Das Grünen-Umfragehoch: nachhaltig oder Hype?

Politik

Vom schwachen Abschneiden bei der Landtagswahl in Thüringen (5,2 Prozent) einmal abgesehen, erfreuen sich die Grünen derzeit beeindruckender Wahl- und Umfrageerfolge. Im Deutschlandtrend von Januar für das ARD-Morgenmagazin liegen sie mit 24 Prozent nur zwei Punkte hinter CDU und CSU, die zusammen auf 26 Prozent kommen. Hält dieser Umfrageerfolg an, verspricht die Bundestagswahl im kommenden Jahr sehr spannend zu werden.

Der Höhenflug ist jedoch auch eine Herausforderung für die Grünen: Eine Partei, die auf Bundesebene regelmäßig bei deutlich über 20 Prozent liegt, muss breitere gesellschaftliche Schichten an sich binden als eine Partei mit einstelligen Zustimmungswerten. Die Anforderungen an die Integrationskraft der Grünen, also die Fähigkeit, die Bedürfnisse vieler unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen zu berücksichtigen, ist stark angestiegen.

Geeinte Anhängerschaft?

Aktuell fällt es den Grünen leicht, breite Bevölkerungsschichten anzusprechen und bei Wahlen zu mobilisieren. Die Nachfrage nach ihrer Kernkompetenz ist enorm. Anfang des Jahres nannten 35 Prozent der Deutschen die Themen Klimaschutz und Energiewende als die Aufgaben, die nun vordringlich gelöst werden müssten. Im Sommer 2017, kurz vor der Bundestagswahl, waren es nur 12 Prozent gewesen. Die Nachfrage nach mehr grüner Politik kommt aus allen Bevölkerungsgruppen: So wünscht sich die Generation der 18- bis 34-Jährigen den Themenbereich Klima und Energiewende nahezu genauso häufig ganz oben auf der politischen Agenda wie Befragte über 65 Jahren (38 bzw. 32 Prozent). Dass im Westen der Ruf nach grünen Themen etwas lauter ist als im Osten (37 bzw. 27 Prozent) gibt einen Hinweis darauf, warum sich die Grünen in den neuen Bundesländern deutlich schwerertun.

Grundsätzliche Einigkeit besteht bei den Anhängern der Grünen, dass mehr für den Klimaschutz unternommen werden muss. Wenn es jedoch konkret wird, ist die Anhängerschaft bisweilen gespalten. Zum Beispiel bei der Frage, wer die Verantwortung für einen besseren Klimaschutz trägt: Während die eine Hälfte der Anhängerschaft (53 Prozent) dabei eher die Industrie und nicht einzelne Konsumenten in der Pflicht sieht, lehnt die andere Hälfte (46 Prozent) diese Aussage ab.

Auch hinsichtlich der akzeptierten Mittel des Protests für eine bessere Klimapolitik ist sich die Anhängerschaft der Grünen nicht einig. Eine Mehrheit von 73 Prozent findet es zwar in Ordnung, dass Schüler nicht zur Schule gehen, sondern demonstrieren. Bei der Frage, ob es auch gerechtfertigt sei, Straßen und Verkehr zeitweise zu blockieren, um seinen Standpunkt beim Umwelt- und Klimaschutz zur Geltung zu bringen, sind sie jedoch in zwei Lager gespalten: 48 Prozent halten dies für gerechtfertigt und 49 Prozent nicht.

Ein-Themen-Partei

Noch problematischer könnte es für die Grünen werden, wenn wieder andere Themen die politische Agenda dominieren sollten. Denn in den Augen der meisten Wählerinnen und Wähler in Deutschland sind die Grünen eine Ein-Themen-Partei. Anfang des Jahres fragte der ARD-Deutschlandtrend, welche politischen Aufgaben welcher Partei zugetraut werden. Bündnis90/Die Grünen stechen dabei vor allem mit ihrer Umwelt- und Klimakompetenz hervor: 53 Prozent der Befragten trauen ihnen zu, eine gute Umwelt- und Klimapolitik zu betreiben. Danach kommt lange niemand und schließlich CDU und CSU mit 14 Prozent abgeschlagen auf Platz zwei.

