Das Machtsystem Söder

Politik

Die Maschine ist gelandet, Markus Söder wartet in der VIP-Lounge des Flughafens Sofia. Draußen flackern die Blaulichter der Kolonne, die ihn in die Stadt bringen soll. Drinnen müht sich eine Zollbeamtin ab, seiner Delegation nach der Kontrolle die Pässe zurückzugeben. Es dauert. Bis sich der Ministerpräsident persönlich den Stapel greift: Im Eiltempo klappt er die Ausweise auf, witzelt über zweite Vornamen, wirft den Besitzern in hohem Bogen ihre Pässe zu. „Scheußliches Foto“, ruft er einmal, „oh – ist meins.“ Nach nicht mal zwei Minuten sind alle Reisedokumente verteilt.

Genauso wie am Flughafen von Sofia arbeitet (laut Pass: Markus Thomas Theodor) Söder: Was ihm nicht schnell genug geht oder was er als wichtig identifiziert, macht er zur Chefsache. Weder plagen ihn Hemmungen, anderen eine Aufgabe unsanft aus der Hand zu nehmen, noch ist er sich zu fein, Jobs selbst zu Ende zu bringen. Jede wichtige Rede der vergangenen Monate, vor Parlamenten oder Parteitagen, schrieb er bis zur letzten Zeile selbst, per Stift in einem kaum leserlichen System aus Stichworten und Pfeilen. Ist ein Auftritt absolviert, faltet er seine Zettel mit zufriedenem Blick, zerreißt sie sorgfältig und hinterlässt der Nachwelt geachtelte Botschaften.

Kein Zweifel: Das Epizentrum des Machtsystems Söder ist Söder. Kaum ein Spitzenpolitiker achtet so genau darauf, sein Umfeld immer im Blick zu haben, auch bei Kleinigkeiten die letzte Entscheidung zu treffen. Zügig, per Augenkontakt oder mit einer Ein-Satz-SMS, zu allen Tages- und vielen Nachtzeiten. Die Mitarbeiter sind dafür handverlesen. Mit schnellen, harten Umbauten zwischen Februar und April hat Söder seine Mannschaft für die nächsten Jahre aufgestellt.

Minuten nach dem Amtseid rückten langjährige Weggefährten auf

Das engste Umfeld sitzt auf zentralen Positionen der Staatskanzlei. Aus dem vierten Stock der Regierungszentrale, mit Blick auf den herrschaftlichen Hofgarten, agiert Söder in seiner Doppelfunktion als Ministerpräsident und CSU-Chef. Das Regierungsamt hat er seit März 2018 inne. Schon Minuten nach seinem Amtseid rückten langjährige Weggefährten in die Staatskanzlei ein: Büroleiter Gregor Biebl, der den operativen Informationsfluss steuert, stieg sofort zum B9-Beamten auf, Ministerialdirektor. „Er ist die zentrale Figur“, erklärt ein ehemaliger Mitarbeiter. Drei Pressesprecher kamen mit, an der Spitze die wichtigste Vertraute Tanja Sterian, die pausenlos in SMS-Kontakt mit Söder steht. Es mag ranghöhere Regierungssprecher und Kommunikationsdirektoren geben – wer schnell und schnörkellos wissen will, was Söder denkt, fragt Sterian. Selbst Abgeordnete tun das.

Das konnte man kommen sehen: Das engste Team begleitet ihn seit einem Jahrzehnt durch Parteiämter, ­Europa-, Gesundheits- und Finanzministerium. Mutterseelenallein in ein Haus zu tappen, wie Erzrivale Horst Seehofer 2018 ins Berliner Innenressort, würde dem Franken nie passieren. Er plant Personalien im Voraus, auch Fahrer und Sekretärin. Dazu zählt, dass er – ungewöhnlich – eine Schlüsselfigur aus Seehofers Zeit in seinen Zirkel einbaut: Karolina Gernbauer, die erste „Staatsrätin“ in Bayerns Geschichte, Amtschefin der Staatskanzlei, arbeitet jetzt vertrauensvoll mit dem einst im Haus geächteten Söder zusammen. Er verlieh ihr sogar den Titel der „Bevollmächtigten Bayerns beim Bund“. Sie hält die Drähte auf oberster Arbeitsebene ins Kanzleramt und zu Seehofer persönlich. Das ist einfacher, seit die CSU und CDU auch auf Söders Geheiß ihren Migrations-Streit beigelegt haben.

