Im Mikrokosmos der Kampagne

Are you in?“ – Bist Du dabei? Pünktlich zum offiziellen Beginn der Präsidentschaftskampagne von Barack Obama erhalten seine Unterstützer in diesen Wochen eine E-Mail-Botschaft. Über 15 Millionen Mal verschickte das Team des Demokraten diese Mail.
Durch Mails, Onlineformulare und Social-Media-Sharing wächst die Liste der Unterstützer des Demokraten auf über 15 Millionen. 7,4 Millionen folgen Obama inzwischen auf Twitter. Er hat mitt­lerweile knapp 20 Millionen Facebook-Freunde, doppelt so viele wie beim Amtsantritt 2009. Diese Kontakte werden auch im Wahlkampf 2012 gezielt zum Einsatz kommen, um Botschaften direkt an Unterstützer zu kommunizieren, Spenden zu sammeln und erneut eine Armee von Freiwilligen zu mobilisieren.
Zeitgleich mobilisieren auch die Republikaner ihre Anhänger – allerdings eher mit „Negative Campaigning“ wie auf der Kampagnenseite www.hopeisnthiring.com. Hier stechen neben einem Youtube-Wahlkampfspot, der Obama attackiert, zwei Dinge ins Auge: der Aufruf, seine Kontaktdaten einzugeben, wenn man eine Petition unterschreibt sowie die Bitte, Spenden für den Wahlkampf der Republikaner zu geben.
„Microsites“ wie diese werden oft innerhalb weniger Stunden von Kampa­g­nen­strategen zu aktuellen politischen Themen erstellt – zum Beispiel über die Debatte zur Haushalts- beziehungsweise Staatsverschuldung, aber auch zur Stellung der Gewerkschaften im US-Bundesstaat Wisconsin. Die Themen werden zugespitzt, mit einem kontroversen Spin versehen und im Internet mit Mitmach-Elementen wie Petitionen und Spendenaufrufen verknüpft.
Strategisch ist diese Vorgehens­weise effektiv: Die amerikanischen Parteien ­nutzen sie, um ihren Unterstützern niedrigschwellige Möglichkeiten zum Mitmachen anzubieten und sie an die Kampagne zu binden. Gleichzeitig gewinnen sie durch die Verbreitung der Kampagnenseiten zahlreiche neue Mitstreiter und deren Daten.
Wirklich effektiv wird diese Art der Kommunikation dann, wenn es der Partei gelingt, die neugewonnenen Online-Unterstützer langfristig an sich zu binden und sie letztlich auch für Offline-Wahlkampf-Veranstaltungen wie „Canvassing“ und zum Spenden zu mobilisieren.
Doch genau hier liegt auch weiterhin einer der größten Unterschiede zwischen Online-Kampagnen in den USA und in Deutschland. Die Amerikaner verstehen diese als strategisches Element, um Kontakt zu potenziellen Unterstützern aufzunehmen und sie zu Mitarbeitern im Kampf gegen den politischen Gegner zu machen. Für die Deutschen dagegen ist es nur eine weitere Form, um politische Botschaften zu verbreiten – nicht jedoch, um Kontakt zu potenziellen Unterstützern herzustellen.
Zwar erstellen auch hierzulande Parteien immer öfter Kampagnen-Seiten, eine übergreifende Strategie mit Blick auf das „Capacity-Building“ bleibt dabei aber fast immer unberücksichtigt.
So verbreitet beispielsweise die CDU ihre Wahlkampfbotschaften auch online, etwa auf der Internetseite www.die-dagegen-partei.de. Dort ist auf einer Deutschlandkarte dargestellt, an welchen Orten die Grünen angeblich überall „dagegen sind“. Passend dazu spiegelt das „Dagegometer“ wider, wie viele Beispiele für die Blockade-Haltung der Grünen schon auf der Deutschlandkarte verzeichnet sind.
Offensichtlich ist jedoch auch, dass sich diese Seite lediglich als Informations- oder Sende-„Hub“ versteht. Zum Mitmachen lädt sie nicht ein. „Schreiben Sie uns“ ist die einzige direkte Aufforderung an den Besucher der Seite, sich aktiv an der Auseinandersetzung mit den Grünen zu beteiligen. Von „wir“ ist keine Rede. Mehr Möglichkeiten zum Mitmachen gibt es nicht, und vor allem ist die entscheidende Folgekommunikation fast unmöglich.
Klug angelegte Kampagnen werden in Zukunft deutlich weniger Ressourcen für konventionelle One-Way-Werbung wie zum Beispiel Plakate ausgeben. Stattdessen wird das Internet eine zunehmend wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, unentschlossene Wähler zu überzeugen. Es gilt vor allem, die eigenen Unterstützer durch Online-Tools zu aktivieren, sie zu organisieren und zu mobilisieren. An dieser Stelle haben die deutschen Parteien noch großen Nachholbedarf.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Obama schlagen – Geht das? Die US-Kampagnentrends. Das Heft können Sie hier bestellen.