Die Überraschung ist ihm gelungen. Als Erster gibt Norbert Röttgen seine Kandidatur für den CDU-Vorsitz bekannt. Am 18. Februar lädt er zur Pressekonferenz nach Berlin. Welchen Plan verfolgt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags und ehemalige Bundesumweltminister? Wie wird seine Bewerbungsrede ankommen? Kann Norbert Röttgen mit seiner Idee von einer christdemokratischen Zukunft unseres Landes inhaltlich und rhetorisch überzeugen?
Der Analytiker
Mit sechs Punkten will Röttgen die CDU verändern. Die CDU, so hören wir von ihm, ist die Partei der Mitte, ist die Partei der Deutschen Einheit. Doch er fragt sich auch, wie wird die Partei heute wahrgenommen? Was muss sie zum Beispiel vom Absturz der SPD lernen? Welche Fehler sollte sie nicht machen? Röttgen bewirbt sich um den CDU-Vorsitz, weil die CDU für die Gestaltung der Zukunft eine inhaltliche und programmatische Neuausrichtung braucht, die er anregen und gestalten möchte.
Zu Beginn hören und erleben wir Röttgen als Analytiker: Die Arme fahren heraus, die hier im – vom Pressesprecher bis zu den Ministern – sonst gerne schützend verschränkt werden. Er öffnet sich, spricht mit fester, klarer Stimme und nimmt Schwung für eine Bestandsaufnahme der Fehler seiner Partei:
„Wir müssen die Gründe beseitigen, die zur Entstehung des Rechtsextremismus und Rechtspopulismus geführt haben. Was die Bürger erlebt haben in der Krisendekade – von der Weltfinanzkrise, einem massiven Vertrauensbruch, über die Eurokrise, einer Vertrauenskrise in die Währung bis zur Flüchtlingskrise – ist: Überraschung der Politik, Überforderung der Politik und Reagieren und Reparieren.“
Hier ist Röttgen stark, spricht glasklar und schonungslos die Versäumnisse einer Krisenpolitik an und spitzt sie auch rhetorisch zu: „Überraschung und Überforderung“, „Reagieren und Reparieren“. Wir hören hier zweimal eine Alliteration. Die rhetorische Figur der Wiederholung des gleichen Lautes am Wortanfang verdichtet und verstärkt das Gesagte gleichsam zum Slogan. Reagieren und Reparieren, das ist kein Zukunftskonzept. So kann es nicht weiter gehen.
Der Kritiker
Eine solche Politik hat aber Folgen für die Bürger:
„Wenn Menschen alleine gelassen werden und ihnen Sicherheiten fundamental und in praktisch allen Bereichen genommen werden, dann bekommen Bürger Angst! Und die Angst ist das Geschäft der AfD.“
Röttgen benennt Ursache und Wirkung einer Politik, die die gesellschaftliche Debatte für nicht nötig erachtet. Aus dem „alternativlos“ der Kanzlerin wurde die Alternative für Deutschland. Auch die Uneinigkeit in Europa, so Röttgen – ebenfalls auch Ausdruck von Versäumnissen – ist ein weiteres Thema für eine programmatische Neuausrichtung seiner Partei.
Der Denker
Röttgen analysiert die Fehler der Vergangenheit glasklar. Die Versäumnisse der CDU stellt er sachlich zusammen und knüpft daraus sein Konzept für eine CDU der Zukunft.
„Die CDU als Partei der Mitte hat uns die gesellschaftliche Mitte zu stärken, sich den Veränderungen zu stellen, die Bürger zu schützen, offenzubleiben, vernünftig zu bleiben und uns europäisch zu verbünden. Ich möchte, dass die CDU die Option des Schutzes und der Offenheit anführt.“
Das programmatische Formulieren von Idealen gelingt Röttgen aus inhaltlicher und rhetorischer Sicht gut. Ideale, denen sich die CDU wieder zuwenden sollte, will sie Wahlen gewinnen und zukunftsfähig sein. Einziger Wermutstropfen: Wir träumen zu wenig. Röttgen spricht unsere Vernunft an. Das ist gut und wichtig. Dazu kommen sollten Vorstellungen und Träume von der Zukunft.
Reicht Röttgens programmatische Neuausrichtung rhetorisch aus?
Zuhörer wollen sich von einer christdemokratischen Zukunft unseres Landes ein Bild machen und es mitgestalten können. Gute Metaphern fehlen bei Röttgen. Metaphern, die das sachlich Richtige für die Zuhörer zum Erlebnis werden lassen. Und so fehlt auch ein wenig die Zuversicht, dass Röttgen mehr kann, als die CDU sachlich und programmatisch neu auszurichten.
Fazit: Das vernünftige Argumentieren ist Röttgens Stärke. Auch die rhetorische Zuspitzung und leidenschaftlich vorgetragene Inhalte liegen ihm. Was kommt bei der Bekanntgabe seiner Kandidatur zu kurz? Röttgen schafft es rhetorisch nicht ganz als volksverbundener Macher aufzutreten. Das hemdsärmelige Aus-der-Haut-Fahren eines Helmut Kohl oder das gummistiefelbesohlte Anpacken eines Gerhard Schröder, so haben wir ihn nicht erlebt. Zumindest noch nicht!