Von seinen Leuten verlangt Söder Disziplin, Loyalität, Diskretion und politisches Denken. Widerworte: gern, aber nur, bis er eine Entscheidung fällt. „Man darf mir widersprechen. Jedes Argument wird gewogen“, sagt er. Intern ist der Umgangston offen, per Du, aber mitunter so scharf, dass kein Wort nach außen dringen soll. Unbestätigte Anekdoten kursieren einige, von fliegenden Gegenständen und einem Glastisch, der im Umweltministerium zerbarst. Wobei alle Augenzeugen klar sagen, dass der Chef am Tisch nicht schuld war. „Söder ist klug genug, sich mit kühleren Köpfen zu umgeben, als er selbst es ist“, steht in einer seiner Biografien. Wahr ist auch: Seit dem Ende des Machtkampfs mit Seehofer wirkt der Franke ruhiger, reifer, selbstironischer.

Die Härte, mit der er politische Personalien entscheidet, ist neu

Die Härte gegen sich blieb: Frühaufsteher, Workaholic, immer Cola light statt Alkohol. Für viele neu ist die Härte, mit der er politische Personalien entscheidet. Den langjährigen Kultusminister Ludwig Spaenle, mit dem er sich schon in der Jungen Union Zimmer teilte, Taufpate eines seiner Söhne, warf Söder zu Amtsantritt aus dem Kabinett. Die Freundschaft zerbrach daran. Weitere Entlassungen folgten. Auf Schlüsselstellen rücken Söders ehemaliger Staatssekretär Albert Füracker, jetzt Finanzminister, und der Abgeordnete Florian Herrmann als Leiter der Staatskanzlei und Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten – zwei Herren mit viel Fleiß und wenig Rampensau-Gen.

Dass Söder den zweiten Machtbereich, den des Parteichefs, auch schnell bekam, war gar nicht sein Plan, erst recht nicht nach der 37-Prozent-Klatsche bei der Landtagswahl im Herbst 2018. Zwei Koalitionen in Berlin und München gleichzeitig zu führen erschien selbst ihm als viel. Er hätte den Parteivorsitz klaglos dem Europapolitiker Manfred Weber überlassen. Der Niederbayer griff jedoch nicht zu. Noch auf dem Parteitag antwortete Söder für ihn ganz untypisch auf die Frage, ob er die Wahl annehme, mit „Äh, … ja.“

Jetzt schneidet er auch die Parteizentrale auf sich zu. An der Spitze als Generalsekretär bleibt der eher intellektuell-strategische Landespolitiker Markus Blume. Als Vize setzte Söder per Machtwort Florian Hahn durch, als Mann für Außenpolitik und fürs Grobe. „Meine Boy­group“, sagt der Parteichef gern, das Trio arbeitet sehr eng zusammen, ergänzt durch die neue Hauptgeschäftsführerin Carolin Schumacher.

Ein scharfer Schnitt wird noch ­­folgen, dann ist das Machtsystem fertig

In einem Überraschungsangriff im April straffte Söder das Organigramm der CSU-Zentrale, vier Abteilungen soll es künftig nur noch geben: Parteiarbeit, Kampagne, zentrale Dienste und Kommunikation. Bewährtes oder – je nach Sicht – Verkrustetes durchschlägt er: Sogar der einst als Parteiblatt legendäre „Bayernkurier“ überlebte nicht, die Redaktion geht in der neuen Kommunikationsabteilung auf. Als Kommunikationschef für die CSU – online, offline, intern – kam im Mai der langjährige Fraktions-Pressesprecher Franz Stangl an Bord.

Stangl ist ein Beispiel für Söders Netzwerkarbeit. Die engsten Vertrauten entwachsen alle zwei Sphären: Entweder sind es langjährige Mitarbeiter, die sich bewährt haben. Oder es sind, wie Stangl, Vertraute aus der Jungen Union (JU), jener CSU-Kaderschmiede, in der früh der Kampf um Macht und Mehrheiten gelehrt und geführt wird. Söder war von 1995 bis 2003 Landeschef der JU – die komplette heutige CSU-Generation zwischen 40 und 55, viele heutige Abgeordnete, gruppierten sich damals als Stellvertreter oder Bezirksvorsitzende um, für und gegen den Nürnberger Netzwerker.

