32 Sekunden – so kurz kann Geschichte sein. Eine halbe Minute lang folgt Katastrophe auf Katastrophe: China marschiert in Taiwan ein, US-Banken kollabieren, die Grenzen der USA scheinen nicht mehr unter Kontrolle zu sein, und schließlich verwandeln Gangs und die Droge Fentanyl San Francisco in einen Albtraum. Begleitet von Soundbites und dramatischen Klavierklängen erlebt man hier etwas Historisches: den ersten politischen Videospot, der komplett aus KI-generierten Bildern besteht. Auch wenn die Bilder nicht real sind, ihre Wirkung ist es. Jetzt liegt es an uns, mit dieser Tatsache umzugehen.
Historikerinnen und Historiker könnten künftig den 30. November als Schwelle zum Zeitalter der KI sehen. Wahrlich kein ereignisarmer Tag in der Geschichte. Am letzten Novembertag 1943 verhandelten die Alliierten auf der Konferenz von Teheran über die Befreiung und Zukunft Europas. 80 Jahre später, am 30.11.2022, präsentiert OpenAI mit ChatGPT eine Technologie, die unsere gesamte Welt verändern könnte. Seitdem hat das einstige Fachthema rasch Verbreitung in der allgemeinen Debatte gefunden. Kein ernst zu nehmendes Feuilleton und kein Podcast kommen ohne KI als Aufhänger aus. Auch auf dem „Spiegel“-Cover war künstliche Intelligenz schon zu sehen.
Natürlich steht das Thema auch in der politischen Kommunikation im Fokus. Schaut man auf die Beiträge der letzten Wochen und Monate, gewinnt man einen Eindruck, wie sehr KI in der politischen Kommunikation herbeigesehnt wird. Kaum ein Bereich, in dem KI nicht zum „Gamechanger“ werden könnte. Besonders Texterstellung und (Social Media) Content gelten als quasi natürliches Habitat für KI. Aber ist die programmierte Intelligenz aus Algorithmen und maschinellem Lernen wirklich der Schlüssel zu einer neuen Stufe in der Vermittlung politischer Interessen oder sollten wir nicht vielmehr die Ankunft der KI als Anreiz nehmen, um mehr Mensch zu wagen?
Viel Content, wenig Inhalt, kein Effekt
Einen Text zu schreiben kann aufreibend sein, vor allem wenn er als Teil einer vereinbarten Leistung entstehen muss und nicht wie dieser Beitrag aus Inspiration entstehen darf. Kein Wunder, dass ausgerechnet im Bereich der Texterstellung ChatGPT hohe Wellen schlägt. Die Hoffnung ist, Texte quasi aus dem Nichts entstehen zu lassen und so Output zu vervielfachen und zu beschleunigen. Oder man hat endlich die Möglichkeit, im stressigen Alltag die Flut an Dokumenten schnell zusammenzufassen. Gerade für Organisationen oder Unternehmen mit kleinem Kommunikationsbudget scheint das ein Segen zu sein.
Doch wo steckt bei all dieser Technik der tatsächliche Mehrwert für den Empfänger oder die Empfängerin und damit indirekt für die eigene Sache? Sollte man darauf vertrauen, dass im aufkommenden Zeitalter der KI, Behörden, Abgeordnetenbüros oder andere Stakeholder lange Texte einfach per Technik auswerten und sich die Kernpunkte herausfiltern lassen? Oder kann man sicher sein, dass die KI im Postfach des Adressaten bereits Relevantes (natürlich das eigene Anliegen) von weniger Wichtigem trennt?
Die mögliche Proliferation von Texten und Inhalten könnte schnell nach hinten losgehen und die eigentlichen Ziele hintertreiben. Denn bei all den möglichen oder tatsächlichen Verheißungen sogenannter Large Language Models (LLM), wie dem derzeit heiß diskutierten ChatGPT, wird anscheinend vergessen, dass in der politischen Kommunikation selten die große Masse an Papierbergen oder die endlose Menge an Inhalten einen Unterschied macht. Stattdessen sollte stets der Empfänger im Zentrum eigener Kommunikationsbemühungen stehen. Will man in Zukunft wirklich herausstechen und mit der eigenen Kommunikation punkten, heißt das: Mach‘s kurz, dann wird‘s klar!
Wer seine Botschaften nicht selbst in wenigen Sätzen (oder sogar einem) zusammenfassen kann, dem kann auch eine KI schwerlich helfen. Die Textflut, die die Empfängerseite mit zahllosen Pressemitteilungen, Stellungnahmen, Positionspapieren, Ausblicken, Monitorings, Zielbildern und so weiter bewältigen muss, macht Klares und Kurzes besonders attraktiv. Wer sich täglich durch Papierberge wühlt, schätzt prägnante Sätze und deutliche Botschaften – und das ist nur allzu menschlich.
Von Menschen für Menschen
Auch im Zeitalter der KI ist weiterhin vorgesehen, dass echte Menschen aus Fleisch und Blut die politischen Entscheidungen als gewählte Abgeordnete im Deutschen Bundestag, den Landtagen und in kommunalen Gremien treffen. Und weiterhin werden sie dabei unterstützt von Mitarbeitenden, die ebenfalls allzu menschlich sind. Für die politische Interessenvermittlung im Zeitalter der KI bedeutet das: Kommunikation für Menschen mit Menschen durch Menschen zu gestalten. Der Schlüssel hierzu heißt menschliche Authentizität.
