Wie Pressestellen auf journalistische Anfragen reagieren

Krisenkommunikation

Angesichts des Klimawandels haben die DAX-Konzerne umfangreiche, auf Jahrzehnte angelegte CO2-Reduktionsprogramme gestartet, in der öffentlichen Wahrnehmung und Berichterstattung dominieren hingegen tagesaktuelle Krisen, Probleme und Verfehlungen. Russlands Überfall auf die Ukraine, eine galoppierende Inflation und explodierende Energiepreise lassen wenig Zeit für ausgezirkelte Antworten – und bieten viele Gelegenheiten für mediale Fehltritte.

Weil überall Krisen lauern, werden Unternehmen zu Getriebenen. Die DAX-Konzerne haben auf diese veränderten Rahmenbedingungen längst durch die Professionalisierung ihrer Kommunikations- und Policy-Strukturen reagiert. Anders sieht es häufig noch bei Mittelständlern und Start-ups aus. Hier herrscht bei vielen noch ein erstaunlich sorgloser Umgang mit Krisen. Schnell leitet eine kritische Berichterstattung über ein singulär scheinendes Thema eine Kaskade von Folgeartikeln ein, in denen eine Organisation geradezu pulverisiert wird. Zwei Beispiele:

Die Documenta 15

Antisemitismus auf der großen Leistungsschau zeitgenössischer Kunst – kaum ein Vorwurf könnte schwerer wiegen. Doch anstatt die Kritik ernst zu nehmen, versuchte das Documenta-Management, sich um die Vorwürfe herumzumogeln, sie auszusitzen und kleinzureden.
Nur ein unvollständiger Auszug aus der schier endlosen Fehlerliste des Managements bei Krisenbewältigung und -kommunikation:

  •  Zunächst das kategorische Zurückweisen der Kritik
  • Die kurzfristige Absage einer Diskussionsveranstaltung zu den antisemitischen Darstellungen
  • Das Anheuern und anschließende Ignorieren eines externen Beraters, was dieser mit der Aufgabe seiner Beratertätigkeit quittierte

Am Ende musste die Documenta-Chefin Sabine Schormann ihren Hut nehmen. Die Kunstschau wurde mit Ach und Krach zu Ende geführt. Das Image der Institution ist nachhaltig beschädigt. Hätte man den Schaden durch kluge Krisenkommunikation minimieren können? Aber sicher. Wenn denn einige Grundregeln der Krisenbewältigung und -kommunikation berücksichtigt worden wären: Vorwürfe ernst nehmen, prüfen, externe Expertise einholen, Gesprächsbereitschaft und Selbstkritik signalisieren und Konsequenzen ziehen. Dass all das nicht passierte, zeigt, wie reformbedürftig die Documenta ist, wie überfrachtet die Organisationsstruktur mit unterschiedlichen Gremien und unklaren Verantwortlichkeiten geworden ist.

Der RBB-Skandal

Bereicherung, Bestechung und Geldverschwendung beim steuerfinanzierten Rundfunk Berlin Brandenburg? Die Merkwürdigkeiten und Ungereimtheiten, die das Wirtschaftsmagazin „Business Insider“ in einer langen Artikelserie zum RBB aufdeckte, haben in den zurückliegenden Monaten deutlich die Reformbedürftigkeit der Zweiländeranstalt aufgezeigt und ein kritisches Licht auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk geworfen. Und mit misslungener Krisenkommunikation hat die (mittlerweile ehemalige) Intendantin Patricia Schlesinger den Karren erst so richtig in den Dreck gefahren. Auch hier ein unvollständiger Auszug aus einer langen, langen Fehlerliste:

