„Typisch Baron“, ruft ein graumelierter Herr von der Bierbank aus in Richtung Podium. Seine spöttische Bemerkung gilt dem Präsidenten des Dachverbandes der Waldbesitzer, Philipp zu Guttenberg, der gerade versucht, Ruhe in die gut gefüllte „Bayernhalle“ auf der Grünen Woche zu bringen.
Es ist der Tag vor der Eröffnung der Landwirtschaftsmesse, an dem die Waldbesitzer traditionell ihren Jahresempfang ausrichten. In Halle 22b ist es warm, die 1200 geladenen Gäste stehen dicht gedrängt vor der Bühne, es gibt Wildgulasch und frisch gezapftes Hefeweizen.
„Bitte hören Sie doch denen zu, die Ihnen heute das Bier bezahlen“, ruft zu Guttenberg dem bierseligen Publikum zu. Das reagiert größtenteils mit hämischen Kommentaren, einer zischt gar: „Wieder mal ziemlich viel blaues Blut hier.“
Belehrt werden wollen sie nicht, schon gar nicht vom kleinen Bruder des einstigen Kronprinzen der CSU, Karl-Theodor zu Guttenberg. Zwar weilt der Ex-Verteidigungsminister inzwischen mehrere tausend Kilometer entfernt in den USA, doch in Berlin bleibt er allgegenwärtig. Sein Bruder ist den ständigen Vergleich gewohnt. „Ich weiß, dass bei mir immer dreimal hingeschaut wird“, sagt der 40-Jährige mit gesetzter Miene in einem Gespräch in der Verbands-Geschäftsstelle.
Hier von den kleinen Büros in der Claire-Waldoff-Straße unweit der Charité aus leitet er zusammen mit Geschäftsführer Michael Rolland die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Waldbesitzerverbände (AGDW) – so die offizielle Bezeichnung. Rolland, gelernter Jurist, lenkt den Verband strategisch, Guttenberg repräsentiert ihn und ist dafür in der Regel in den Sitzungswochen in Berlin unterwegs. Ehrenamtlich. Ohne Aufwandsentschädigung. Darauf legt er großen Wert.
Der Forstwirt hat den Familienwald in Franken übernommen sowie in der Steiermark und am Chiemsee Land hinzugekauft. Dort im oberbayerischen Idyll lebt er zusammen mit seiner Frau Alexandra Macdonald, die er während des Studiums in Schottland kennengelernt hat, und den drei gemeinsamen Kindern.
Der Verband, den Guttenberg seit 2010 führt, vertritt die Interessen von zwei Millionen Waldbesitzern in Deutschland. „Und zählten wir die Familien der Waldbesitzer dazu, kämen wir auf fünf Millionen Wählerstimmen. Damit wären wir als Partei im Bundestag vertreten“, sagt Geschäftsführer Rolland selbstbewusst. Rolland ist Politik-Profi, war vier Jahre lang Presse- sprecher des hessischen Umweltministers. Er berichtet, dass in dieser Wahlperiode knapp die Hälfte der Mitglieder im Agrarausschuss neu ist. Um vor allem den Abgeordneten aus den Städten anschaulich zu erklären, warum der Wald ein Multifunktionstalent ist, mietet der Verband schon mal einen Bus und fährt mit den MdBs in ein Waldstück nach Brandenburg.
Grußbotschaft der Kanzlerin
Von der Politik als die Stimme des Waldes wahrgenommen werden, das will der Verband. Und in Unionskreisen klappt das auch.
Selbstverständlich lässt es sich – der in der Zwischenzeit zurückgetretene – Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich nicht nehmen, den Waldbesitzern beim Jahresempfang zu versichern, dass der „Wald bewirtschaftet werden muss, um seine wichtigen und vielfältigen Aufgaben für die Gesellschaft zu erfüllen“. Der Satz geht an die Adresse der Umweltschützer, von denen etwa der Naturschutzbund (Nabu) fordert, dass zehn Prozent des Waldes zu „Urwäldern für morgen“ für seltene Insekten und Käfer umfunktioniert werden.
