Die stolze Staatspartei hauste in einem hässlichen Hinterhof. Abgewetzte Teppiche führten über dunkle Flure, die Heizung bollerte sommers wie winters. Der Geruch aus den Toiletten erinnerte, so beklagte sich Horst Seehofer, „an eine nicht mehr zeitgemäße Pflegestation“. Keine Frage: An der alten CSU-Zentrale war nur die Adresse mondän, Münchens Nymphenburger Straße, ein Klang nach Porzellan und Prinzen. In der Realität wollte die CSU hier einfach nur raus, vier Jahrzehnte lang. Und erst als das gelungen war, Ende 2015, ließ Parteichef Seehofer den Stoßseufzer fahren, zum Glück sei nie jemand vom Brandschutzamt vorbeigekommen. Für eine Partei, bei der häufig Feuer unterm Dach ist, ein gewichtiges Argument.
Jedenfalls können sie bei der CSU ihr Glück an manchen Tagen noch immer nicht fassen, eine neue Bleibe gefunden zu haben, die so aussieht, als wäre sie immer schon als Parteizentrale gedacht gewesen. Es geht ja nicht nur ums Wohlbefinden, sondern um Image und TV-Bilder. Eine Glasfassade umschließt den neuen Bau im Münchner Norden, alles transparent, modern, nicht protzig. So eben, dass man es der viel gepriesenen „Leberkäs-Etage“ in der Bevölkerung gegenüber immer noch vertreten kann; aber hier in der Nachbarschaft der Microsoft-Zentrale halt doch etwas schicker als zum Beispiel die Geschäftsstelle der Landes-FDP im Bahnhofsviertel, schräg oberhalb eines Dönerladens.
Vor dem Haus an der Mies-van-der-Rohe-Straße ist gleichzeitig Platz für Seehofers gepanzerte Limousinen, für Kamerateams, Fahnenmasten und Werbetafeln, um die Parteigranden zu preisen. Im hellen Foyer stehen Vitrinen mit Markus-Söder-Devotionalien, wovon derzeit etwas profan Wasserglas, Kugelschreiber und Zollstock im Angebot sind.
Ja, hier kann empfangen werden. Aber auch nicht jeder. Ein Wachdienst hütet die neue Zentrale, auch das eine Lehre aus der alten: Der Miefbau in der Nymphenburger Straße wurde 2014 einmal mühelos von jungen Kurden gestürmt und besetzt. Wobei Besetzung ein großes Wort für einen eher bizarren Vorgang ist: Die Gruppe kauerte sich in den Vorraum vor dem Aufzug, staunte über die Tristesse und zog nach ein paar Stunden friedlich und ohne Anzeige wieder ab, vermutlich verstört von den prekären Verhältnissen der Regierungspartei.
Für die CSU, die als einzige Partei ihre Zentrale nicht in Berlin hat, ist das neue Zuhause so wichtig, dass es mehrere Kosenamen trägt. „Franz-Josef-Strauß-Haus“, taufte man es, den Begriff vom „Vereinsheim“ versuchte der für den Umzug verantwortliche Ex-Generalsekretär Andreas Scheuer zu prägen. Die Mitarbeiter sagen kurz „Lalei“, Landesleitung. Der Kaufpreis wird beharrlich geheim gehalten, auf dem aberwitzigen Münchner Immobilienmarkt darf man trotz Randlage am Autobahnende der A9 ab 20, 30 Millionen Euro aufwärts denken. Für 7.000 Quadratmeter, von denen die CSU etwa 4.000 für sich und das Parteiorgan „Bayernkurier“ nutzt, der Rest wird vermietet. Vorbesitzer war übrigens der Langenscheidt-Verlag, der sich verkleinern musste.
Ein, zwei Mal im Monat tagt hier nun bei Butterbrezen und Obst, behütet von einem großen, modernen Holzkreuz, der CSU-Vorstand, das zentrale Gremium. Ungefähr halböffentlich sind die Montags-Sitzungen, was bedeutet: hinter verschlossenen Türen, aber selten lange geheim. Zumal Seehofer die Runde gern nutzt, um Parteifreunde abzubürsten oder wieder aufzurichten.
Seehofer selbst hat kurioserweise eines der kleinsten Büros, vierter Stock hinten links neben der Fluchttreppe, Ausblick auf eine viel frequentierte Aral-Tankstelle. Er ist eh nur sporadisch hier, regierte früher Land und Partei aus der Staatskanzlei, ist jetzt meist in Berlin. Der Herr im Haus ist der neue Generalsekretär, Markus Blume, 43, ein Vertreter der nicht überrepräsentierten Spezies der Nachdenklichen in der CSU. Blume obliegt es seit März, hinter der Glasfassade die Zentrale so umzubauen, dass sich ein 38-Prozent-Desaster wie bei der Bundestagswahl 2017 nicht wiederholt.