  • Anstatt journalistische Anfragen zu beantworten, wurde ein Medienanwalt beauftragt, die Vorwürfe kleinzukochen
  • Die kritische Berichterstattung wurde als Kampagne eines privaten Medienhauses geframt
  • Laut einem Bericht des „Tagesspiegel“ kündigte die damalige Intendantin auf einer internen Belegschaftsversammlung rechtliche Schritte gegen die berichtenden Medien an
  • Laut Aussagen von Mitarbeitenden habe die Ex-Intendantin auf einer internen Veranstaltung von der Suche nach dem internen Maulwurf berichtet
  • Fragwürdige Abmahnschreiben an Journalisten wurden versendet
  • Das Interview der Ex-Intendantin in der „Zeit“ mit einer katastrophalen Bildsprache

Am Ende mussten auch hier die Intendantin und der Aufsichtsratsvorsitzende ihre Hüte nehmen. Die Verwaltungsratsvorsitzende trat zurück. Was bleibt, ist ein nachhaltig beschädigtes Medienhaus, verunsicherte Mitarbeiter, die das Missmanagement der vergangenen Jahre ausbaden müssen. Auch hier die Frage: Hätte man den Schaden durch kluge Krisenkommunikation minimieren können? Na ja. Selbst bei der Beachtung des kleinen Einmaleins der Krisenkommunikation sind die Vorwürfe so massiv, dass sie nun von Gerichten auf ihre Stichhaltigkeit hin überprüft werden müssen. Dabei liegt der Fokus nicht auf dem juristisch unbedeutenden, aber medialen Aufregerthema „Massagesitze im Luxusdienstwagen“, sondern auf der Frage, ob es zu strafbewehrten Verabredungen in der RBB-Führungsetage gekommen ist oder nicht.
Wie können Kommunikationsverantwortliche in Institutionen ihre Häuser ganz konkret besser auf die nächste Krise vorbereiten? Dazu eine Antwort in fünf Thesen:

Krisenkommunikation schützt zuerst die Organisation, dann die Einzelperson

In beiden beschriebenen Fällen wurde der Schaden für die Organisation durch Fehlverhalten von Einzelpersonen ausgelöst und durch einen Mangel an ehrlicher Krisenkommunikation verschlimmert. In der Folge hat sich die öffentliche Erregung zunehmend von der Einzelperson auf die gesamte Organisation übertragen. Um das zu verhindern, gilt es die Stichhaltigkeit der Vorwürfe früh und ehrlich zu evaluieren und entsprechende Szenarien zu entwickeln.

Nur wer den Überblick hat, kann eine Strategie entwickeln
Häufig überschlagen sich in Krisensituationen die Ereignisse. Zahlreiche Journalisten greifen ein Thema auf, ein Shitstorm in den sozialen Medien baut sich auf. In dieser Situation ist es für Krisenmanager entscheidend, einen umfassenden Überblick zu haben und echte Neuigkeiten von bloßen Meinungen und Unmutsäußerungen unterscheiden zu können. Ein datengetriebenes 360°-Medienmonitoring ist in dieser Situation unerlässlich und sichert die Handlungsfähigkeit von Krisenstab und Kommunikationsverantwortlichen.

Worten müssen Taten folgen

Wenn das Krisenmanagement von den wesentlichen Stakeholdern in Öffentlichkeit, auf Gesellschafterseite und in den Medien als unzureichend empfunden wird, haben Kommunikationsverantwortliche keine Chance, Reputationsschäden von ihren Häusern abzuwenden. Der renommierte Krisenmanager Frank Roselieb drückt es so aus: „Krisen-PR ist bestenfalls die kleine Schwester des operativen Krisenmanagements. Wenn die baldige Pro­blemlösung in Pressekonferenzen immer wieder versprochen, aber nicht geliefert wird, büßt die Krisenkommunikation schnell ihre Glaubwürdigkeit ein.“ Es gilt aber auch umgekehrt: Es gibt kein gutes Krisenmanagement ohne gute Krisenkommunikation. Der Kommunikationsverantwortliche muss im Krisenprozess gestalten wollen.