Selbstverständlich schickt Angela Merkel für eine Kampagne zur Bundestagswahl eine Grußbotschaft per Video, in der sie der AGDW für ihr Engagement dankt und persönlich anmerkt, dass sie selbst in einer Region mit ausgedehnten Wäldern aufgewachsen sei.
Und selbstverständlich hat die Kanzlerin auch Verständnis dafür, dass der Verband mit am Tisch sitzt, wenn es um die Energiewende geht. „Wir sind im Gespräch und es ist angekommen, dass der erneuerbare, nachwachsende heimische Rohstoff Holz als Energielieferant nicht zu vernachlässigen ist“, sagt Guttenberg.
Natürliche Verbündete nennt das der Präsident. Mit der FDP haben die Waldeigentümer, die sich stets für die Freiheit und das Eigentum ihrer Mitglieder einsetzen, einen dieser Verbündeten auf Bundesebene verloren.
Lobbyist ohne Parteibuch
Doch Philipp zu Guttenberg ist ein Lobbyist ohne ideologische Scheuklappen. Stets höflich und in einer verbindlichen Art pflegt er Kontakte in alle politischen Richtungen: „Wir sind doch kein Parteiorgan“. Er selbst sei in keiner Partei. Aber konservativ muss er doch sein? „Ich möchte mit Verlaub viele Dinge bewahren – den Wald und das Leben im ländlichen Raum. Das ist mein Verständnis von Konservativsein.“
Linken-Politikerin Kirsten Tackmann kennt zu Guttenberg durch parlamentarische Abende und persönliche Gespräche. Die Thüringerin ist seit 2009 agrarpolitische Sprecherin ihrer Fraktion im Bundestag. Bei den Linken halten etliche Abgeordnete die AGDW für einen männlich-konservativ dominierten Verband, in dem vor allem die Großflächenbesitzer den Ton angeben.
Trotzdem gibt es Anknüpfungspunkte: „Wir waren mit der AGDW auf einer Linie, als es darum ging, die Holznutzung bei kleineren Waldeigentümern zu steigern“, sagt Tackmann. Die 53-Jährige nimmt Guttenberg ab, dass ihm auch die kleinen Waldbesitzer am Herzen liegen.
Beim Thema Erbschaftssteuer herrscht wiederum der alte Klassenkampf. Die AGDW ist strikt gegen eine solche Steuer. „Wald ist unser Leben – Substanzsteuern bringen uns um“, steht auf einem Flyer, daneben ist eine Flasche mit einem Totenkopf abgebildet. Der Verband argumentiert, die Waldwirtschaft sei kein normaler Industriezweig. Holz wachse nur langsam, weshalb die jährlichen Gewinne nur bei rund einem Prozent lägen. Würde nun das Eigentum besteuert, würde die Steuer die Rendite auffressen. Notgedrungen müssten die Eigentümer Flächen verkaufen.
Die Linken befürworten bekanntlich eine Erbschaftssteuer nach dem Grundsatz „Eigentum verpflichtet“. Sie wollen mit der Steuer eine „Gerechtigkeitslücke zwischen Arm und Reich“ schließen. Tackmann weiß als Fachpolitikerin um die niedrigen Holzerlöse und schlägt deshalb vor, in der Branche genauer hinzuschauen, wer den Belastungen standhalten kann. „In diesem Punkt würde ich mir noch mehr Offenheit von der AGDW wünschen“, sagt Tackmann. Doch die Waldeigentümer bleiben bei ihrer Linie. „Grund und Boden ist nichts, was wir verkaufen können“, entgegnet zu Guttenberg und fordert, dass nur der Ertrag aus den Holzerlösen besteuert wird.
Sein Vater Enoch, ein berühmter Dirigent, beschrieb die Arbeit seines Sohnes einmal so: Er versuche drei feindliche Schwestern zusammenzubringen: die Forstwirtschaft, den ökologischen Waldbau und die Jagd. Zwischen zwei der drei Schwestern knirscht es gerade gewaltig.
Es geht um das Thema Waldstilllegungen. Dort liefern sich die Waldbesitzer und die Naturschützer einen Kampf um die Frage, wer die wahren Grünen sind. Laut Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung sollen bis zum Jahr 2020 fünf Prozent des Waldes in nutzungsfreie Wildniszonen umgewandelt werden. Betroffen wären davon bisher nur öffentliche Flächen. Kein Privatwald.
