Afghanistan oder Sylt

Wenn sich in diesen Tagen der neue Deutsche Bundestag konstituiert, steht auch die Neubesetzung der Bundestagsausschüsse an. Für die Parlamentarier ist das eine wichtige Phase: Denn hier entscheidet sich, wer später an welchen Gesetzen mitarbeitet und wer zu welchen Themen im Plenum reden darf.
Der nun aus dem Bundestag ausgeschiedende Eduard Lintner war in der vorigen Legislaturperiode Mitglied des Auswärtigen Ausschusses, einem der angesehensten Gremien im Parlament. Er befasste sich dort mit Themen wie dem Afghanistan-Einsatz oder dem Iran-Kon­flikt. „Ich bin damals auf eigenen Wunsch vom Verkehrs- in den Auswärtigen Ausschuss gewechselt. Ich war an den dort behandelten Themen sehr interessiert und gleichzeitig Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, das hat gut zusammengepasst“, sagt der CSU-Politiker. In seiner langen Karriere war Lintner unter anderem Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Drogenbeauftragter der Bundesregierung. Unter seinen Parlamentskollegen besitzt er eine hohe Reputation, das machte es für ihn leichter, Mitglied seines Wunschausschusses zu werden. Andere haben es dagegen schwerer.

Die Zeit der Teppichhändler

Zu Beginn einer neuen Wahlperiode melden die Abgeordneten bei den Fraktionen an, in welchen Ausschüssen sie mitarbeiten möchten. Am begehrtesten sind der Haushalts-, Rechts- und Innenausschuss sowie der Auswärtige Ausschuss. Hier werden die wichtigsten Entscheidungen getroffen. Welcher Parlamentarier wo mitarbeiten darf, das entscheidet jedoch die Runde der Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktionen, in der CDU/CSU „Teppichhändlergremium“ genannt.
Neben der fachlichen Qualifikation spielt besonders die Zugehörigkeit zu den Landesgruppen eine Rolle. Unter ihnen werden die Ausschusssitze proportional aufgeteilt. Bei der Union entscheiden deshalb auch die Landesgruppenvorsitzenden mit. Haben zwei Kandidaten die gleichen Voraussetzungen, kommt das so genannte Anciennitätsprinzip zur Anwendung: Wer länger im Bundestag sitzt, hat im Zweifelsfall den Vortritt.
Die Bedeutung der Ausschüsse wird allerdings gemeinhin überschätzt, sagt der Parlamentarismusforscher Helmar Schöne. „Wichtiger für die fachpolitische Arbeit sind die Arbeitsgruppen der Fraktionen.“ Für jeden Bundestagsausschuss gibt es in den Fraktionen in der Regel eine Arbeitsgruppe, deren Mitglieder identisch mit denen des Ausschusses sind. Hier werden die inhaltlichen Positionen der Fraktion vorbereitet. „Die Arbeitsgruppenvorsitzenden sind deshalb auch für die politische Entscheidungsfindung wichtiger als die Ausschussvorsitzenden“, so Schöne, „letztere haben vor allem eine moderierende Funktion.“ Zudem sind die Vorsitzenden der Arbeitsgruppen meist die Fachsprecher der Fraktion. Sie bekommen im Plenum normalerweise das Erstrederecht, wenn ihre Themen auf der Tagesordnung stehen.
Hilfreich für die politische Karriere sind die stellvertretenden Mitgliedschaften. Die stellvertetenden Ausschussmitglieder haben zwar kein Stimmrecht, doch erhalten sie dieselben Unterlagen wie Vollmitglieder und arbeiten in den Arbeitsgruppen mit. Wer sich dort profiliert, der hat in der nächsten Wahlperiode eine gute Chance, Vollmitglied zu werden oder irgendwann die Gruppe zu leiten. Dies kann ein erster Schritt sein, um in ein prominentes Gremium zu gelangen. Denn wer im Tourismusausschuss sitzt, der mag zwar viel über die deutsche Nordseeküste reden, tut dies im Plenum aber vermutlich oft zu später Stunde und vor leeren Rängen. Das heikle Thema Afghanistan zieht eben mehr als Sylt.  

Unbeliebte Petitionen

Aber nicht jeder neue Abgeordnete hat das Glück, in seiner ersten Wahlperiode gleich Mitglied des Auswärtigen Ausschusses zu werden, wie einst der bisherige Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg. Unbeliebt ist bei vielen Neulingen vor allem der Petitionsausschuss, weil ihm im Gegensatz zu vielen anderen Ausschüssen kein Ministerium gegenübersteht. „Häufig stellen die neuen Abgeordneten dann aber fest, dass das ein besonders interessanter Ausschuss ist, weil dort die Mängel der Gesetzgebung zuerst entdeckt werden“, sagt Lintner. Auch das persönliche Interesse der Parlamentarier spielt eine große Rolle. Wer Abgeordneter aus Nordfriesland ist, der interessiert sich vermutlich sehr wohl für den Tourismusausschuss und nutzt seine Mitgliedschaft, um seinen Wahlkreis zu unterstützen.
Wer Karriere machen will, der muss in den kommenden vier Jahren auf sich aufmerksam machen und Kompromisse eingehen. „In einer Fraktion kollidieren viele Interessen, da muss man vor allem flexibel sein“, sagt Eduard Lintner und lehnt sich in seinen Schreibtischsessel zurück. Nach 33 Jahren geht er in den Ruhestand und kann nun endlich machen, was er will.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Politiker – wie sie leben und arbeiten. Das Heft können Sie hier bestellen.