Das ist ja gerade noch mal gut gegangen. Endlich ist die Coronapandemie vorbei. Die Regierung hat es so beschlossen. Nach eineinhalb Jahren laufen am 20. März die Coronamaßnahmen aus. Die Bundesregierung plant, den Sieg über das Coronavirus mit einer großen Parade in Berlin zu feiern. Das Brandenburger Tor wird dabei in die Farben Schwarz-Rot-Gold getaucht. Es wird erwartet, dass Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) eine feurige Rede hält, die diesen Schritt als falsch brandmarkt und dann verkündet, dass wir aus dem Gröbsten heraus sind, weil die Omikron-Variante harmlos ist, aber sehr schlecht für alle, die sich damit infizieren.
Für unseren Alltag bedeutet das nicht nur eine Rückkehr zur Normalität. Es gibt jetzt ein „New Normal“, das dem Virus klarmacht: Du machst uns keine Angst mehr. Ein Gefühl von Aufbruch weht durch Deutschland, endlich geben wir uns einen Ruck. Wir müssen uns etwa nicht mehr die Hände waschen. Die Ampelkoalition plant, in allen öffentlichen Toiletten die Seifenspender entfernen zu lassen. Wer will, muss es bei Treffen jetzt nicht mehr bei einem schnöden Händedruck belassen. Wir können uns jetzt auch knuddeln und vielleicht ein bisschen knutschen – auch beim Geschäftstermin.
Überall entfällt jetzt die Maskenpflicht. Weil einige außerdem schon länger die Strafbarkeit des Schwarzfahrens abschaffen wollen, haben sich die Ampelkoalitionäre darauf geeinigt, dass künftig ein Lächeln als Fahrpreis in Bussen und Bahnen genügen soll. Schließlich hat man gute Erfahrungen damit gesammelt, das Pflegepersonal in der Pandemie mit warmem Applaus zu entlohnen. In Berlin darf es ersatzweise auch eine unverschämte Beleidigung sein, wenn der Berliner gerade kein Lächeln zustande bringt. Haltestangen und Türknöpfe dürfen ab jetzt abgeleckt werden. Wer es schafft, darf sich mit dem Mund sogar festhalten. Corona kriegt uns nicht klein!
Die Abstandsregeln werden abgeschafft. Die Distanz zwischen den Menschen ist zuletzt unerträglich geworden. Nachdem 2016 die Kölner Armlänge als Maßeinheit eingeführt wurde, trieb die Abständlerei während der Pandemie bunte Blüten. Zuletzt durften wir uns nicht einmal zuwinken, weil die Luftströme die Aerosole herübergetrieben hätten. Damit ist es jetzt vorbei. Ab jetzt gilt die sogenannte „Flüsterdistanz“. Um das Vertrauen in der Bevölkerung zu befördern, sollen Gespräche ab sofort nur noch in einem Abstand geführt werden, der es erlaubt, sich flüsternd zu verstehen. Wo das nicht möglich ist, soll die Kommunikation möglichst schreiend oder singend erfolgen, das ist jetzt auch wieder erlaubt.
Viele haben sich schon länger beklagt, dass das Beherbergungsverbot gefallen ist. Sie müssen jetzt ganz tapfer sein. Denn künftig darf man bei fremden Wohnungen einfach klingeln und Einlass begehren. Man darf dann einfordern, vom Tellerchen der Gastgeber zu essen und in ihren Bettchen zu schlafen. Die neue Regelung gilt ab 22 Uhr, diese Uhrzeit hat sich bereits für die bayerischen Ausgehbeschränkungen bewährt.
Die Personenbegrenzung wird dafür ebenfalls aufgehoben. Wer mag, darf sich also gerne einige Freunde mitnehmen. Weil bei Coronamaßnahmen in Deutschland immer vor allem Wert darauf gelegt wurde, sie einleuchtend und nachvollziehbar zu gestalten, gilt auch bei den neuen Personenwerten Transparenz: Die minimal empfohlene Anzahl der Gäste ergibt sich jetzt, indem man das Alter der Gäste addiert, durch ihre Anzahl dividiert und die Quadratmeteranzahl der Wohnung subtrahiert, wenn sie ungerade ist.
Im Restaurant bestellt man jetzt nicht mehr das, was die Gäste vom Nachbartisch haben. Man darf jetzt auch rübergehen und ein Häppchen probieren und auch den Wein einmal kosten. Niemand muss mehr die Katze im Sack kaufen. Wer noch kein Besteck zur Hand hat, darf entweder die Gabel des Nachbartischs ausleihen oder mit dem Finger kosten.
Einige Maßnahmen werden wohl noch bleiben, heißt es. Angeblich soll dafür eine Info-Broschüre erstellt werden, die 30 Seiten schlank ist und im Oktober fertiggestellt sein soll. Um welche Maßnahmen es dabei geht, ist aber nicht bekannt. Da hat schon keiner mehr so richtig zugehört.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 138 – Thema: Rising Stars. Das Heft können Sie hier bestellen.