Tempo ist Trumpf

Häufig finden sich in der Presseberichterstattung über Krisenfälle Hinweise, Auskünfte seien zu spät oder gar nicht erteilt worden. Manchmal lassen sich die Betroffenen auch zu Bedrohungen oder einer grundsätzlichen Medienschelte hinreißen. Dabei sind in der Krise Geschwindigkeit, Besonnenheit und Erreichbarkeit Werte an sich. Es kommt darauf an, nach außen den Prozess zu erklären, nämlich dass die Aufklärung läuft und bis zu einem gewissen Zeitpunkt mit einem Zwischenbericht des Krisenstabs zu rechnen ist.

Dabei bleibt Kommunikationsverantwortlichen in Krisensituationen auch gar nichts anderes übrig, als zu sagen, dass das Thema gerade erst geklärt wird. Aber das müssen sie dann auch tun, um nicht den Eindruck zu erwecken, eine Verschleierungstaktik anzuwenden. Ein klassisches Statement für den Fall, dass der Sachverhalt bis Redaktionsschluss nicht aufgeklärt werden kann, lautet etwa: „Es hat nach aktuellem Erkenntnisstand einen Vorfall zum Thema XY gegeben. Wir recherchieren die Umstände und halten Sie weiter auf dem Laufenden.“ Eine solch offene Kommunikation ist im Krisenfall allemal besser, als die Anfrage zu ignorieren. Entscheidend bei der Beantwortung solcher Fragen ist zudem, darauf hinzuweisen, dass es sich um einen Prozess handelt. Das sagt implizit auch: Bitte geben Sie uns etwas Zeit.

Krisen müssen vorbereitet sein

Der Umgang mit Krisen muss in jeder Institution zur DNS gehören, so unwahrscheinlich es auch erscheinen mag, dass sie wirklich auftreten. Dennoch gilt: Nur wer sich dauernd mit kritischen Situationen beschäftigt, behält im entscheidenden Moment einen kühlen Kopf. Gute Vorbereitung ist in einem zweiten Sinne für die Arbeit in der Krise von entscheidender Bedeutung: In der Krise profitieren Unternehmen von der Stabilität der Beziehungen, die sie in guten Zeiten mit Medien, Behörden, der Belegschaft, Gesellschaftern – kurz: mit all ihren Stakeholdern aufgebaut haben. Haben Unternehmen einen Vertrauensvorschuss erworben, wird man ihren Argumenten Gehör schenken – vorausgesetzt, sie treten in der Krise genauso offen auf wie in guten Zeiten.

Und schließlich gehört zur Vorbereitung auf eine Krise auch das Handwerk: die regelmäßige Übung im Krisenstab, die Aktualisierung möglicher Krisenszenarien gemäß Krisenhandbuch. Alle wichtigen Abteilungen einer Institution müssen darauf trainiert sein, im Krisenmodus Hand in Hand miteinander zu arbeiten, um Fehltritte Einzelner zu vermeiden.
Alles, was für eine Krise vorbereitet werden kann, sollte vorbereitet sein. In der Krise fehlen schlicht Zeit und Informationen, um erst einmal Basisarbeit erledigen, zum Beispiel Alarmierungsketten zusammenzustellen.

Die Megatrends unserer Tage: Digitalisierung, Medialisierung, Compliance und Environmental Social Governance (ESG), die geopolitischen Unsicherheiten, Klimawandel, die gesellschaftliche Großwetterlage – das alles fordert gesellschaftliche Akteure neu heraus. Unternehmen und Institutionen aller Art müssen ihre Resilienz verstärken, wenn sie in der neuen Normalität bestehen wollen. Wer sein Geschäftsmodell nicht absichert, verliert sein Standing als gesellschaftlich relevanter Player. Gute Kommunikation wird für Akteure in der öffentlich-medialen Arena zum festen Bestandteil ihrer License to operate.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 141 – Thema: Interview mit Norbert Lammert. Das Heft können Sie hier bestellen.