Auch Friedrich Merz hält seine Rede zum politischen Aschermittwoch 2020 als eine Art Bewerbungsrede um den CDU-Parteivorsitz. Wie wird es dem Sauerländer gelingen, sich auf die Thüringerinnen und Thüringer in Apolda einzustellen? Wie wird er auf seine Zuhörer wirken? Werden seine Pointen ankommen und welchen Eindruck wird er langfristig hinterlassen?
Einstieg Publikumskompliment: „Sie werden alle morgen in der Zeitung lesen können: Apolda – das ist Deutschland, meine Damen und Herren!“
Kaum eine Minute hat es gedauert und der Saal tobt. Merz weiß, was seine CDU hier und heute von ihm hören möchte: „Und Sie werden in großer Objektivität sehen, wie die Medien berichten, wie es wirklich um die Stimmung in unserem Land bestellt ist. Das ist hier nicht Berlin-Kreuzberg, das ist mitten in Deutschland und so sieht Deutschland aus!“ Langer Applaus.
In der Rhetorik ist die Verbindung mit dem Publikum über Komplimente eine klassische Einstiegstechnik. Wie gut Merz diese Einstiegstechnik beherrscht, das kann man am Applaus erleben. Der Saal dankt ihm durch anhaltenden Beifall und…? Richtig, wer das etwa 20 Kilometer von Weimar entfernte Apolda kennt, der weiß, das an den Stammtischen hier Glockenhell getrunken wird. Und so hören wir zum Applaus die Kuhglocken aus dem Saal!
Merz ist hier in Apolda zwar nicht zu Hause und doch wird er so aufgenommen, als wäre er einer von hier. Nur wenige aus der aktuellen Bundespolitik haben sich das bisher zugetraut: Die Begegnung mit der ostdeutschen Provinz! Lange ist es her, dass Lothar Späth und Bernhard Vogel in Thüringen aktiv waren. Die Sehnsucht der Menschen hier im Saal danach, wirklich gefragt, gehört und vertreten zu werden ist groß. Gibt es mit Merz wieder einen Hoffnungsträger, eine Identifikationsfigur, der diese Lücke füllen könnte?
Gute Redner sprechen aus einem klar erkennbaren Wertesystem
Merz rechnet ab mit vielen überzogenen Positionen der Grünen, die mit ihren Ideen zum Klimaschutz den Industriestandort Deutschland gefährden. Applaus. Noch wichtiger aber ist Merz die Gegnerschaft zur AfD, die aus der Vergangenheit nichts gelernt hat und die politisch anders Denkende beschimpft und herabsetzt. Wieder Applaus. Merz weiter:
„Was da in der letzten Woche in Hanau geschehen ist. Wenn Sie die Bilder im Fernsehen sehen, wie da Mütter um ihre Männer oder um ihre Söhne trauern. Das sind Familien, vielleicht mit kurdischem Hintergrund, vielleicht mit türkischem Hintergrund, vielleicht mit syrischem Hintergrund. Die leben zum Teil in zweiter oder dritter Generation hier in Deutschland. Das sind überwiegend deutsche Staatsbürger. Meine Damen und Herren, die Opfer in der letzten Woche sind Landsleute von uns! Das sind keine Fremden. Das sind Menschen, die hier leben.“
Langer Applaus. Und die Kuhglocken sind auch wieder dabei. Merz kommt in Apolda gut an, denn sein Wertesystem wird klar und entspricht dem, was die Menschen im Saal denken und fühlen. Hier im Saal in Apolda entsteht an diesem Politischen Aschermittwoch bei der Thüringer CDU wieder Zuversicht.
Enthusiasmus und die Kunst der freien Rede
Die mehrmalige Wiederholung von Satzteilen zu Beginn nannten die alten Griechen Anapher. Die Wiederholung am Ende Epipher. Das sind nur zwei strukturierende Redefiguren, die sehr gut für die freie Rede als Erinnerungs- und Wirkungsverstärker eingesetzt werden können. Merz spricht frei und nutzt diese Redefiguren noch, um einen weiteren Effekt zu erreichen: zum Spannungsaufbau vor dem entscheidenden Satz „… die Opfer in der letzten Woche sind Landsleute von uns!“ Starke Betonungen, große Wirkungspausen und Enthusiasmus im Ton, der die Musik macht, all das zeichnet Merz als souveränen und engagierten Redner aus.
Doch es gibt auch einen Punkt, der aus rhetorischer Sicht fehlt: die eigene inhaltliche Inspiration und seine eigene Begeisterung für das Neue, für die große Aufgabe, für das Veränderungsprojekt. Bei Merz erschöpft sich das im Appell am Schluss. In den letzten Sätzen geht es um die kommenden Wahlen 2021. Damit die CDU wieder stärkste Kraft werden kann, ruft Merz in den Saal: „…damit müssen Sie alle, meine Damen und Herren mitwirken, damit dieses große Projekt eine Zukunft hat! Herzlichen Dank!“
Fazit: Mehr Mut bitte!
Nach einem starken Beginn geriet die Rede eher zu einem Sachvortrag. Enthusiastisch vorgetragen zwar, aber weitestgehend zu den Menschen gesprochen, statt mit ihnen. Solange Merz, der mit den Glocken von Apolda Stimmung machte, uns nicht mehr von seiner Geschichte, von seiner Vision, von seiner CDU der Zukunft erzählt und aufzeigt, was das dann mit uns zu tun hat, solange wird er es nicht ganz einfach haben auch andernorts Gehör zu finden.