Ein scharfer Schnitt wird noch folgen. In einer Nach-Merkel-Regierung wird Söder mehrere CSU-Bundesminister austauschen – Seehofer ganz gewiss. Das Machtsystem ist dann fertig. Übrigens mit einer Besonderheit: Es hat ein Verfallsdatum. 2028 ist für Söder zumindest in Bayern Schluss, er hat sich öffentlich auf ein Amtszeitlimit festgelegt, will das sogar in die Verfassung schreiben. Ablauf nach zehn Jahren, wie beim Reisepass.

Das System Söder

Wer sind die Weggefährten, engen Vertrauten und neuen Verbündeten?

Foto: Peter Kneffel/dpa

Gregor Biebl

Ministerialdirektor in der Staatskanzlei, begleitet und berät Söder seit Jahren als Büroleiter. Der 51-Jährige, promovierter Jurist, kennt Bayerns Verwaltung präzise von innen. Biebl entstammt einer stolzen Politiker- und Beamtenfamilie: Der Vater war Generalstaatsanwalt, die Tante wurde 1974  Landtagsabgeordnete, als Frauen in diesem Parlament noch irritiert beäugt wurden. Als „Stabschef“ beschreibt Söder den stets diskret und effizient im Hintergrund agierenden Biebl. Dessen Einfluss ist noch gestiegen, weil der hohe Beamte Wolfgang Lazik, einst Amtschef in Söders Ministerien, aus dem engen Umfeld in die Wirtschaft wechselte.

 

Foto: Nicolas Armer/dpa

Tanja Sterian

Als Pressesprecherin organisiert die 37-Jährige seit einem Jahrzehnt Söders Medienkontakte, begleitet ihn fast immer, raunt ihm auch sofort jede Neuigkeit aus der Szene zu. Die Nürnbergerin, stets zwei Mobiltelefone in der Hand, firmiert als Sprecherin des Ministerpräsidenten in der Staatskanzlei, kennt als frühere Geschäftsführerin der Nürnberger CSU und als Parteitagsdelegierte aber auch die Abläufe in der Partei gut. Söder hört sich ihren Rat immer an – und folgt ihm meistens. Unkompliziert läuft die Zusammenarbeit zwischen Sterian und dem unter Seehofer ernannten Regierungssprecher Rainer Riedl sowie mit Simon Rehak, dem Sprecher in der Landesleitung.

 

Foto: Michael Reichel/dpa

Karolina Gernbauer

Die Staatsrätin in der Staatskanzlei, so freundlich wie verschwiegen, ist Bayerns ranghöchste Beamtin. Im Freistaat, wo es formal keine Parteibuch-Blitzbeförderungen und keinen einstweiligen Ruhestand für Beamte gibt, ist das ein ungewöhnlicher Karriereposten. Die 57-Jährige aus Niederbayern gewann seit 1993 in der Staatskanzlei das Vertrauen der Ministerpräsidenten Stoiber, Seehofer und nun Söder. Parteisachen meidet sie. Ein wachsender Schwerpunkt ihrer Aufgabe: Bayerns Interessen in Berlin durchsetzen. Seehofer hätte sie gern als Staatssekretärin in sein Bundesinnenministerium geholt, sie verzichtete aus privaten Gründen. Das Verhältnis zu Söder ist respektvoll, per Sie. Er signalisierte ihr aber bereits Tage vor seinem Amtsantritt, nicht auf Gernbauer verzichten zu wollen.

 

Foto: CSU-Landesleitung

Florian Herrmann

Konservativ, Kirchenorganist, Oberbayer: Der Landtagsabgeordnete leitet als Minister die Staatskanzlei und gilt als treuer Söder-Loyaler. Der 47-Jährige, noch ein Jurist, hält dem Ministerpräsidenten im Alltag den Rücken frei und managt die Koalition mit den regierungsunerfahrenen Freien Wählern. Bewährungsprobe: Hinter den Kulissen organisierte Herrmann eine Lösung beim Artenschutz-Volksbegehren, von dem die CSU im Frühjahr beinahe überrannt worden wäre. Außerhalb seines politisch schwierigen Stimmkreises Freising (hier tobt die ewige Debatte um den Startbahn-Bau) hält er sich mit öffentlicher Profilierung zurück. Sein Chef hat damit kein Problem.

