Rhetorikcheck: Markus Söder

Praxis

Es ist Ende April. Deutschland hat sich in Quarantäne begeben. Auch das lebensfrohe und umtriebige Bayernland steht still, ist im Homeoffice seit die Après-Ski-Touristen das Virus aus China über die Alpen trugen. Vier lange Wochen kämpft das Gesundheitssystem um ausreichend Tests, Masken und Beatmungsgeräte. Vier lange Wochen gibt es nun schon Ausgangsbeschränkungen und Kontaktverbote, die verhindern sollen, was die Bilder aus Italien auch für Deutschland befürchten ließen: eine unkontrollierte Ausbreitung mit vielen Toten.

Zeit für eine Bilanz. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zieht sie im Landtag am 20. April. Wie gut schneidet Söder hierbei als Redner ab? Was macht er anders als Merkel, Scholz und Co?

Verständlichkeit: Krisenmanagement braucht eine klare Sprache

Gleich zu Beginn seiner Regierungserklärung ordnet Söder das Pandemiegeschehen für uns ein. Er hat sich alles genau notiert, redet frei mit vielen guten Pausen und Betonungen:

„…meine sehr verehrten Damen und Herren! Corona hält die Welt weiter in Atem. In anderen Ländern herrschen zum Teil chaotische und dramatische Zustände. Krankensysteme sind fundamental überfordert; Ärzte entscheiden über Leben und Tod wie in Kriegszeiten; Volkwirtschaften brechen zusammen und die Arbeitslosigkeit steigt in astronomische Höhen. All das findet in der Welt statt. Zum Glück nicht bei uns … Bayern und Deutschland sind besser durch die Krise gekommen als viele, viele andere Länder der Welt.“

Natürlich ist der Stolz herauszuhören, dass Bayern und Deutschland es besser machen. Dennoch trifft Söder den richtigen Ton nach einer Zeit großer Anstrengung und Entbehrung. Wie gelingt ihm das? Er verwendet in seiner Darstellung viele kurze Sätze und emotional wirkende Adjektive, wie: chaotisch, dramatisch, fundamental und astronomisch. Seine Sprache wird dadurch farbig und lebendig. Das Zuhören wird leicht, weil der Inhalt auch emotional verstanden werden kann. Wir merken uns, anders als viele Wissenschaftler, ordnet ein guter Redner das Weltgeschehen in der Krise für die Zuhörer in einer klaren und verständlichen Sprache ein und erzeugt damit Nähe zum Publikum.

Vom „Ich“ zum „Wir“ – Krisenmanagement braucht Mut zur Offenheit und den Dialog

Nach dem Blick in die Welt erinnert Söder ebenfalls gleich zu Beginn an den Ausgangspunkt vier Wochen zuvor und offenbart, wie es ihm selbst ging, wie er selbst fühlte und dachte. Die frühe Selbstoffenbarung ermöglicht Identifikation. Denn sobald die Zuhörer wissen, wie es dem Redner geht, können sie ihm besser folgen. Der Unterschied zur Rhetorik der Kanzlerin ist hier besonders deutlich. Söders Selbstoffenbarung macht neugierig und motiviert zum Zuhören.

„Ziemlich genau vor einem Monat kamen wir hier zusammen. Ich habe damals eine Regierungserklärung zu Corona abgegeben. Damals war völlig unklar, ob wir das schaffen. Ich selbst war sehr, sehr besorgt und gebe zu: Ich bin es immer noch. In den vergangenen vier Wochen haben wir gemeinsam als Land, als Politiker und auch als Bürger zusammen viel bewegt.“

Es folgen Zahlen, Daten und Fakten, die belegen, was die Gesundheitsämter in Bayern geleistet haben. Tatsächlich sind die Zahlen der Neuinfektionen zurückgegangen und so gibt es Anlass zur Hoffnung für Söder, dass der eingeschlagene Weg richtig war:

„Alles, was wir gemeinschaftlich beschlossen haben, hat funktioniert… Wir haben Bayern vor dem Schlimmsten bewahrt. Ich danke allen, die mitgeholfen haben: dem gesamten Team der Staatsregierung, den Behörden, aber – das sage ich ganz bewusst – auch dem gesamten Landtag – auch der Opposition.“

Der Dank wirkt ehrlich – gerade, weil er sich auch an die Opposition im Bayerischen Landtag richtet. Gute Krisen-Entscheidungen werden also stets gemeinsam getroffen und wenn sie ausreichend begründet und plausibel sind, dadurch von den Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen. Doch bis zu diesem Zeitpunkt ist in Söders Rede das „Wir“ noch auf der Ebene der Politik geblieben. Wie öffnet sich der bayerische Ministerpräsident nun für den Dialog mit den Menschen? 