Tunnelblick der Naturschützer
„Das ist mir aber egal. Es geht mir nicht um meinen persönlichen Besitz“, sagt zu Guttenberg. Sein Ton wird nun merklich rauer. Was ihn störe, sei die pauschale Festlegung auf fünf Prozent der öffentlichen Waldflächen. „Ich sehe da keinen ökologischen Mehrwert.“ Außerdem würden die Stilllegungen Arbeitsplätze kosten. In der gesamten Forst- und Holzwirtschaft arbeiten 1,2 Millionen Beschäftigte. Doppelt so viele wie in der Automobilindustrie, sagt Guttenberg. Er spricht in diesem Kontext gern von einem Tunnelblick der Naturschützer.
Den Vorwurf des Tunnelblicks hört Stefan Adler nicht zum ersten Mal. Seit rund zwei Jahren ist der 33-Jährige Waldreferent beim Nabu. Besonders ärgert Adler, dass die Waldeigentümer die Ergebnisse des Waldgipfels des Deutschen Forstwirtschaftsrates 2001 heute strikt ablehnen, obwohl sich alle beteiligten Gruppen auf die Stilllegungen von fünf Prozent der Waldfläche geeinigt hatten.
Obwohl die Geschäftsstellen vom Nabu und der AGDW in Berlin nur wenige hundert Meter voneinander entfernt liegen, ist die Atmosphäre eisig. „Wir kommunizieren bei diesem Thema im Moment nur über die Medien“, sagt Adler. Was es nicht besser macht: Beide Seiten argumentieren mit Studien, die wahlweise belegen, dass sich in einem bewirtschafteten Wald die Artenvielfalt noch steigert, oder dass sich nur ein natürlicher Wald zu „Inseln der Glückseligkeiten“ für seltene Insekten und Käfer entfalten kann. Eine kleine Provokation trägt die AGDW sogar im Verbandsemblem: „Waldbau ist Umweltschutz“ steht dort seit 1948 geschrieben.
Adler sieht die Verbandsstrategie der AGDW aber auch beim Thema Energiewende kritisch. Durch die Nutzung des Waldes als Energielieferant werden auch abgestorbene Bäume verwertet, von denen wiederum seltene Arten wie der Eremit-Käfer oder der Weißrückenspecht zehren. „Damit überschreiten wir die Grenzen der Naturverträglichkeit“, ärgert sich Adler.
Geht er selbst in die Politik?
Im Streit zwischen Waldeigentümern und Naturschützern gibt es für Philipp zu Guttenberg also noch viel zu tun. Er selbst sagt, dass die Bereiche zusammengehören und schon der Ressortzuschnitt falsch ist, der den Wald in die Zuständigkeit von zwei Ministerien bringe.
Zu Guttenberg will versöhnen, womöglich auch aus familiärer Verpflichtung. Vater Enoch ist Gründungsmitglied des Bundes für Natur und Umweltschutz (BUND). Zeit für einen Handschlag wird Guttenberg noch bleiben. Beim Verband denkt man auf der Führungsebene wie im Wald eher in längeren Zeiträumen. „Die Suche nach einem Nachfolger ist der schwierigste Teil des Jobs“, sagt Guttenberg und lacht. An seinem Stuhl klebt er trotzdem nicht. „Ich kann immer sagen, wenn’s mir nicht gefällt, höre ich morgen auf. Ich mache meinen Job aus Leidenschaft und nicht, weil ich monetär davon abhängig bin oder in der „Bild“-Zeitung stehen will.“ In diesem Moment ähnelt der kleine Bruder wieder sehr dem großen, der bei den Verhandlungen um die Opel-Rettung 2010 kurzerhand seinen Rücktritt anbot und betonte, dass er finanziell nicht auf den Ministerjob angewiesen sei.
Fehlt nur noch eine Antwort auf die Frage, die bei ihm immer in der Luft liegt: Herr zu Guttenberg, gehen Sie irgendwann in die Politik? „Nein, mein jetziges Amt ist schon politisch genug.“
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wer das Sagen hat. Das Heft können Sie hier bestellen.