 

Foto: Rolf Poss

Albert Füracker

Blindes Vertrauen und Freundschaft verbinden den bodenständigen, baumlangen Ostbayern und seinen ehrgeizigen Chef. Söder entschied früh, Füracker 2018 das Finanz- und Heimatministerium zu übergeben. Der 51-Jährige, gelernter Landwirt in einem 150-Seelen-Dorf, führt es weitgehend geräuschlos und effizient, was freilich in Zeiten praller Kassen einfacher ist. Der Oberpfälzer CSU-Bezirkschef, erst seit 2008 Berufspolitiker, war übrigens einer der ersten, der sich für seinen alten JU-Kumpel Söder und gegen Seehofer aussprach. Füracker ist im Kabinett gesetzt, andere neue Minister wie Judith Gerlach (Digitales) oder der JU-Landesvorsitzende Hans Reichhart (Bau) arbeiten auf Bewährung.

 

Foto: CSU

Edmund Stoiber

Als CSU-Chef machte Stoiber Ende 2003 einen forschen, vorlauten Nürnberger zum CSU-Generalsekretär: Söder. Seither verbindet beide ein sehr enges Mentor-Schützling-Verhältnis. Stoiber redete sich lange und vergeblich den Mund fusselig, um Horst Seehofer von seiner starken Söder-Antipathie abzubringen. Der neue Ministerpräsident holt sich oft Rat beim rastlosen CSU-Ehrenvorsitzenden aus Wolfratshausen, will unter anderem dessen Hightech-Strategie aus den Neunzigerjahren für eine Digital-Offensive Bayerns adaptieren. Was Stoiber weniger behagt: Söder sucht auch die Sympathie eines anderen CSU-Ehrenvorsitzenden, Theo Waigel.

 

Foto: Kay Blaschke

Markus Blume

Der Generalsekretär gilt als intellektuell größtes Talent der CSU. Der Münchner formulierte das aktuelle, entstaubte Grundsatzprogramm, er denkt in langen Linien über den Tag hinaus. Das Rumpelige, holzschnittartig Grobe, das zur Job-Beschreibung des Parteigenerals gehört, beherrscht er weniger. Ungewöhnlich: Söder wie Seehofer vertrauten Blume, zum aktuellen Parteichef ist der Draht allerdings viel enger. Der 44-Jährige, zweifacher Familienvater, soll nun die CSU-Struktur modernisieren und digitalisieren. Das Ende der Karriere­leiter hat er noch lange nicht erreicht.

 

Foto: Tobias Koch

Florian Hahn

Der neue Vize-Generalsekretär ist als Bundestagsabgeordneter eine Art Söder-Stellvertreter in Berlin, sitzt mitunter auch in kleinen Runden mit der Kanzlerin. Öffentlich soll der 45-Jährige aus dem Münchner Umland die klassische Generalsrolle – grober Klotz, grober Keil – ausfüllen. Der gelernte Verteidigungspolitiker soll auch dazu beitragen, die ziemlich große Lücke in der CSU-Außenpolitik zu verringern. Hahn ist ein sehr enger Söder-Vertrauter aus JU-Zeiten; solange Seehofer etwas zu sagen hatte, tat das seiner Karriere nicht gut.

 

Foto: privat

Carolin Schumacher

Die Staatsbeamtin aus Starnberg, im Auftreten sehr freundlich, in der Planung extrem zielstrebig, hat im Februar überraschend den Posten als CSU-Hauptgeschäftsführerin übernommen – als erste Frau. Operativ steuert sie das Tagesgeschäft in der Parteizentrale, was angesichts knapper Kassen vor und nach dem Europawahlkampf, der nahenden Kommunal- und vielleicht auch Bundestagswahl nicht ganz einfach ist. Schumacher ist neu in Söders Umfeld, nicht im allerengsten Zirkel und steht in der Hierarchie klar unter den Generalsekretären. Söder schätzt ihre politische Nahkampferfahrung: Als Sprecherin und Büroleiterin begleitete sie Aufstieg und Sturz der streitbaren Ministerin Christine Haderthauer – eine harte Schule.

 

Foto: Barbara Gandenheimer

Markus Ferber

Der erfahrene Europaabgeordnete mit spitzer Zunge übernimmt wohl im Herbst die Führung der parteinahen Hanns-Seidel-Stiftung. Söder erahnt das Potenzial der Stiftung, die sich um internationale Kontakte, politische Bildung und Journalistennachwuchs kümmert. Ferber gilt, ohne sich öffentlich groß zu bekennen, als Söder-loyal, auch dank fortgesetzter Nichtbeachtung durch Seehofer. Der 54-Jährige führt mit Schwaben im 14. Jahr einen der größten CSU-Bezirksverbände. Ferber soll die Stiftung modernisieren.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 127 – Thema: Vertraulichkeit. Das Heft können Sie hier bestellen.