Verpasste Chancen

In Peking sind sie alle. Nicht nur Politiker, Wirtschaftsbosse und westliche Kulturgrößen geben sich die Klinke in die Hand. Auch die Größen der deutschen Aufklärung sind versammelt: Leibniz und Lessing, Kant und Humboldt. Im Rahmen der Ausstellung „Die Kunst der Aufklärung“ finden sie sich mit bedeutenden europäischen Künstlern aus dem 18. Jahrhundert auf dem Tiennamen–Platz wieder, direkt gegenüber des Mao-Mausoleums. Im neugebauten National Museum of China teilen sie sich den Platz mit Ausstellungen zum Roten China und einer eklektischen Schau zu 157 Jahren Louis-Vuitton-Reisegepäck. Neben diesem revolutionärem Pomp und kommerziellem Glamour wirken sie recht deplaziert, die 580 Werke der „Kunst der Aufklärung“, die den Geist westlicher Werte in China wehen lassen sollen.
Die Ausstellung war als Prestigeprojekt geplant, als vorläufiger Höhepunkt des deutsch-chinesischen Kulturaustauschs. Gleichzeitig sollte es an die 2010 zu Ende gegangene Veranstaltungsreihe „Deutschland und China – gemeinsam in Bewegung“ anknüpfen. Die Werkschau  sollte zeigen: Die Werte der Aufklärung sind noch immer modern.

Zweifelhafte PR

Über 10 Millionen Euro haben die Deutschen sich das kosten lassen, den größten Teil davon übernahm das Auswärtige Amt. Zur Eröffnung im April war Außenminister Guido Westerwelle eigens angereist. Er wollte zeigen, was die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik unter seiner Ägide zustande bringt – auch wenn die Planung der Ausstellung lange vor seinem Amtsantritt begonnen hatte. Doch das Projekt macht Probleme: Eine Berichterstattung in China fand bislang kaum statt. Mit einer – recht zweifelhaften – Ausnahme: Kurz nach der Eröffnung setzten die chinesischen Behörden medienwirksam den Künstler Ai Wei Wei fest.
Die Ausstellung in Peking ist nicht das einzige Problem der deutschen Kulturvermittlung und Außendarstellung, das Guido Westerwelle beschäftigen sollte. Politische Entscheidungen wie das Veto gegen die Libyen-Resolution im UN-Sicherheitsrat, die Atomausstiegsdebatte im direkten Anschluss an den Tsunami in Japan und der Schlingerkurs bei der Griechenlandhilfe muss die deutsche Regierung dringend im Ausland erklären.
Genau das macht sie jedoch nicht. Das Auswärtige Amt versucht Deutschlands Ruf, seit der Fußball-Weltmeisterschaft von 2006 bei weltweiten Umfragen ganz oben, nur noch eingeschränkt zu lenken. Die Abteilung Kultur und Kommunikation, unter dem ehemaligen Außenminister Joschka Fischer gegründet und unter seinen Nachfolger Frank-Walter Steinmeier ausgebaut, dünnte Guido Westerwelle seit seiner Amtsübernahme systematisch aus. Das Budget reicht heute nicht mehr aus, um wichtige Projekte fortzuführen.
Dabei ist es wichtiger denn je, das eigene Bild im Ausland zu lenken. Denn Außenkommunikation beeinflusst erheblich, welchen Ruf ein Land in der Welt hat. Sie liefert die Bilder und setzt die Agenda der Themen, über die Medien und Zielgruppen weltweit diskutieren. Ob Fußball-WM oder Olympische Spiele: Mit solchen Veranstaltungen und Medienkampagnen wollen Regierungen die Einstellungen von Zielgruppen verändern. Die Außenkommunikation ist zu einem bedeutenden Machtinstrument in der heutigen Mediengesellschaft geworden. Sie schafft das, was der US-Politologe Joseph Nye „Soft Power“ nennt: Die Anziehungskraft eines Staates, die dafür sorgt, dass kluge Köpfe den Weg dorthin finden, und dass bei Zivilgesellschaften und Regierungen ein Vertrauensvorschuss entsteht. So wächst heute der Einfluss eines Staates in den internationalen Beziehungen.
Regierungen auf der ganzen Welt setzen deshalb bewusst Instrumente der PR und des Marketing ein, um ihre Botschaften medial zu vermitteln. Dieser Prozess ist nicht neu, aber er ist heute deutlich professionalisiert. Ging es früher darum, Köpfe und Herzen einiger Meinungsbildner mit Programmen wie Studierendenaustausch, Bildungsreisen und Kulturprogrammen zu erreichen, wird heute eine große internationale Öffentlichkeit angesprochen. Mit ausgeklügelten Kommunikationsstrategien wollen die Regierungen relevante Zielgruppen in ausgewählten Regionen mit nachhaltiger Kommunikation ansprechen. PR-Experten sprechen von „Public Diplomacy“, übersetzt heißt das: strategische Außenkommunikation von Staaten.
Auch in Deutschland hatte sich die Außenkommunikation professionalisiert. Medienkanzler Gerhard Schröder und sein Außenminister Joschka Fischer hatten Kommunikation als integralen Bestandteil von Politik und Außenpolitik angesehen. Stets war es Teil des Regierungskalküls, die Reformen nach innen und die deutsche Verantwortung in der Welt nach den Anschlägen vom 11. September 2001 nach außen medial zu vermitteln. Entsprechend hat der Einfluss der Außenkommunikation zugenommen. In den Leitlinien der rot-grünen Bundesregierung über eine wirksame Außenrepräsentanz hieß es, die „mediale Konkurrenzsituation“ fordere eine „umfassende und aktuelle mediale Repräsentanz des eigenen Landes“. Deutschland habe ein „existenzielles Interesse an einer umfassenden und fundierten medialen Außendarstellung“. Für einige Diplomaten kam diese Neudefinition einem Paradigmenwechsel gleich. Die Außenkommunikation geriet von einem Randthema in den Fokus der Außenpolitik.
Mehrere Großprojekte brachte das Auswärtige Amt zwischen 2003, dem Jahr, in dem die Abteilung für Auslandspressearbeit aus dem Bundespresseamt ins Außenministerium eingegliedert wurde, und 2009 auf den Weg: Allen voran die Ini-
tiative „Deutschland – Land der Ideen“ zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006, die Deutschlandjahre in Japan, Polen und anderen Ländern, das Projekt „Deutschland und China – gemeinsam in Bewegung“. Um nur die größten zu nennen.

