Da steht Markus Söder. Breitbeinig auf dem Steg im Sturm, der Körper gespannt wie ein Bogen. Die Hand deutet mit großer Geste über den See, der Blick weist in die Ferne, hinten schneebedeckte Berge und heranrasende Wolken. Der bayerische Ministerpräsident scheint etwas zu erklären in diesem Moment, es müssen die ganz großen Zusammenhänge sein. Ach ja, und hinter dem CSU-Chef steht auch noch eine Figur, etwas gebeugt, fast verhutzelt. Die Hände nesteln vor dem schmalen Körper, an dem ein braunes Trachten-Irgendwas schlottert. Das ist dann Friedrich Merz (CDU). Er hört zu.
Was für ein Foto! Was für eine Momentaufnahme! Es ist das Bild, mit dem der CSU-Vorsitzende im Januar 2022 der Welt mitteilte, dass er sich mit dem designierten CDU-Vorsitzenden getroffen hat. Dass man fortan vertrauensvoll, herzlich, brüderlich zusammenwirken wolle, das Ende der erbitterten Unions-Fehde um Macht und Machtverlust. Augenhöhe ab sofort. „Wir freuen uns auf erfolgreiche Zusammenarbeit“, schrieb Söder dazu. Aber: Das Bild zeigt alles andere außer Augenhöhe.
Ein Anfänger, wer das für Zufall hält. Im Internet haben sie sich sofort über das Motiv lustig gemacht. Die SPD kramte ein Bild aus Nordkorea hervor, Kim Il-sung mit seinem Sohn Kim Jong-il in ähnlich raumgreifender Pose auf dem heiligen Berg Paektu. Andere montierten eine Disney-Szene daneben, der König der Löwen erklärt dem Löwenbaby vom Felsen aus die Welt und die Geheimnisse des Herrschens. Alles sehr lustig, aber wichtiger als der schnelle Scherz ist der Subtext: Auf Söders Rollenverteilung sind sie alle reingefallen. Und das nicht zum ersten Mal.
Nichts ist Zufall
Der Auftritt des findigen Franken in den sozialen Netzwerken ist ein Lehrbeispiel für gnadenlose Inszenierung. Natürlich hätte es andere Bilder gegeben. Wer die Fotoserie mit Merz anschaut, entdeckt viele, auf denen der CDU-Mann nicht wie ein gramgebeugter Austragsbauer dahinschlurft, sondern lebhaft gestikuliert, während Söder lauscht. Verbreitet hat diese Bilder aber nicht mal Merz. Der CDU-Politiker postete fair eines vom Steg, auf dem der Sauerländer (1,98 Meter) und der Bayer (1,94 Meter) halbwegs gleich groß aussehen. Das Ungleichgewicht dämmerte den CDU-Leuten wohl erst später. Merz bemüht sich seither um die Schilderung, dass doch er den Treffpunkt festgelegt habe, den Kirchsee in der Nähe seines Ferienhauses im oberbayerischen Landkreis Miesbach. Zu spät.
Wer Söders Digitalstrategie verstehen will, muss erst mal einsehen: Hier passiert selten etwas aus Versehen. Söders Kanäle werden sorgsam und planvoll bespielt. Ein kleines Team seiner drei, vier engsten Zuarbeiter in Partei und Regierung steht dahinter. Einmal pro Woche schalten sie sich zusammen zur Redaktionskonferenz, planen Termine, Statements und vor allem Bilder. Es soll keinen Tag geben ohne digitale Aussendung, auch drei, vier Posts sind in Ordnung. Nur rund 10 bis 15 Prozent der Söder-Termine, so schätzt jemand aus dem inneren Kreis, bleiben komplett unbeobachtet und für die Öffentlichkeit geheim.
Die Aufnahmen sitzen fast immer, weil nicht irgendein aufgeregter Praktikant mit zittriger Hand am Handy knipst, sondern weil Söder Jörg Koch eng an seine Seite geholt hat. Der langjährige Foto-Chef einer großen Nachrichtenagentur hat schon Kanzler und Päpste inszeniert. Jetzt begleitet er Söder auf Schritt und Tritt.
Inszenierung ist Chefsache
Hinzu kommt der Chef selbst. Als ehemaliger Fernsehredakteur weiß Söder wohl besser als jeder andere Spitzenpolitiker der Republik, welches Bild für Aufsehen sorgt. Er erfasst Situationen schneller, hat sich vor Kameras voll unter Kontrolle. Vor allem zweifelt der 55-Jährige keine Sekunde an der Wirkmacht der sozialen Netzwerke. Kein Bild, kein Buchstabe gehen an die eine Million Follower und Freunde auf Instagram, Twitter und Facebook raus, ohne vom Chef persönlich gebilligt zu sein.
Das klappt, weil bei Handy-Junkie Söder Absprachen und Freigaben für die engsten Mitarbeiter meist nur Sekunden dauern. Nichts bleibt bei ihm lang hängen, er versteht das Tempo in der digitalen Welt, wo Minuten Ewigkeiten sein können. Notfalls schreibt er mit einer Hand unauffällig eine SMS im Steno-Stil, während er am Rednerpult steht und spricht. Oft, vor allem auf Twitter, tippt er seinen Beitrag auch einfach selbst.
Söder und seine Leute differenzieren genau nach Kanälen. Twitter, das ist was für die Blase, Parteifreunde, Journalisten, Hater: Söder klopft komprimierte, zugespitzte politische Botschaften raus. Via Facebook spricht er die Bevölkerung an, vor allem die Älteren ab 45 aufwärts, in Wahrheit schon 60 plus. Die ganz Jungen steuerte er mal auf TikTok an, vorerst halbherzig. Das frischeste Söder-Profil läuft auf Instagram.