So sehr die Grünen beim Klimathema glänzen, so sehr stehen sie im Schatten anderer Parteien, wenn es um die Bewältigung weiterer wichtiger Aufgaben geht. Zum Beispiel auf dem Feld der Außenpolitik: Angefangen bei den angespannten transatlantischen Beziehungen, über den Aufstieg Chinas bis hin zur Frage über die Zukunft des europäischen Integrationsprozesses stehen Deutschland und Europa vor einer Vielzahl außenpolitischer Herausforderungen. Doch von den Grünen erwartet hierbei kaum jemand gute Lösungsansätze: Gerade einmal vier Prozent der Deutschen trauen am ehesten den Grünen zu, eine gute Außenpolitik zu betreiben. CDU/CSU fahren hier mit 41 Prozent am meisten Zustimmung ein, gefolgt von der SPD mit 18 Prozent und der FDP mit 7 Prozent. Selbst unter den eigenen Anhängern nennen nur 16 Prozent die Grünen. 38 Prozent der Grünen-Anhänger sehen die außenpolitische Kompetenz bei der Union, 28 Prozent bei der SPD.

Ähnlich düster sieht bei sozialen Themen aus: Für bezahlbaren Wohnraum zu sorgen, trauen nur neun Prozent in erster Linie den Grünen zu. Für angemessene Löhne zu sorgen, nur sechs Prozent. Und nur vier Prozent der Befragten vertrauen den Grünen in Sachen finanzielle Absicherung im Alter. Damit befinden sie sich bei der Aufgabe Altersversorgung auf einem Zustimmungsniveau mit FDP und AfD (5 bzw. 4 Prozent).

Habeck-Hype?

Als ein Grund für die guten Wahl- und Umfrageergebnisse der Grünen wird oftmals auch das neue Spitzenduo aus Robert Habeck und Annalena Baerbock angeführt. Vor allem Habeck scheint bisweilen geradezu ein Star der veröffentlichten Meinung zu sein. Aus demoskopischer Sicht betrachtet, lässt sich dies kaum bestätigen. Habeck kommt im ARD-Deutschlandtrend auf einen Zustimmungswert von 37 Prozent. Damit ist er bei den Deutschen ungefähr genauso beliebt wie Christian Lindner (36 Prozent) und weniger beliebt als Horst Seehofer (44 Prozent). Allerdings ist er weniger bekannt als Lindner und Seehofer: 64 Prozent der Deutschen kennen Habeck. Lindner kennen hingegen 81 Prozent der Befragten und Seehofer nahezu alle. Baerbock kennt gut jeder zweite Befragte.

Das Auseinanderdriften von veröffentlichter und öffentlicher Meinung im Falle Habecks ruft Erinnerungen an den sogenannten „Schulz-Hype“ wach. Als sich dieser im Februar 2017 seinem Höhepunkt näherte, gab immer noch rund jeder vierte Befragte an, den SPD-Kanzlerkandidaten Martin Schulz überhaupt nicht zu kennen.  

Ausgang ungewiss

So lange die Nachfrage nach einem starken Engagement beim Klimaschutz anhält, wird der grüne Höhenflug weitergehen. Dann können die Grünen ihre Kernkompetenz weiterhin voll zur Geltung bringen. Konkurrenz brauchen sie auf diesem Feld nicht zu fürchten. Allerdings zeichnen sich bei einigen konkreten Ansichten zu diesem Thema auch Risse in der eigenen Anhängerschaft ab. Richtig ernst wird es für die Grünen jedoch erst, wenn wieder andere Themen die politische Agenda in Deutschland dominieren. Dann wird sich zeigen, ob sie auch abseits ihres Kernthemas langfristig breite gesellschaftliche Schichten an sich binden können. Noch haben sie Zeit, ihr Profil in den vielen Politikbereichen zu schärfen, in denen ihnen die Bürger bisher keine oder kaum Kompetenz zusprechen.

 

Die im Beitrag genannten Befragungsergebnisse stammen aus dem ARD-Deutschlandtrend von infratest dimap.