ihre Vita geht. Sie schmücken ihre Lebensläufe mit klangvollen Titeln, Mitgliedschaften und Stationen aus, die sie nie erworben oder durchlaufen haben. Offenbar hoffen sie, dass niemand nachprüft, ob ihre Angaben stimmen – oder dass das niemanden interessiert. Dabei wäre das eigentlich der Zweck dieser Übung.
Die Biografie von Arno Bausemer hat auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg niemanden interessiert. Bausemer wurde dort auf den Listenplatz 10 für die Europawahl aufgestellt. Er hat sich mit einem beeindruckenden Lebenslauf beworben: Abitur, Volontariat beim MDR, Geschäftsführer einer Firma. Leider war das gelogen. Beim MDR war er Praktikant. Er hat auch keine Firma geleitet. Das hat zwar die Parteifreunde nicht interessiert, aber die Journalisten von „T-Online“. Jetzt will die Partei noch mal prüfen. Nun hätte Bausemer sich ja zu allem Möglichen erklären können: Astronaut, Rennfahrer, Sternekoch. Warum ausgerechnet Journalist? Die sind bei seinen Parteifreunden ja nicht gerade beliebt. Warum nicht Grenzschutzbeamter, Durchseuchungsbehördenleiter oder Nuklearingenieur?
Für die Biografie von Bausemers Parteifreundin Mary Khan-Hohloch (Listenplatz 14) haben die Parteifreunde sich dafür brennend interessiert. Die will es geschafft haben, neben einer zeitaufwändigen Tätigkeit für die Parteijugendorganisation Junge Alternative und der Geburt eines Kindes zu studieren und vier Jahre außerhalb der Politik Berufserfahrung zu sammeln. Ein Geschäftsordnungsantrag fand das „unglaubwürdig“. Wir möchten da widersprechen. Wenn es alternative Fakten gibt, gibt es auch alternative Realitäten. Und Unglaubwürdigkeit ist bei Kreml-Propaganda ja auch nie Kriterium.
Irgendwie steckt da etwas von Voodoo drin: Früher hat man in den Raunächten um Weihnachten Wünsche und Träume auf kleine Zettel geschrieben und gehofft, dass sie dadurch wahr werden. Heute schreibt man sowas in seinen Lebenslauf. Die SPD-Bundestagsabgeordnete Petra Hinz etwa wünschte sich Abitur, Jura-Studium, Rechtsanwältin gewesen sein in Essen. Leider war ihr das nicht vergönnt. Aufgeschrieben hatte sie es trotzdem. 2016 flog auf: Sie hatte keine allgemeine Hochschulreife, kein Studium, keine Zulassung als Anwältin. Nach dem Skandal war sie keine Bundestagsabgeordnete mehr.
Manchmal ist es einfach schön, bestimmte Namen im Lebenslauf zu haben. So erwähnte die heutige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) als Kanzlerkandidatin 2021 in ihrer Vita Mitgliedschaften in der renommierten Transatlantik-Stiftung German Marshall Fund und dem UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Nach einiger Aufregung stellte sich heraus: Beim German Marshall Fund ging es um ein Förderprogramm und beim UNHCR um Spenden an die Flüchtlingshilfe. Das musste präzisiert werden. Mich erinnert es daran, dass ich mal beim FC Schalke 04 gespielt habe. Nun gut, ich habe da nur auf der Tribüne gesessen. Ich könnte behaupten, dabei sei ein bisschen Abglanz auf mich übergegangen. Mit Blick auf die derzeitige sportliche Situation des Clubs will ich das aber nicht hoffen.
Wenn der US-Republikaner George Santos sich in seinen Lebenslauf schreiben würde, dass er der unbestrittene König der Hochstapler in der Politik ist, dann wäre wenigstens eine Angabe darin wahr. Ansonsten hatte der Kongressabgeordnete in seinem Lebenslauf so ziemlich alles erfunden. Seine angeblich jüdischen Großeltern waren keine Holocaust-Überlebenden und seine Mutter keine New Yorker Finanzmanagerin, sondern Putzfrau. Sein behaupteter Universitätsabschluss war frei erfunden, genauso wie angebliche Anstellungen bei bekannten Investmentbanken. Santos gibt mittlerweile zu, ein „fürchterlicher Lügner“ zu sein. Er könnte also seiner Vita noch anfügen, eine philosophische Begabung zu haben, in einer Liga mit Epimenides dem Kreter, der gesagt haben soll: „Alle Kreter sind Lügner.“
Wenn in dieser anekdotischen Aufzählung die vielen Doktoren fehlen, die irgendwann keine mehr waren, hat das übrigens einen einfachen Grund. Zum Zeitpunkt, als sie das in ihren Lebenslauf schrieben, stimmte das noch. Das hat auch keinen interessiert. Bis sich jemand für ihre Doktorarbeit interessiert hat.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 144 – Thema: Interview mit Can Dündar. Das Heft können Sie hier bestellen.