Agiles Arbeiten in der „Lalei“
Mit zwei, drei schnellen Schnitten hat der Münchner die CSU-Organisation verändert. Bewusst suchte er keine Riesenreform mitten in den Schweinsgalopp-Wahljahren 2018 (Land, Kampf um die absolute Mehrheit), 2019 (Europa), 2020 (Kommunalwahl) und 2021 (Bund). Blume übernahm die von Scheuer ausgebaute Online-Abteilung. Parallel dazu formte er einen kleinen Stab für Strategie und Planung. „Agilität, schneller sein, nicht zwei Wochen brauchen“, trichterte er seinen Mitarbeitern ein. Die Abteilung betreut jetzt auch die „KSK-Gruppe“, die bewusst martialisch benannte Wahlkampf-Kommunikation zwischen Parteizentrale und allen 101 CSU-Landtagsabgeordneten, technisch auf Whatsapp-Basis. Neuerdings wundern sich Journalisten, wenn Sekunden nach einer heiklen Anfrage bei einem Abgeordneten die vollständige Mehrheitsfraktion darüber informiert ist und binnen Minuten die Landesleitung eine Sprachregelung verteilt hat. An die Spitze der Strategen und Planer setzte Blume Bianca Rabl. Sie war zuletzt bei den Koalitionsverhandlungen in Berlin dabei, erfüllte ihre Rolle als Sherpa offenbar voll. Zu späterer Stunde raunen sie in der CSU-Spitze, wie Rabl forsch bis resolut in Telefonaten von Zeit zu Zeit die CDU-Seite auf Linie brachte.
Neu im CSU-Kosmos ist zudem eine Ein-Mann-Einheit, die gerade gegründet wird. Marc Sauber, der aus dem hochdefizitären Kampfdruck „Bayernkurier“ ein anschauliches Monatsmagazin gemacht hat, baut jetzt eine Art Kommunikationslabor auf. Sein „CSU-Lab“ soll neue Formen der Parteikommunikation entwickeln. „Ein Kreativraum“, sagt Blume, „neue publizistische Formate mit Ausprobierfaktor“. Jedenfalls nichts für Leute, die glauben, „dieses Twitter“ bleibe der letzte Schrei der Kommunikation.
Dahinter steckt wohl auch die Erkenntnis, dass sich Wahlkämpfe diametral auseinanderentwickeln. Einerseits werden die Schlachten heute in großem Stil in der digitalen Welt geführt, andererseits fordert Blume mehr Haustürbesuche denn je. Klingeln, lächeln, kurz plaudern – wenn auch nun gesteuert per Smartphone-App, die aus gekauften und gepflegten Daten straßengenau Wählerpotenziale errechnet.
Kernziel der Blume-Mission: Bei der Bayern-Wahl am 14. Oktober so nahe an die absolute Mehrheit zu kommen wie möglich. Keinen Quälgeist als Koalitionspartner zu haben, ist existenziell für den Alleinvertretungsanspruch Bayerns der Christsozialen. 44 Prozent könnten sogar, je nach Rechenmodell, fürs Alleinregieren reichen, falls die FDP scheitert. Der Fokus liegt jedenfalls voll darauf, das bürgerliche Lager, in Bayern rund zwei Drittel der Wähler, besser als zuletzt zu bündeln. Ausgang: ungewiss. Ein paar Faktoren erweisen sich für den General dabei als hilfreich: Er hat, auch wenn das für Beobachter unmöglich erscheint, gleichzeitig das ehrliche Vertrauen von Seehofer und Spitzenkandidat Söder. Die beiden beinharten Rivalen haben längst nicht zu Harmonie gefunden, reden zwar wochenlang nicht miteinander, aber schweigen wenigstens übereinander. Der Machtkampf ist also ausgesetzt.
Erfahrenes Personal
Gleichzeitig fand Blume zwar eine knappe Parteikasse vor, aber einen stabilen Personalstand. Scheuer zog keine Mitarbeiter ins Bundesverkehrsministerium ab. Mehrere Kenner blieben: Hauptgeschäftsführer Hans-Michael Strepp, im fünften Jahr an der Spitze, dazu Seehofers Büroleiter und Medienmann Jürgen Fischer und der Sprecher des Generalsekretärs, Simon Rehak.
Der alte CSU-Bunker in der Nymphenburger Straße ist übrigens verkauft, wird inzwischen abgerissen, der Mief der Pflegestation ist Geschichte. Ein Bürokomplex soll her, geplant von einer Landesbank aus dem Südwesten. Das klingt banal, erspart der CSU aber hässliche Schlagzeilen: Dass aus ihrer alten Parteizentrale, wie zunächst geplant, Luxuswohnungen für Reiche werden, hätte nicht so recht in die „Leberkäs-Etagen“-Erzählung gepasst.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 123 – Thema: Der neue Regierungsapparat. Das Heft können Sie hier bestellen.