Transparenz bis unter die Schuhsole

Kolumne

Mehr Transparenz in den politischen Prozess zu bringen, haben sich bereits viele Akteure auf die Fahnen geschrieben. Parteien, Bewegungen und NGOs setzten es sich als Ziel, hatten in der Vergangenheit aber keinen durchschlagenden Erfolg. Im Koalitionsvertrag der Ampel taucht die Transparenz ganze 32 Mal auf, unter anderem neben der Absicht, den „Einfluss Dritter im Rahmen der Vorbereitung von Gesetzesvorhaben und bei der Erstellung von Gesetzentwürfen umfassend offenlegen“ zu wollen. Und so kam es, zwar ganz transparent – aber doch ziemlich unbeachtet, dass das Bundeskabinett am 6. März eine Änderung in § 43 der Gemeinsamen Geschäftsordnung der Bundesministerien für einen „Exekutiven Fußabdruck“ erlassen hat.

Die Geschäftsordnung begegnet einem im politischen Berlin außerhalb der Regierungshäuser selten. Dabei hält sie doch die Welt der Ministerialbürokratie im Innersten zusammen: Hier findet sich allerhand Wichtiges für den Alltag, unter anderen die Hackordnung der Farbstifte, die Vermerke oder Gesetzesentwürfe säumen (übrigens zeichnet anders als erwartet der Minister im hoffnungsfreudigen Grünstift und der Staatssekretär im belehrenden Rotstift).

Und jetzt also auch die Regelung zum Fußabdruck. Die Veröffentlichung im „Gemeinsamen Ministerialblatt“ steht kurz bevor und ab dem 1. Juni 2024 sollen alle Bundesministerien externe Einflussname in der Begründung eines Entwurfes auflisten. Wörtlich soll gezeigt werden „inwieweit Interessenvertreter sowie beauftragte Dritte wesentlich zum Inhalt des Gesetzentwurfs beigetragen haben“.

Anders als ein „Legislativer Fußabdruck“, der beispielsweise im Europäischen Parlament gilt, soll dieser „Exekutive Fußabdruck“ nur die Bundesregierung verpflichten. Während EU-Parlamentarier Treffen mit Lobbyisten offenlegen sollen, werden die deutschen Ministerien wesentliche Beiträge von Dritten transparent machen müssen. Dieser Abdruck für die Bundesebene soll also nicht aufzeigen, wer sich mit wem getroffen hat – sondern qualitativ erkennbar machen, wer (egal ob getroffen oder nur geschrieben) Erfolg mit seinem Vorbringen gehabt hat.

So sind wir um ein zu definierendes Wort reicher – und müssen klären, was denn eine „wesentliche“ Einflussnahme ist. Diese Schwelle wird erreicht, wenn sich der Standpunkt des Ministeriums durch äußerlichen Einfluss verschiebt, also eine neue Regelung aufgenommen wird, oder bei Verzicht oder Abänderung einer ursprünglich angedachten Vorschrift. Wer einen solchen wesentlichen Einfluss nimmt, ist in der Begründung eines Gesetzentwurfes aufzuführen. Klarnamen der handelnden Akteure sind nicht zu nennen, nur die das Wort tragende Organisation soll als Mutter des Gedankens dienen. Ausnahmen für bestimmte Gruppen wie beim Lobbyregistergesetz, wo sich unter anderem Gewerkschaften und Kirchen nicht in das Register eintragen müssen, gibt es beim „Exekutiven Fußabdruck“ nicht.

Dabei drängt sich die Frage auf, inwieweit die Bundesregierung überhaupt wird angeben wollen, dass ein kongenialer Gedanke nicht aus dem Ministerium selbst stammt, sondern lediglich souffliert wurde. Die Verwaltung scheint in Anbetracht der vielfältigen und detaillierten Regelungsvorhaben regelmäßig auf externen Sachverstand zu vertrauen und diesen auch aktiv einzuholen. Daher bleibt abzusehen, ob der Fußabdruck dieses Verhältnis ändern wird und die Beteiligten zugestehen wollen, dass ein konkreter Vorschlag (nicht) aus der eigenen Feder stammt. Gleichzeitig bietet sich die Chance für ein neues „Macher-Mindset“: Mitglieder können plötzlich abgedruckt sehen, ob ihr Verband den entscheidenden Einfluss gehabt hat. Steht uns hier eine neue Dynamik bei den Interessenvertretern bevor?

Klar ist: Das Ineinandergreifen des neuen Lobbyregistergesetzes mit dem Fußabdruck bietet die Chance für ein neues Level an Transparenz im Gesetzgebungsverfahren. Aus der Flut an Informationen von Namen, Auftraggebern und Geldsummen im Register ging bisher nicht hervor, wie erfolgreich eine Lobbying-Maßnahmen auf Bundesebene tatsächlich ist. Flankiert wird diese neue Transparenz von einem nennenswerten Verwaltungsaufwand für Bundesregierung und Interessenvertreter. Ob sich dieser Aufwand beider Mechanismen in Zeiten nicht enden wollender Rufe nach Bürokratieabbau rentiert und welche Auswirkungen der Fußabdruck auf das Gesetzgebungsverfahren haben wird, darf abgewartet werden.