Ja, Authentizität ist in den vergangenen Jahren immer mehr zum Buzzword geworden. Allen voran Influencerinnen und Influencer in den sozialen Medien haben, auch in der politischen Kommunikation, diesem Begriff einen negativen Beigeschmack verliehen. Für die begriffliche Schärfe soll hier unter menschlicher Authentizität verstanden werden, dass eine klar erkennbare menschliche Handschrift in der Kommunikation wahrnehmbar ist und betont wird. Es geht darum, Kommunikation von Menschen aus zu denken und umzusetzen. Personen in der eigenen Organisation oder dem Verband gehören dabei ins Zentrum der Interessenvermittlung. Dadurch kann sichtbar gemacht werden, dass die eigene Kommunikation menschlich geprägt ist und nicht KI den Hauptteil der Arbeit übernimmt. Niemand mag Ansprachen aus der Büchse.
Komplexe Inhalte und Vorgänge auf einzelne Personen herunterzubrechen, die in der Kommunikation herausgestellt werden, kann nicht einfach von KI geleistet werden. KI kann jedoch helfen, Personen und Persönliches in den Diskurs einzubeziehen. Das zeigt sich eindrucksvoll in sozialen Medien, in denen einzelne Personen für bestimmte Berufsgruppen wie Anwälte oder Steuerberaterinnen die Deutungshoheit erlangt haben.
Menschliche Authentizität und eine stärkere Ausrichtung auf Personen in der eigenen Organisation können eine neue Form der Nähe schaffen. Kurz gesagt: Politische Kommunikation muss menschlich sein, um eigene Anliegen mit einer unverkennbar menschlichen Note sichtbar und erlebbar zu machen und sich durch mehr emotionale Nähe abzuheben. Wer dabei an rührselige Stockbilder oder unpassende Testimonials denkt, dem kann vermutlich auch eine KI nicht mehr helfen.
„Hey KI – entwirf ein spannendes Live-Event“
Neben stärkerem Fokus auf den Menschen als Empfänger und Sender im politischen Diskurs wird der vermehrte Einsatz von KI dem Zwischenmenschlichen im direkten Austausch mehr Bedeutung verleihen. Denn das klassische Gespräch von Angesicht zu Angesicht kann auch die beste KI nicht ersetzen. Was zunächst banal erscheint, zeigt sich anhand der Erfahrungen während der Coronapandemie: Der Einsatz digitaler Tools und die Verlagerung von Dialogen in die virtuelle Welt haben den Austausch vor Ort ergänzt, aber nicht verdrängt. Die unverkennbaren Aufholeffekte bei Messen, Konferenzen und Dialogveranstaltungen im vergangenen Jahr sprechen eine klare Sprache: Unmittelbarer Dialog ist gefragt wie selten. Das ist ein klares Zeichen für die Aufwertung des guten alten Gesprächs mit und zwischen Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträgern.
Wenn direkter Austausch durch KI und zunehmende Digitalisierung des Diskurses wieder stärker in den Fokus rücken, braucht es dafür passende Räume. Hier kann der Kreativität in Zukunft freien Lauf gelassen werden. Egal ob kleine Runde oder große Konferenz, es darf vom traditionellen Schema mit Grußworten, Fireside Chats und Panels abgewichen werden.
Aus „form follows function“ sollten Organisationen, Verbände und Unternehmen zu einem „form is function“ gelangen. Die Gestaltung von Dialogen in Präsenz muss zukünftig eine entscheidendere Rolle spielen. Der Veranstaltungsort und die am Gespräch beteiligten Personen unterstreichen nicht nur das Thema, sie verstärken die transportierte Botschaft. Warum nicht ein Werkstattgespräch im laufenden Betrieb abhalten oder den Krankenhausdialog im stillgelegten Krankenflügel? Der direkte Dialog als unmittelbare zwischenmenschliche Kommunikation ist eine Erfahrung und ein Erlebnisrahmen, den keine KI nachahmen oder erzeugen kann. Denn was ist menschlicher als das Zwischenmenschliche?
Mehr Mensch als Maschine
KI ist gekommen, um zu bleiben. Mit dem Erscheinen von ChatGPT und anderen KI-Formen sind jedoch zuletzt überzogene Erwartungen und Hoffnungen an künftige Kommunikation geknüpft worden. Zwar sind die Chancen groß, dass KI einen evolutionären Wandel in der politischen Interessenvermittlung bewirkt. Doch mehr maschinelle Kommunikation mit immer höherer Schlagzahl und einem einfachen Mehr an Inhalten ist der falsche Weg. Vielmehr wird künftig der Mensch mehr denn je gefragt sein. Seine Rolle als Empfänger und Sender wird zunehmen, um aus dem Rauschen einen echten Dialog entstehen zu lassen. Dafür sind klare und sparsame Kommunikation sowie ein Fokus auf Personen und Persönlichkeiten erforderlich. Vor allem der direkte Austausch gewinnt im Zeitalter der KI an Bedeutung und wird dadurch deutlich wirksamer. Aber nur, wenn er richtig gestaltet ist: authentisch, nah und unmittelbar.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 143 – Thema: 15 Young Thinkers. Das Heft können Sie hier bestellen.