Auffällig ist der Mix: Häufig echte Politik, es sind die ernsten Bilder mit FFP2-Maske, darunter politische Einordnungen, Erklärungen, manchmal sogar mit Nebensätzen, Hashtag #covid19. Viel Halbpolitik, Fotos und kleine Videos, wenn die Sternsinger in der Staatskanzlei auftreten, wenn die dänische Königin anreist oder wenn er beim in Südbayern traditionsreichen Leonhardi-Ritt zu Gast ist (Merke fürs Foto: Söder: groß, Pferd: klein.)
Das Private ist politisch
Neu in der Sammlung ist die Inszenierung des vermeintlich Privaten. Unter dem Hashtag #söderisst hat der Bayern-Regent begonnen, sein Essen zu fotografieren. Es begann harmlos, mit Bratwürsten in einem fränkischen Lokal. Nur Kenner wissen, dass rechts von Söder Armin Laschet saß, der aber – leider, leider – dem Bildschnitt zum Opfer fiel. Eines Mittags folgten drei Spiegeleier mit Spinat. Im Januar ließ der CSU-Vorsitzende die Insta-Gemeinde dann sogar abstimmen. „Was soll ich heute essen? Salat oder Schlachtplatte?“ Beide Optionen waren bebildert, einmal Avocado auf Brokkoli, einmal prall gefülltes Schweinsgedärm auf Kartoffelbrei. 900 Kommentare und 11.200 Likes später teilte er mit: „Hat beides gut geschmeckt.“
Am besten geschmeckt haben dürfte ihm dabei die Reichweite. Die Food-Posts erreichen Hunderttausende, und zwar jenseits der Politik-Blasen. Der Anteil an Pöbelantworten, auf Instagram eh kleiner, schrumpft. So nahbar wirkt das, so menschlich, dass Vegetarier grüne und rote Herzchen dazu posten. Während fränkische Fleischfans raten, er solle sich die Platte „einfach wie a Achtarmiger neiorgeln“. Was der Realität übrigens recht nahe kommt, aber auf Insta dann nie zu sehen ist.
Für Söder dient das zur Imageabrundung, eigentlich sogar Erneuerung. Nach dem verlorenen Unions-Kampf um die Kanzlerkandidatur, der krachenden Niederlage bei der Wahl und angesichts der polarisierenden Coronapolitik versucht der CSU-Chef zu Jahresbeginn 2022, andere, weichere Seiten von sich zu zeichnen. Dazu zählen auch die Hundefotos, ebenfalls beliebt auf Instagram und Facebook. Immer wieder posiert er mit den zwei Familienhunden Molly und Bella, macht die Bilder oft am Wochenende draußen selbst mit dem Handy. Auch das ist Strategie: vermeintliche Einblicke zulassen, während in Wahrheit eine dicke, rote Linie besteht. Absolut niemals verbreitet der CSU-Chef Bilder von seiner Familie, den Kindern, auch nie etwas aus dem Privathaus in Nürnberg oder der Wohnung in München.
Seltene Pannen
Ginge es nach Söder, dann würden alle Parteifreunde so vorgehen. Tun sie aber nicht. Selbst auf sein Kabinett und seine Abgeordneten im Münchner Landtag redete er seit dem Jahreswechsel immer wieder vergeblich ein, sich doch in den sozialen Netzwerken anzumelden. Was durch Coronaregeln und Lockdowns an realen Treffen und Stammtischen verloren gehe, müsse man im Netz zumindest versuchen aufzuholen, warb Söder. Ihm schwant, dass der Händeschüttel- und Bierzelt-Partei CSU die fehlende Nähe viel stärker schadet als der Konkurrenz. Im Herbst 2023 wird in Bayern ein neuer Landtag gewählt, die CSU ist in Umfragen auf für sie jämmerliche Werte weit unter 40 Prozent abgerutscht.
Seither sieht man ein paar wackere Getreue auf Twitter, zum Beispiel den bayerischen Finanzminister Albert Füracker. Die Durchschlagskraft ist dennoch, nun ja, schwierig vergleichbar. Während Söder für Instagram ein Glas Milch postet (Hashtag #gutenmorgen, 7.600 Likes), belehrt sein Minister die 98 Twitter-Follower über eine Bundesratsinitiative zur Baulandmobilisierung. Selbst die seit Jahren digital arg aktive Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär kommt auf allen Kanälen nur auf ein Fünftel von Söders Millionenreichweite, die bayerische Landtagspräsidentin Ilse Aigner auf ein Zwanzigstel.
Schlechte Bilder, schlechte Motive, Panne beim Text: Im Profiteam Söder ist das selten. Spannend ist, dass die sehr wenigen Fehler dem Chef selbst unterlaufen. Die Inszenierung 2021 als Kampfjet-Pilot in Bomberjacke gilt rückwirkend als unglücklich. Die Nahaufnahme schmeichelt ihm, er reckt den Daumen aus dem Cockpit; die Distanz zeigt, dass er in einem aufgeständerten, ausgemusterten Eurofighter posiert. Eher ein Symbol für die Ausstattungsmisere der Bundeswehr nach anderthalb Jahrzehnten unter Unions-Verteidigungsministern.
Im Überschwang einmal zu wenig reflektiert. So wie auch 2018, kurz vor der Audienz beim Papst. Da ließ sich Söder beim Einsteigen in eine Chartermaschine fotografieren, eh schon ein Bild, das Neidkomplexe in der Wählerschaft erzeugen kann. Und textete dazu, grammatikalisch sehr missverständlich: „Heute Besuch des heiligen Vaters im Vatikan.“
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 138 – Thema: Rising Stars. Das Heft können Sie hier bestellen.