„Es gab viele gute Ideen… die ich immer versucht habe anzunehmen, aufzunehmen und zu reflektieren, um gemeinschaftlich etwas zu entwickeln.“

Seit das Wort der Kanzlerin von den „Öffnungsdiskussionsorgien“ genau das befeuert, was es zu verhindern suchte, ist uns klar: Gute Krisenkommunikation in Zeiten von Corona braucht gerade die Debatte und den Dialog. Und das mit möglichst Allen. Über Ziel und Richtung, aber auch über Verhältnismäßigkeit und Dauer der Beschränkungen. Markus Söder wusste das bereits vorher. Gute und tragfähige Lösungen findet man am besten gemeinsam: 

„Neben dem Dank an das medizinische Personal, neben dem Dank an den öffentlichen Dienst geht vor allem auch ein Dank an unsere Bürgerinnen und Bürger. Ohne ihre Geduld und ohne Ihr Verständnis wäre die Lage eine ganz andere gewesen. Daher noch einmal Danke, aber auch meine Bitte, jetzt nicht nachzulassen. Geduld hat Leben gerettet. Ungeduld kann Leben wieder riskieren.“

Hier gibt es keinen Befehl, keine alternativlose Entscheidung. Söder versteckt sich auch nicht hinter den Zahlen aus dem Robert-Koch-Institut oder hinter wissenschaftlichen Erkenntnissen von einzelnen Experten, von einzelnen Virologen und Epidemiologen. Nein, der bayerische Ministerpräsident bittet die Bürger, beschreibt sein Corona-Rezept sehr genau und macht Mut:

Legitimation und Konsequenz: Krisenmanagement schafft Mut und Zuversicht

Ich-Botschaften gibt es noch viele in Söders Rede. Auch mutmachende Formeln und Rezepte. Doch fast noch wichtiger für einen glaubwürdigen Ansatz, die Corona-Krise auch kommunikativ zu meistern, sind die vielen, vielen Verben. Denn Verben stehen für Handlungen. Und ein Krisenmanager muss sein Handeln transparent machen können. Die Sichtbarkeit erzeugt Glaubwürdigkeit und Zuversicht, dass wir es gemeinsam schaffen können. Auf die eine oder andere Weise, aber immer legitimiert, weil nachvollziehbar.

„Dabei sage ich ausdrücklich: Die Mahnung zur Vorsicht, die Mahnung zur Umsicht, Maß, Mitte, Besonnenheit walten zu lassen, heißt nicht, dass man dabei blind oder stur sein muss. Man muss sein Konzept jeden Tag überprüfen, überlegen und wägen: Ist der Schritt angemessen, ist er verhältnismäßig, muss er nachjustiert, muss er erweitert oder verändert werden?“

Fazit

Söder schafft, was ihm noch vor einem Jahr kaum jemand zugetraut hätte. Er zeigt sich in der Krise menschlich und übernimmt Verantwortung. Er nennt die Dinge beim Namen und führt den Dialog zur Ideenfindung und Bewältigung einer allumfassend bedrohlichen Corona-Pandemie mit Respekt vor den Leistungen aller Beteiligten. So geht Krisenmanagement und so geht Krisenrhetorik!

Doch aus Söders Art Verantwortung zu übernehmen entsteht auch eine Verpflichtung. Nämlich bei der Öffnung und Lockerung einschneidender Beschränkung von Grund- und Freiheitsrechten ebenso beherzt und zupackend zu agieren. Doch bis dahin hat Söder dem Bayerischen Löwen wieder eine starke Stimme gegeben. Chapeau!