Das Grundrauschen fehlt

Doch dann übernahm Guido Westerwelle das Auswärtige Amt. Auf einmal wehte ein anderer Wind im Ministerium, ein Wind aus vergangenen Zeiten. Als Bonn deutscher Regierungssitz war und Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher das Land regierten. Es sind die außenpolitischen Vorstellungen dieser Zeit, denen Westerwelle sich verbunden fühlt.
Kohl und Genscher: Die beiden Politiker standen den Medien stets kritisch gegenüber – bei Westerwelle ist es genauso. Ihm geht es in der Außenkommunikation nicht mehr darum, Deutschlands Bild im Ausland zu befördern. Stattdessen setzt er auf Althergebrachtes: Austauschprogramme, Sprachförderung und Bildungsprogramme. Ein ganzheitliches Bild des Landes, das Politik, Wirtschaft und Gesellschaft umfasst, kann so nicht entstehen. Was aber noch schlimmer ist: Es wird mittelfristig dazu führen, dass sich der Ruf Deutschlands im Ausland verschlechtert. Das Grundrauschen der Kommunikation, die vielen kleinen Erklärungen fehlen. Gerade sie böten die Möglichkeit, Agenda Setting zu betreiben. So wird durch Nichtkommunikation Wohlwollen verspielt.
Auch die Planer der Ausstellung „Kunst der Aufklärung“ stehen wegen mangelnder Kommunikation in der Kritik. Bislang haben nur einige Hundert Interessierte den Weg in die Ausstellung gefunden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Kampf ums Internet – Die Lobby der Netzbürger formiert sich. Das Heft können Sie hier bestellen.